Kapitel 5
Das Geisterschiff

2,5 Meter | 1 Bruder

Molly war tot.

Ausgerechnet Molly. Oliver wusste, wie sehr Adriana an ihr gehangen hatte.

»Adriana wird durchdrehen. Pass auf, dass sie das nicht sieht«, sagte er daher zu dem Mann, der mit ihm diesen Bereich des Schiffs durchsuchte.

»Was darf Adriana nicht sehen?«, ertönte plötzlich ihre Stimme aus dem Hintergrund.

Oliver fluchte und versuchte Adriana aufzuhalten. Verdammte Seherin, dachte er. Sie riss sich jedoch von ihm los und lief zur Leiche. Als sie Molly erkannte, stieß sie einen spitzen Schrei aus und sackte in sich zusammen. Er wollte sie auffangen, aber sie sank weinend auf den Boden.

»Warum Molly?«, schluchzte sie. »Die Kleine hat doch niemandem etwas getan!« 

Sie krallte sich an Olivers Arm fest und zog ihn zu sich herunter. Große Tränen liefen über ihre Wangen.

Oliver sagte: »Wir werden diejenigen finden, die dafür verantwortlich sind. Versprochen!« 

»Versprochen!«, stimmte Stanley, der aus dem Korridor auftauchte, ihm zu.

Oliver winkte Stanleys Freundin zu sich.

»Kannst du dich bitte um Adriana kümmern? Wir wollen das Schiff noch weiter durchsuchen, bevor es dunkel wird.« 

Sie nickte, setzte sich zu Adriana auf den Boden und legte ihren Arm um sie.

Ohne Adriana machten sie sich wieder auf den Weg, systematisch die Mannschaftsquartiere zu durchsuchen. Oliver hatte aus einem kleinen Tresor im Maschinenraumbüro einen Schlüsselanhänger mitgenommen, der als Generalschlüssel für alle Türen im Schiff diente. So sparten sie sich entweder eine Tür aufzubrechen oder den teilweise sehr schwergängigen Notöffnungsmechanismus bewegen zu müssen. Auch in den auf diesem Korridor gelegenen Mannschaftskabinen fanden sie niemanden, weder tot noch lebendig.

Kurz bevor Oliver Adrianas Kabine öffnen wollte, erschrak er, als sie mit Stanleys Freundin plötzlich auftauchte.

»Ich kann hier auf diesem komischen Geisterschiff nicht wirklich alleine sein«, meinte sie.

»Alles klar«, bestätigte Oliver, »lass’ mich aber zuerst nachschauen, was in deiner Kabine so vor sich geht. Noch so eine Überraschung wie Molly möchte ich dir nämlich nicht zumuten.« 

In Adrianas Kabine war ein Fenster geborsten und etwas Sand war in den Raum eingedrungen. Jemand hatte den Raum durchsucht und alles durcheinander gewühlt. Die Wandpaneele waren aber unbeschädigt, damit waren die Debitkarten noch vorhanden, auf denen der Kasinogewinn gespeichert war. Da es aber von der Kolonie aus keine Datenverbindung zur Company oder zu einem Bankennetzwerk gab, waren diese aber zunächst wertlos.

Auch Olivers Kabine war durchsucht worden, zumindest dem ersten Anschein nach fehlte aber nichts. Endlich hatte er wieder seine eigene Kleidung und wollte sich bei nächster Gelegenheit umziehen. Er nahm ein paar Werkzeugteile und Schlüssel aus einem im Kleiderschrank versteckten kleinen Tresor und steckte diese in seine Hosentaschen.

In einem Korridor blieb Oliver plötzlich stehen und holte einen Spezialschlüssel aus seiner Hosentasche, mit dem er ein Wandpaneel aufschloss.

Stanley schaute ihn fragend an.

Oliver erläuterte: »Hier ist so ziemlich genau die Mitte des Schiffs und die Konstrukteure hatten sich überlegt, dass hier die beste Stelle für die Black Box ist, da sie hier am besten gegen äußere Einflüsse geschützt sei.« 

Er öffnete das Paneel und ein winziger Raum tat sich auf. Oliver betätigte einen Lichtschalter. In der Mitte eines kleinen Raumes befand sich ein mit massiven Stahlrohren ummantelter und mit feuerfesten Kacheln verkleideter Behälter. Mit dem gleichen Schlüssel öffnete Oliver dem Behälter.

Er seufzte.

»Leer!«, stellte er fest, »Die Company wollte wohl auf Nummer Sicher gehen.« 

Stanley leuchtete mit einer Taschenlampe in den Behälter hinein. Anstelle der Black Box, die eigentlich leuchtend orange lackiert ist, waren nur Kacheln aus feuerfester Keramik zu sehen, aus denen Kabel führten, die im Nichts endeten.

»Gibt es ein Backupsystem?«, wollte Stanley wissen.

»Leider nein«, antwortete Oliver. »Die Company hat eine Black Box in diesem Raum auch für die neueren Schiffe aus Kostengründen als ausreichend erachtet.« 

Sie gingen wieder zurück in den Korridor und Oliver schloss das Wandpaneel wieder.

Er hatte gehofft, die aufgezeichneten Daten auszuwerten, um so etwas Licht ins Dunkel zu bringen, was, wie und wo mit der Anaconda geschehen war, seit Adriana und er sie mit der Hummel verlassen hatten.

Leicht frustriert fuhren sie mit dem Durchsuchen des Schiffs fort.

Die Schiffskantine, die Küche und die gesamte dritte Ebene mit den Passagierbereichen waren vollkommen menschenleer, auch wurden keine Toten mehr gefunden.

Alle trafen sich daher auf der Brücke zu einer Lagebesprechung und jeder setzte sich auf einen freien Platz.

Trotz Prozellanscherben in der Pantry sah die Brücke noch vollkommen intakt aus, auch waren alle Monitore am Leben und die dort angezeigten Fehlermeldungen hielten sich in Grenzen. Oliver fasste daher einen Entschluss.

»Egal wie tief sie in der Düne steckt, ich will die Anaconda bergen«, stellte er fest.

Adriana pflichtete ihm bei: »Auf jeden Fall.« 

»Ich bin auch dafür!«, meinte Stanley. »Wir können das Schiff hier draußen doch nicht verrotten lassen, brauchen Beweise gegen die Company und haben außerdem die Möglichkeit, vielleicht in der Kolonie etwas Wohnraum zu schaffen.« 

Oliver sagte: »Ersatzteile könnten wahrscheinlich auch nicht schaden.« 

Stanley nickte zustimmend.

Er hatte auf einem Monitor die Mannschaftsliste anzeigen lassen, da er sich auf die Mannschaft konzentrieren konnte. Passagiere waren ja keine mehr an Bord – und er fragte, ob dies ein Zufall gewesen war.

»Wenn es um die Company geht, glaube ich nicht wirklich an Zufälle«, stelle Stanley fest.

Mittlerweile hatte Oliver die Liste durchgesehen und kam zu dem Ergebnis, dass der Kapitän nicht auffindbar war, lediglich Adriana und Oliver am Leben geblieben und alle anderen getötet worden waren. Bei den Paras konnte er nur schätzen, da entweder keine Listen der auf dem Schiff stationierten Paras vorhanden waren oder er mit seinen Benutzerberechtigungen nicht darauf zugreifen konnte.

»Hmmm«, dachte Stanley laut, »die Company bringt weiter ihre eigenen Leute um? Und neu ist, dass sie jetzt sogar Paras töten, die nicht mitspielen wollen?« 

Adriana fragte: »In was sind wir hier nur hineingeraten?« 

Noch merkwürdiger war, dass alle Vorräte noch vorhanden waren, was eine willkommene Ergänzung des Speiseplans in der Kolonie darstellte.

Die Kolonisten begaben sich zurück auf das Bergungsschiff und machten es startbereit. Adriana und Oliver blieben auf der Anaconda und gingen auf die Brücke. Sie nahm im Steuerstand Platz, fuhr in die Kuppel nach oben und drehte den Stand achteraus. Er setzte sich an die Technik-Konsole auf der Brücke und überprüfte den Status jeder einzelnen Hover Unit. Der achtere Teil der Anaconda, der nicht in der Düne steckte, war noch fast voll funktionsfähig, beim vorderen Teil sah es aber deutlich schlechter aus. Die Anzeige versprach zumindest eine etwa dreißigprozentige Betriebsbereitschaft dieser Hover Units.

»Das wird eine recht schräge Angelegenheit, schnall’ dich besser an!«, rief er nach oben in den Steuerstand.

»Yes, Sir!« 

Oliver drückte auf eine Taste auf der Kommunikationskonsole.

»Bergungsschiff, wir versuchen es erst einmal, die Anaconda mit eigener Kraft aus der Düne zu befreien!« 

»Roger! Wir sind bereit.« 

Weiter gab er über Funk bekannt, dass er jetzt die Hover Units, von denen er definitiv wusste, dass sie nicht im Sand steckten, nacheinander aktivieren wollte. Sie wurden in den Vorheizmodus gebracht und parallel dazu startete er den Antrieb. Die Hover Units gingen in den vollen Betrieb über und hoben das Schiff langsam achtern an. Die Anaconda neigte sich leicht nach vorne, so dass der sich im vorderen Bereich angesammelte Sand langsam herab rieselte.

Adriana gab ganz vorsichtig etwas Schub achteraus und fast wie in Zeitlupe schwebte das Schiff rückwärts aus der Düne heraus. Oliver schaltete immer eine Hover Unit nach der anderen zu, umso stärker neigte sich die Anaconda und umso mehr Sand rutschte von Deck. Aufgrund der Neigung konnte Adriana jetzt nicht mehr aus der Kanzel heraus sehen, was direkt hinter dem Schiff vor sich ging, daher war sie auf Stanleys Anweisungen über Funk angewiesen.

Nach einer ihnen viel länger vorgekommenen Stunde hatte sich die Anaconda aus der Düne herausbewegt und Adriana brachte sie mit einem kurzen Gegenschub im Dünental zum Stehen. Oliver fuhr die Landestützen aus und schaltete die Hover Units wieder ab. Glücklicherweise war nur eine Stütze beim Aufprall in die Düne beschädigt worden, so dass das Schiff einigermaßen eben zum Stehen kam.

»Der Kahn ist aber noch viel zu buglastig«, stellte Oliver fest, »das heißt, wir müssen jetzt, so gut es geht, den Sand von Hand herunterschippen.« 

Die Aussicht auf so viel körperliche Arbeit fand Stanley zwar nicht gerade verlockend, aber auch er wollte die Anaconda unbedingt zur Kolonie bringen. Da jetzt die Dämmerung einsetzte, war an einen Aufbruch sowieso nicht zu denken, auch weil Oliver das Schiff bei Tageslicht vor allem von außen gründlich durchchecken wollte.

So gönnten sie sich ein üppiges Abendessen aus den reichlich vorhandenen Vorräten im Kühlraum der Anaconda, der die Kühle überraschend gut gehalten hatte. So waren sie gestärkt für die Nachtschicht, die darin bestand, die vorher in der Düne steckenden Decksbereiche des Schiffs mit Schaufeln und Besen vom Sand zu befreien.

Mitten in der Nacht hatten sie ihr Werk vollbracht und begaben sich bis zum Sonnenaufgang in eine kurze Nachtruhe. Nach langer Zeit lag Oliver wieder in der Koje seiner eigenen Kabine, nur mit dem Unterschied, dass Adriana sich neben ihn gekuschelt hatte.

Als es wieder heller wurde, begann Oliver nach einem kurzen Frühstück sofort mit der Überprüfung des Schiffs von außen. Neben einigen Beulen und zerborstenen Fenstern schien die Anaconda keine weiteren auf den ersten Blick erkennbaren Beschädigungen zu haben. Erst bei näherem Hinsehen entdeckte Oliver etwas, was er zwar schon erwartet hatte, ihm aber ganz und gar nicht gefiel.

»Schlechte Nachrichten«, meldete er über Funk. »Vorne ist alles flächendeckend Glas. Aus eigener Kraft geht da gar nichts mehr, wir würden in der erstbesten Bodenwelle stecken bleiben.« 

Er schaute sich das Schiff weiter an und schon hatte er per Funk die nächste schlechte Nachricht zu verkünden.

»Die Tragflächenschächte sind teilweise so verbogen, besonders an Backbord, dass die Tragflächen wahrscheinlich nicht mehr ausgefahren werden können. Damit fällt voraussichtlich der Bodeneffektflug im wahrsten Sinne des Wortes flach. Ich komme wieder rein, mir wird’s jetzt hier zu warm.« 

Wieder trafen sich alle zur Lagebesprechung auf der Brücke der Anaconda.

Adriana hatte die Idee, die Anaconda nicht separat zu fliegen, sondern sie in das Bergungsschiff aufzunehmen, das hieß sie zwischen Schiffs- und Lademodul einzustellen. Die Hover Units des Bergungsschiffs sollten dann die Anaconda mittragen können und dessen Antrieb war sowieso für die zusätzliche Last mehr als ausreichend dimensioniert.

Nachdem Adrianas Vorschlag einstimmig angenommen worden war, begaben sich die Kolonisten auf das Bergungsschiff. Vorsichtig manövrierten sie es im engen Dünental neben der Anaconda nach achtern, so dass Lade- und Heckmodul, welche sie dann abkuppelten, ein paar Meter hinter ihr abgestellt werden konnten. Der vordere Teil des Bergungsschiffs rangierte vor die Anaconda und wurde mit deren Bugkupplungen verbunden. Durch den Aufprall auf die Düne war eine der vier Kupplungen nicht mehr funktionstüchtig. Da aber die Kupplungen so ausgelegt sind, dass notfalls auch eine einzige ein ganzes Schiff ziehen konnte, war dieser Ausfall nicht so gravierend. Erste Zugversuche waren erfolgreich und so schaltete Oliver die Systemsteuerung der Anaconda auf Fernsteuerung vom Bergungsschiff um.

Zusammen mit Adriana kletterte er über den Bug der Anaconda auf das Bergungsschiff und nahm auf dessen Brücke Platz. Von dort aus aktivierte er die funktionsfähigen Hover Units der Anaconda und fuhr die Landestützen ein. Es schaukelte zunächst etwas, aber dann zeigte der Neigungsmesser auch mit den zusammengekuppelten Wüstenschiffen eine fast waagerechte Lage an. Ganz behutsam koppelten sie am Heckmodul an. Nachdem noch einmal alle Verbindungen überprüft worden waren, meldeten alle Beteiligten »Bereit zum Start!«.

So flog die außergewöhnliche Fuhre mit der höchstmöglichen Geschwindigkeit, die bei einem Flug ausschließlich mit Hover Units noch ungefährlich erschien, zur Kolonie.

Wegen der vergleichsweise niedrigen Geschwindigkeit dauerte ihre Reise zur Kolonie etwa fünfeinhalb Tage, auch weil sie Nachtpausen einlegten, da besonders Oliver der Nachtflug mit »diesem Bastelschiff« nicht sicher genug erschien. Ohne von Paras angegriffen worden zu sein und ohne dass die Fuhre auseinander gebrochen war, kamen sie schließlich wohlbehalten in der Kolonie an.

Die Schiffe wurden vor der Höhle getrennt, das Bergungsschiff wieder in seine ursprüngliche Konfiguration zusammengestellt und die Anaconda von Adriana vorsichtig in die Höhle hinein manövriert. Nach einigen Versuchen hatten sie sich für den Rückwärtsflug entschieden, da der Bug immer wieder am kleinsten Hindernis anstieß und einmal dabei sogar zwei Hover Units fast abgerissen wurden. Diese mussten erst umständlich mit Schneidbrennern entfernt werden, da sie sich unter dem Schiff verkantet hatten.

»Dieser blöde Schrottkahn!«, fluchte Adriana über Funk, als es einmal wieder stark rumpelte, so dass Oliver einen Lachanfall bekam.

Sie war aber selbst von sich erschrocken, dass sie ihre einst heißgeliebte Anaconda so bezeichnete.

Die Ankunft des Schiffs war natürlich ein großes Ereignis in der Kolonie und wirklich alle Kolonisten waren auf den Beinen. Adriana musste aufpassen, dass sie niemanden überfuhr; Stanley und Oliver hatten alle Hände voll zu tun, den Weg für die Anaconda freizuhalten. Schlussendlich hatten sie es aber doch geschafft, das Schiff präzise neben die Yellowstone zu platzieren. Kurz darauf waren bereits ein paar Stahlträger und ein Containerbodenteil herbeigeschafft worden, aus denen eine Art Brücke zusammengeschweißt wurde, welche die beiden Schiffe auf Höhe des Passagierempfangsbereichs der Anaconda miteinander verband.

Zuerst wurden die Passagierquartiere für besonders Bedürftige freigegeben und schon kurz darauf sah man mehrere Familien mit Sack und Pack in die Anaconda umziehen. Auch Adriana und Oliver zogen wieder vom Bergungsschiff zurück auf die Anaconda. Adrianas Kabine hatte noch das geborstene Fenster und durch den Flug war alles von einer feinen Sandschicht überzogen worden, so dass sie beschlossen, gemeinsam in Olivers Kabine einzuziehen.

Adriana meinte: »Ich kann jetzt sowieso nicht alleine sein.« 

»Dann herzlich willkommen in unserem neuen Zuhause!«, rief Oliver.

Sie fiel ihm um den Hals uns küsste ihn.

Die Mannschafts- und Para-Quartiere wurden noch nicht zur Benutzung freigegeben, da sie dort erst nach Beweisen suchen wollten, falls es überhaupt noch welche gab. Nur Kleidungsstücke wurden von Adriana aus den Kabinen geholt – außer aus Mollys, das brachte sie nicht übers Herz – und im Empfangsbereich aufgestapelt. Alle Kolonisten nahmen diese unerwartete Kleiderspende dankend an.

Da die Anaconda ohne eine Mindetstanzahl funktionierender Hover Units nicht mehr ausreichend schwebefähig war, wurde beschlossen, sie dauerhaft in Wohnraum umzuwandeln. Oliver und Stanley arbeiteten Pläne aus, alle noch brauchbaren Teile aus dem Schiff auszubauen, soweit diese nicht für die Wohnbereiche oder die Energieversorgung benötigt wurden, und diese als Ersatzteile einzulagern. Hierzu zählten auch alle noch funktionsfähigen Hover Units, die aufgrund von Standardmaßen und genormter Anschlüsse auch in anderen Wüstenschiffen und sogar in Hummeln Verwendung finden konnten. Auch die Bordkanone auf dem Dach der Brücke und diverse Gerätschaften von der Brücke selbst wollten sie nach und nach ausbauen und einer anderen Verwendung zuführen.

Beim Einlagern diverser Ersatzteile fand sich durch Zufall in einem Lagerraum auch noch ein passendes Fenster, so dass nach einer gründlichen Reinigung Adrianas Kabine einer sehr glücklichen Familie mit zwei kleinen Kindern zur Verfügung gestellt werden konnte.

Jeden Tag lebten sie sich besser in die Kolonie ein. Oliver hatte sich bisher nur Adriana als ICIA-Agent offenbart, da er sich noch nicht sicher war, wem er von den Kolonisten auch wirklich trauen konnte.

Tagsüber waren sie damit beschäftigt, Teile von der Anaconda aus- und in andere Fahrzeuge wieder einzubauen. Vor allem die beiden Bergungsschiffe der Kolonie sollten mit neueren Bauteilen auf einen aktuelleren technischen Stand gebracht werden. Sehr aufwendig gestaltete sich das Auswechseln der Hover Units. Da sie keinen großen Hebekran wie auf der Company-Werft am Nordpol besaßen, mussten sie, um an einen innen liegende Hover Unit zu gelangen, erst umständlich die äußeren ausbauen. Vor allem die durch viel geschmolzenem Sand knapp an der Grenze zur Funktionsfähigkeit stehenden Hover Units der Bergungsschiffe sollten vorrangig gegen neuere ausgetauscht werden.

Am Abend ließ sich Adriana erschöpft auf das Sofa in ihrer gemeinsamen Kabine fallen. Sie streckte sich, so dass ein paar Gelenke laut knackten.

»Mir tut alles weh«, stöhnte sie, »ich bin körperliche Arbeit gar nicht mehr gewohnt! Ich war wahrscheinlich viel zu lange in der Schwerelosigkeit unterwegs.« 

Oliver stellte fest: »Das kann auch das beste Training nicht ausgleichen. Jetzt ist aber erst ’mal Feierabend.« 

Er nahm den Gürtel aus seiner Hose und klipste die Gürtelschnalle ab. Die Schnalle konnte in der Mitte auseinander geklappt werden und es öffnete sich ein Fach, dem er einen kleinen Kristalldatenträger entnahm. Adriana beobachtete ihn aufmerksam.

»Wie wäre es jetzt dafür mit etwas Kopfarbeit?«, fragte er und hielt den Datenträger hoch.

Sie schaute ihn immer noch an.

»Ihr Agenten habt ja tolle Geheimfächer«, stellte sie schließlich fest.

»Hier ist alles drauf, was die Agency und ich bisher recherchiert haben.« 

Er setzte sich an den Schreibtisch, schaltete den Rechner an und steckte den Datenträger in eine Buchse an der Vorderseite des Rechners.

»Versicherungsbetrug?«, fragte Adriana fassungslos, als Oliver ihr eine kurze Zusammenfassung der Ermittlungsergebnisse mitgeteilt hatte.

»Ja, schlussendlich läuft es wohl darauf hinaus. Die einfachsten Erklärungen sind oft die zutreffenden.« 

»Hatten die Versicherungen denn keine eigenen Detektive eingesetzt?« 

»Nein, aufgrund der Größe der DMMC hatten sie sehr schnell kalte Füße bekommen, vor allem auch, als absehbar war, dass es wohl Tote gegeben haben musste. Daher hatten sie sich gleich an unseren Bereich Organisierte Kriminalität gewandt.« 

»Organisierte Kriminalität?« 

»Adriana, wie würdest du die Company bezeichnen wollen?« 

Darauf hatte sie allerdings keine Antwort und stellte eine Gegenfrage.

»Warum mussten sie eigentlich jemanden töten?« 

»Das waren wohl Kollateralschäden. Eigentlich ist es aber ganz einfach: Warum etwas machen, dass man davon wirtschaftlich überleben kann, wenn man es mit einiger Skrupellosigkeit auch so machen kann, dass man davon reich wird.« 

Adriana ließ nicht locker. »Aber warum?« 

»Die Company steht derzeit wirtschaftlich eher auf wackligen Beinen. Die Erzpreise sind gefallen, vor allem weil ein Konkurrent in einem anderen Sonnensystem neue Vorkommen erschlossen hat. Da kommt natürlich so ein Schiffsverlust ganz gelegen, zumal die für die Company tätige Versicherung immer sofort die Hälfte der Versicherungssumme ohne weitere Beweise und groß nachzufragen ausbezahlt hatte.« 

»Und dann kann man immer noch die ›gerettete‹ Ladung weiterverkaufen«, ergänzte Adriana.

Oliver schaute Adriana in die Augen und meinte: »Das Ganze dann, wenn zufällig der Chief und der Steuermann nicht an Bord sind.« 

»Oder wenn der ICIA-Undercover-Agent und seine ›Verstärkung‹ gerade zufällig nicht an Bord sind«, präzisierte Adriana.

»Oder vielleicht auch deswegen.« 

Gemeinsam fügten sie die Ergebnisse der Durchsuchung der Anaconda den Daten hinzu, Oliver verstaute den Datenkristall wieder in der Gürtelschnalle und beide fielen dann todmüde ins Bett. Am nächsten Tag sollte etwas anstehen, wovor sich Adriana lange gefürchtet hatte, nämlich das Begräbnis der auf der Anaconda gefundenen Toten.

Sie versuchte daher, vom Thema abzulenken und überlegte, was wohl mit den Besatzungsmitgliedern der Anaconda geschehen war, die sie nicht tot aufgefunden hatten.

»Wo können sie sich versteckt haben? in einer stillgelegten Mine wie wir?«, fragte Adriana beim Frühstück.

Oliver antwortete: »Nein, nicht so ein Geheimkram! Das macht die Company ganz öffentlich; schließlich gehört ihr ja sowieso der ganze Mond.« 

Da Begräbnis ging mit viel Tränen über die Bühne und als Molly an die Reihe kam, bekam Adriana einen kleinen Schwächeanfall. Oliver konnte sie gerade noch auffangen.

Er beschloss daher, zusammen mit Adriana das ältere Bergungsschiff der Kolonie mit neuen Teilen aufzurüsten, um sie auf andere Gedanken zu bringen.

Nach einer Woche hatten sie das Schiff soweit hergerichtet, dass damit wieder längere Strecken geflogen werden konnten. Auch die von ihm und Adriana durchgeführten Testfahrten verliefen erfolgreich.

Er erläuterte den anderen, dass sie versuchen wollten, am Südpol Kontakt mit jemand außerhalb des Wüstenmonds herzustellen. Dass es tatsächlich die ICIA war, wollte er aber noch nicht preisgeben.

»Wegen des Magnetfelds geht es nur dort oder am Nordpol«, fuhr er fort, »aber am Nordpol hat sich ja die Company eingenistet. Außerdem ist der Südpol nur etwa viertausend Seemeilen von hier entfernt.« 

»Soll jemand von uns mitkommen?«, fragte Stanley.

Oliver antwortete: »Nein, dass müssen Adriana und ich alleine machen.« 

Im Endeffekt war er sich immer noch nicht ganz sicher, ob Stanley nicht vielleicht doch für die Company arbeitete, daher wollte er ihn nicht wirklich bei dieser Tour dabei haben.

Sie nahmen sich Proviant für etwa zwei Wochen mit und betraten das Schiff. Adriana setzte sich ans Steuer und flog langsam aus der Höhle heraus in das gleißende Sonnenlicht der Wüste. Sie flogen erst etwa fünfzig Seemeilen Richtung Osten, bevor sie auf einen Südkurs einschwenkten. Einerseits wollten sie mit einem direkt von der Kolonie startendem Südkurs den Standort der Kolonie nicht verraten und andererseits gab es im Osten wesentlich flacheres Gelände, auf dem sie sich schneller ans Ziel bewegen konnten.

Adriana schaute sich die neuesten topographischen Karten und auch die Wetterdaten an, um daraus einen optimalen Kurs zu ermitteln.

»Wenn Molly hier wäre, würde alles viel schneller gehen!« 

Sie bekam Tränen in den Augen und Oliver legte seinen Arm um ihre Schultern.

»Ich werde diejenigen finden, die dafür verantwortlich sind, und ihrer gerechten Strafe zuführen.« 

Sie schaute ihn an.

»Ich weiß, dass du das schaffen wirst«, schluchzte sie.

Die Entfernung, die sie zum Südpol ermittelt hatte, betrug etwa dreitausendfünfhundert Seemeilen. Das Schiff war zwar für den Bodeneffektsflug ausgerüstet, war aber deutlich langsamer als die Anaconda. Außerdem hatte Oliver beschlossen, zu unregelmäßigen Zeiten eine große Volte zu fliegen, um nachsehen zu können, ob sie eventuell verfolgt wurden. Alles in allem schätzte er daher als Reisedauer etwa zwei Mondtage. Sie würden gerade noch rechtzeitig in der Südpolregion ankommen, wenn der Pol genau auf einen benachbarten bewohnten Planeten zeigt. Oliver hatte vor, dann dem ICIA eine Nachricht zukommen zu lassen.

Etwa zweihundert Seemeilen vor dem Südpol stoppte Oliver das Schiff und stellte es vor einer steilen Felswand ab.

»Hier ist das Magnetfeld schon so angeordnet, dass ich es mit dem Senden versuchen kann«, erläuterte er.

»Warum sind wir nicht ganz bis zum Südpol geflogen?« 

»Ich habe keine Ahnung, ob die Company nicht doch dort einen Stützpunkt hat.« 

Gemeinsam kletterten sie auf die Oberseite des Schiffs und Oliver richtete eine Antenne des Schiffs nach oben aus. Zurück auf der Brücke setzte er dann seine Nachricht, die eine mit einem nur der ICIA bekannten elektronischen Schlüssel chiffrierte Datei enthielt, auf einer speziellen Notfallfrequenz der ICIA ab. In der Datei hatte Oliver alles zusammengetragen, was ihre Recherchen bisher ergeben hatten.

»›Timbuktu, Timbuktu, Timbuktu‹, das kommt mir bekannt vor. Aber warum drei Mal?«, fragte Adriana.

»Ein Mal ist das Kennwort, drei Mal ist das Notsignal meiner Mission. Auf ein Notsignal auf einer Notfallfrequenz müssen sie eigentlich reagieren.« 

»Eigentlich«, wiederholte sie. »Wie geht es jetzt weiter?« 

»Jetzt müssen wir warten.« 

Adriana blieb hartnäckig.

»Und wenn niemand antwortet?« 

»Dann müssen wir nach Plan B …« 

»Es gibt keinen Plan B!«, unterbrach sie ihn.

Sie hatte wohl schon wieder einmal vorausgesehen, was er ihr gleich geantwortet hätte. Tatsächlich hatte er sich über einen Alternativplan noch keine Gedanken gemacht. Er versuchte, schnellstmöglich das Thema zu wechseln.

Daher sagte er: »Der Mond dreht sich in etwa einer halben Stunde vom Planeten weg, ich werde nochmal durch alle Frequenzen scannen.« 

Auch nach zweimaligem Scannen aller Frequenzbänder war keine Antwort zu verzeichnen. In etwa achtzehn Stunden zeigte der Pol wieder auf den Planeten, so lange hatten sie eine Pause, auch um sich über den »Plan B« Gedanken zu machen. Zumindest hatten sie beschlossen, die nächsten zwei Tage noch auf eine Antwort zu warten, bevor sie sich wieder auf den Rückweg zur Kolonie machen wollten.

Hier in den höheren südlichen Breiten war es nicht mehr so heiß wie in der Kolonie und so nutzte Adriana die Zeit, um sich ein wenig an Deck barbusig zu sonnen. Das Mädchen war wirklich sehr süß, wie Oliver immer wieder feststellen musste. Er schaute aus einem Fenster und winkte ihr zu.

»Ist die UV-Strahlung nicht gefährlich?«, fragte er.

»In geringer Menge nicht, das habe ich extra nachgesehen. Außerdem habe ich mir nach so langer Zeit in dunklen Raumschiffen ein wenig Sonne verdient. Leg’ dich zu mir!« 

»Nein, mit der Sonne habe ich es nicht so.« 

»Jetzt komm’ doch her!«, rief sie. »Das ist echt schön hier!« 

Er antwortete: »Nein nein, ich bin doch Ire und vertrage die direkte Sonneneinstrahlung nicht wirklich! Sonnenbrände habe ich schon immer gehasst. Ich bleibe lieber hier im Schatten!« 

Sie lachte und setzte sich ihre Sonnenbrille auf.

Am nächsten Tag erhielten sie tatsächlich eine Antwort. Die ICIA war erleichtert, dass Agent Hanson noch am Leben war. Auch die von ihm gesammelten Informationen waren wohl sehr hilfreich gewesen und halfen, gegen die Company eine wasserdichte Beweiskette aufzubauen. Ein Raumschiff mit einem SWAT-Team und einigen ICIA-Agents an Bord war bereits unterwegs und sollte in etwa zwei Erdtagen am Südpol landen.

Nach etwa zwei Tagen landete tatsächlich ein stellares Kleinraumschiff direkt neben ihnen. Das Schiff war unbeleuchtet und nutzte eine lange Finsternis aus, um möglichst unerkannt auf den Wüstenmond zu gelangen.

»Das sind die Guten, ich kann es spüren«, stellte Adriana fest.

Oliver stellte erfreut fest, dass sie begann, ihre besonderen Fähigkeiten immer besser zu kontrollieren.

Als sich der Staub verzogen hatte, sahen sie mehrere Personen aus dem Schiff steigen. Oliver erkannte sofort seinen Chef wieder; auch in einiger Entfernung waren seine charakteristischen Gesichtszüge unverkennbar. Adriana hatte recht gehabt, es waren wirklich »die Guten«.

Sie nahmen den ICIA-Trupp an der Eingangspforte auf der untersten Deckebene in Empfang. Oliver wunderte sich über die vielen Agents, die auf den Mond gekommen waren.

»Die DMMC ist ja auch ein ganz großer Fisch«, erläuterte der Chef.

Er schüttelte Oliver die Hand.

»Agent Hanson, wunderbar, dass Sie noch am Leben sind!« 

Oliver legte seinen Arm um Adriana.

»Sie hat mir das Leben gerettet, Sir.« 

»Sie müssen also Adriana sein«, sagte er und schüttelte ihr ebenfalls die Hand.

Nach Ansicht seines Chefs hatten Oliver und Adriana genügend Beweise zu sammeln, um gegen die Company vorgehen zu können. Die ICIA wollte aber heimlich zuschlagen, damit die DMMC keine Beweise mehr vernichten konnte.

»Habt ihr eigentlich gewusst«, fragte der Chef, als sie oben im Mannschaftsaufenthaltsraum angekommen waren, »dass in sechs Tagen eine offizielle Trauerfeier für die Mannschaft der Anaconda stattfinden soll, organisiert von der DMMC?« 

Oliver antwortete: »Natürlich nicht, Sir. Wir waren hier ja ziemlich vom Informationsfluss abgeschnitten.« 

Die Aussicht, auf seiner eigenen Trauerfeier einen großen Auftritt haben zu können, fand er aber recht belustigend, trotz des immer noch spürbaren Ernstes ihrer Lage. Sie vereinbarten dann als weiteres Vorgehen, dass sie zunächst zur Kolonie fliegen wollten, um dort vor allem einen Spitzel der Company festzunehmen. Zu Olivers großer Erleichterung war es aber nicht Stanley, sondern wohl seine Lebensgefährtin.

»Dieser blöden blonden Zicke traue ich das aber wirklich auch zu«, stellte Adriana fest, der Stanleys Freundin schon immer als viel zu neugierig vorgekommen war.

Als nächster Schritt war dann der Flug zum Nordpol geplant, an dem die Trauerfeier in einem Gebäude der Company stattfinden sollte. Die ICIA-Agents wollten möglichst medienwirksam auf der Trauerfeier auftauchen und die Hintermänner festnehmen, die für das Verschwinden der Schiffe und für den Tod vieler Menschen verantwortlich waren.

Oliver war skeptisch.

»Das ist die Theorie. Wie läuft das aber in der Praxis, um nicht frühzeitig von der Company entdeckt zu werden? Ihr gehört schließlich der ganze Wüstenmond. Die Paras sind außerdem ein starker Gegner, da hat das SWAT schon eine harte Arbeit vor sich.« 

»Ihr seid die Experten für diesen Mond, wir werden zusammen einen Schlachtplan erarbeiten. Zumindest müssen wir eine längere Finsternis ausnutzen.« 

Der Chef versorgte sie noch mit den neuesten Nachrichten von der Erde und den extrasolaren Kolonien. Oliver schlug dann vor, das Raumschiff auf die Ladefläche des Bergungsschiffs zu laden, da dieses ihm für den Betrieb in der Wüste geeigneter erschien.

»Das müsste eigentlich drauf passen, ich weise euren Piloten ein«, meinte er.

Er ging auf die Ladefläche und der Pilot setzte das Schiff sauber in der Mitte der Ladefläche auf. Gemeinsam sicherten sie das Schiff mit schweren Ketten gegen Wegrutschen. Der Rest der Schiffsmannschaft, das SWAT-Team, nahm auch im Aufenthaltsraum statt. Oliver ging zurück zur Brücke, um die Checkliste für den Start des Wüstenschiffs durchzuarbeiten.

»Alle sind jetzt bei uns an Bord, wir können los!«, sagte er zu Adriana.

Sie jedoch drehte sich plötzlich um und starrte mit offenem Mund auf die Zugangstür zur Brücke. Offensichtlich hatte sie etwas vorausgesehen.

»Adriana, was ist los?«, fragte Oliver.

In diesem Moment steckte der Raumschiffpilot seinen Kopf durch die Tür.

Er rief: »Hallo Adriana!« 

»Du?«, fragte sie tonlos und wurde blass.

Er kam auf sie zu und sie umarmten sich lange.

»Oliver, darf ich dir meinen Zwillingsbruder vorstellen?« 

Dieser stellte fest: »Ich wusste gar nicht, dass sie einen Bruder hat!« 

»Ich wusste gar nicht, dass sie noch am Leben ist«, entgegnete Adrianas Bruder. »Adriana, du hast der ganzen Familie einen großen Schrecken eingejagt!« 

Zwillinge also. Oliver stellte fest, dass er tatsächlich wie eine männliche Ausgabe von ihr aussah. Er hatte die Checkliste fertig abgehakt und startete die Hover Units, so dass ein leichtes Zittern unter den Füßen spürbar war.

»Kann ich irgendwie helfen?«, fragte Adrianas Bruder.

Oliver antwortete: »Radarbeobachtung wäre gut, denn dieses alte Schiff hat keine Kollisionswarnanlage oder Ähnliches. Setz’ dich dort hin.« 

Adrianas Bruder setzte sich an die Radarkonsole und betrachtete das angezeigte Bild. Er zeigte auf einen hellen Streifen, der sich langsam aus dem Radarbild entfernte.

»Was ist das denn? So etwas habe ich auf den Radarbildern auf einem Raumschiff nicht.« 

»Oh, das ist ein Sandsturm«, erläuterte Adriana. »Der zieht aber nach Westen ab und kommt uns nicht in die Quere.« 

»Und das kleine runde Ding da am Rand?« 

»Das ist ein ›Sandnado‹, ein Sand-Tornado. So etwas tritt meistens am Rand von Sandstürmen auf.« 

»Ich sehe schon«, musste er zugeben, »das ist etwas anderes, als im luftleeren Weltraum unterwegs zu sein. Jetzt kann ich live miterleben, auf was du eigentlich umgeschult hast, Schwesterchen.« 

»Adriana, HU sind in vollem Betrieb, Stützen sind eingeklappt, Tragflächen werden ausgeklappt, Haupttriebwerke laufen stabil, du kannst los!«, stellte Oliver fest.

Das Schiff hob ab und Oliver richtete die Schwebehöhe wieder auf etwa zweieinhalb Metern ein. Langsam drehte Adriana das Schiff auf den neuen Kurs in Richtung der Kolonie.

»Vorsicht, die Kiste reagiert jetzt etwas träger, weil wir ja jetzt das ICIA-Schiff geladen haben!« 

Adriana manövrierte vorsichtig zwischen den Felsformationen hindurch, bis sie auf ebenes Gelände trafen. Sie gab vollen Schub und das Wüstenschiff beschleunigte, aber es dauerte jetzt noch länger als bei der Anaconda, um auf eine Geschwindigkeit zu kommen, bei der in den Bodeneffektflug übergegangen werden kann.

»Bodeneffekt ist stabil«, meldete Oliver. »Ich schalte jetzt die HU aus und gehe auf Autopilot. Adriana, du hast jetzt erst einmal Pause!« 

Sie verließ den Steuerstand und setzte sich neben ihren Bruder.

»Wow, das ist tatsächlich ganz anders als im Raumschiff!«, meinte dieser.

Mehrere Stunden lang flog das Schiff mit höchstmöglicher Geschwindigkeit dahin, und Adriana hatte ausgiebig Zeit, sich mit ihrem Bruder zu unterhalten.

Kurz bevor sie an den von Oliver berechneten Koordinaten ankamen, setzte sich Adriana wieder in den Steuerstand und verlangsamte die Fahrt, so dass sie wieder den Bodeneffektflug verließen. Auch auf dem Rückflug zur Kolonie flogen sie auf dem noch ebenen Gelände eine große Schleife, um nach möglichen Verfolgern Ausschau zu halten, bevor die Dünen begannen. Oliver machte eine Durchsage im ganzen Schiff, dass es gleich etwas schaukeln würde.

»Das sind hoffentlich nicht alles so Seekrankheitsanfällige wie die Minenarbeiter«, sagte er.

Adrianas Bruder konnte ihn beruhigen: »Wir haben alle Agents für diese Mission auch nach Raum- und ›See‹-Tauglichkeit ausgesucht.« 

Ihnen war niemand gefolgt und so begann Adriana das Schiff über die erste Düne zu fliegen.

Nach der Überquerung des Dünenkamms schwenkte das Schiff in ein langgezogenes Dünental ein und der Flug wurde wieder etwas ruhiger. Etwa zehn Seemeilen vor der Kolonie stoppten sie und Oliver rief seinen Chef zu sich auf die Brücke.

»Ab hier wird alles von den Kolonisten kontrolliert«, erläuterte er. »Ich schlage vor, euer Schiff in einem Dünental zu parken und dann mit unserem Schiff zur Kolonie weiterzufliegen.« 

Olivers Chef bestimmte, dass Adrianas Bruder und zwei SWAT-Agents an Bord bleiben und das Schiff bewachen sollten. Adriana umarmte ihren Bruder daraufhin sehr lange.

»Schwesterchen, wir sehen uns doch wieder!«, beruhigte er sie.

Gemeinsam gingen sie auf das Ladedeck und lösten die Ketten, mit denen das Raumschiff an Deck festgemacht war. Adrianas Bruder ging mit den zwei anderen Agents an Bord und startete sofort die Maschinen. Adriana sah von der Brücke des Bergungsschiffs aus, wie das Raumschiff vom Ladedeck abhob und langsam in ein kleines Seitental schwebte. Sie setzte sich wieder in den Steuerstand und auch ihr Schiff startete wieder.

Sie begaben sich auf die letzte Etappe in Richtung Kolonie. Bald wurden die Dünen steiler und rückten enger zusammen. Trotz Adrianas Bemühungen, das Schiff in der Waagerechten zu halten, waren die Schaukelbewegungen mehr oder weniger stark spürbar.

Nach einer Weile sahen sie durch ein Dünental, dass ihnen zwei Hummeln entgegenkamen. Sofort brachte Adriana das Schiff zu einem vollständigen Halt und Oliver sendete die vereinbarten Codeworte auf der vereinbarten Funkfrequenz.

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