Kapitel 2
Der Roulettetisch

9 Kurven | 321 Knoten

Beim Weckerklingeln vor dem nächsten Schichtbeginn wachte Adriana sichtlich erholt auf. Nachdem es am Vortag in die Vollen gegangen war, sie gleich nach der Ankunft auf dem Wüstenmond mit dem Schiff abgelegt, Ladung aufgenommen und eine erste Wachschicht absolviert hatte, hatte sie bisher noch keine Gelegenheit gehabt, ihre Gepäckstücke auszupacken und den Inhalt in die Schränke in ihrer Kabine zu verstauen. Als dies erledigt war, genoss Adriana, endlich einmal nicht überwiegend in der Schwerelosigkeit duschen zu müssen. Die Anaconda war den Rest der Finsternis und die direkt daran anschließende Nacht mit Höchstgeschwindigkeit vorangekommen und erreichte bald den ersten Zwischenhalt, die Iridiummine.

Nach einem kurzen gemeinsamen Frühstück mit Molly begaben sie sich beide zur Brücke, um ihre nächste Schicht anzutreten.

Kurz darauf meldete Molly: »Iridium Control jetzt in Funkreichweite, Käpt’n.« 

»Bitte melden Sie uns an«, ordnete dieser an.

»Aye, Käpt’n. Iridium Control, hier ist Eins-Fünf-Zwei im Anflug von Blau. Erbitte Einfahr- und Anlegeerlaubnis.« 

»Eins-Fünf-Zwei, hier Iridium Control. Warten an Bake Blau auf entgegenkommenden Verkehr, dann Freigabe«, kam prompt die Antwort.

Wie üblich, wiederholte Molly den Funkspruch: »Control, hier Eins-Fünf-Zwei. Warten an Bake Blau, Entgegenkommer abwarten.« 

»Roger, Eins-Fünf-Zwei.« 

Der Kapitän gab dann das All Hands On Deck-Signal und wies die Brückencrew an, abzubremsen und den Bodeneffektflug zu verlassen, die HU zu aktivieren, in den Schwebeflug zu gehen und die Geschwindigkeit so zu reduzieren, so dass sie genau vor der »Bake Blau« zum Stehen kommen konnten.

Adriana begab sich in die Steuerkanzel und übernahm die manuelle Steuerung.

»Zurücknahme Autopilot in – drei – zwei – eins!«, rief der Chief.

Nun gehorchte das Schiff wieder Adrianas Steuerhebeln. Der Chief aktivierte die Hover Units und Adriana nahm noch mehr Schub weg, um das Schiff aus dem Bodeneffektflug zu bringen. Bald wurden sie sogar von ihrer eigenen Staubwolke überholt. Adriana ließ das Schiff jetzt auch ohne Triebwerkseinsatz langsam an Fahrt verlieren, denn sie wollte nicht auf ihrer ersten Fahrt gleich mit den Felsen am Ende der blauen Route kollidieren. Der Staub verzog sich aber recht schnell und schon bald kam die Bake Blau in Sicht.

Der kleine Leuchtturm stellte das Gegenstück zum Leuchtturm am Nordpol dar und war hier mitten in einer Wüste wiederum ein sehr ungewohnter Anblick.

Adriana brachte die Anaconda mit einem sanften Bremsmanöver etwa fünfzig Meter vor der Bake zum Stehen, was ihr ein anerkennendes Pfeifen des Kapitäns einbrachte.

Molly meldete ihre Position: »Control, hier Eins-Fünf-Zwei. Halt an Bake Blau, warten auf Freigabe.« 

Nach etwa zwanzig Minuten kam auch der gemeldete Gegenverkehr in Sicht, der nur aus einem mittelgroßen Schiff mit einem Kranaufbau bestand.

»Eins-Fünf-Zwei, hier ist Control. Freigabe für Canyon und Hafen.« 

»Verstanden, Control. Freigabe für Canyon und Hafen. Setzen Fahrt fort.« 

Auf der Brücke war schwach ein Mehrklanggong und eine anschließende Durchsage zu hören:

Sehr geehrte Passagiere, in Kürze erreichen wir die Iridiummine. Wenn Sie hier aus- oder umsteigen, bitten wir Sie, sich zum Ausstieg auf die Deckebene drei zu begeben. Ich wiederhole

Zum leichten Missfallen des Chiefs, der die fehlenden Einnahmen beklagte, sollten alle Passagiere, hauptsächlich Minenarbeiter, dort von Bord gehen. Immerhin behielten sie fast ihre gesamte Fracht und bekamen bald noch weitere hinzu, so dass sie den Ertrag dieser Fahrt in etwa halten konnten. Es war fast windstill und Adriana beobachtete eine kleine Staubwolke, die in einiger Entfernung über dem Iridium-Tagebau hing und nur leicht ihre Form veränderte.

Adriana fand es bemerkenswert, dass trotz aller Automatisierung immer noch so viele Minenarbeiter erforderlich waren.

Bald befanden sie sich am Eingang des sogenannten »Iridium Canyons«, der durch eine Art rot-gelb gestreiften Leuchtturm ähnlich der Bake Blau markiert war. Adriana reduzierte die Geschwindigkeit weiter und steuerte die Anaconda hinein. Der Canyon war eng, sehr eng, und die Anaconda war der größte Schiffstyp, der hindurch passte. Die Felsformationen im Umfeld der Mine waren aber entweder zu hoch, zu steil oder zu schroff, so dass der Canyon den einzigen Zugang zur Mine darstellte.

Viele Male im Simulator hatte sie diesen Canyon durchquert, und sie war doch ein wenig nervös. Iridiumhaltige Gesteinsschichten leuchteten bei jedem Blitzen der Antikollisionsbeleuchtung im Dämmerlicht des Canyons silbrig auf, Adriana hatte aber keine Zeit dafür, das Schauspiel zu bewundern, sondern musste sich auf die immer enger werdende Taldurchfahrt konzentrieren.

Auf einem Monitor vor ihr wurden die seitlichen Abstände des Schiffs zu den Felswänden farbig angezeigt. Noch war es dort vollständig grün umrandet, aber je mehr sie in den Canyon vordrang, desto mehr grüne Markierungen wurden durch gelbe oder gar orangefarbige ersetzt.

Die ersten Kurven wurden von Adriana ohne Probleme genommen. Nach etwa einer halben Stunde folgte aber der schwierigste Teil der Durchfahrt.

»Kurve sieben voraus«, meldete Molly und Adriana bremste das Schiff bis fast auf Schrittgeschwindigkeit herab.

Kurve sieben, die engste Kurve im Canyon, eine rechtwinklige Wendung um mehr als neunzig Grad, erforderte ein bestimmtes Manöver, welches vom Steuermann und den Chief in Gemeinschaftsarbeit durchgeführt werden musste. Adriana zielte mit dem Bug der Anaconda genau diagonal in die Weiterführung der Schlucht und stoppte dann. Der Chief schob dann das Schiff sachte durch sanfte Schübe der Manöverdüsen am Bug und des Heckmoduls herum, so dass es wieder gerade ausgerichtet in den Canyon weiterfahren konnte.

Die nächsten Kurven konnten dann wieder von Adriana alleine genommen werden, da sie nicht mehr so eng daherkamen.

Hinter der letzten, neunten, Kurve weitete sich das Tal und sie konnten den Hafen sehen. Eine kleine leuchtend gelb lackierte Hummel näherte sich und ließ große Buchstaben FOLLOW ME aufleuchten. Adriana folgte der Follow-Me-Hummel in langsamer Fahrt.

Der Minenhafen war deutlich kleiner als der Hafen am Nordpol. Es gab nur wenige flache Gebäude und nur einen Portalkran für den Containerumschlag. Die Anaconda hatte einen Liegeplatz fast genau in der Mitte des planierten Platzes zugewiesen bekommen.

Wieder erklang der Gong, gefolgt von einer Durchsage:

Ein Hinweis an alle Passagiere, die jetzt aus- oder umsteigen: Bitte benutzen Sie einen Augenschutz, diese sind am Empfang auf der Deckebene drei erhältlich!

Langsam manövrierte Adriana die Anaconda auf den Liegeplatz, der sich neben einem großen Lichtmast befand, welcher sich auf dem Display als kleiner rotorangefarbiger Fleck an der Steuerbordseite bemerkbar machte. Die Follow-Me-Hummel wechselte die Anzeige auf STOP und Adriana brachte das Schiff zum Stillstand.

»Käpt’n, melde mich ab nach achtern, um das Abkuppeln zu überwachen!«, meldete der Chief und machte sich auf den Weg.

Adriana fuhr den Steuerstand wieder nach unten, blieb aber sitzen, um die Anaconda in ihre endgültige Parkposition bringen zu können.

Nur wenig später wurde auch schon vom Chief »Steuermann, fünfzehn Meter voraus!« angewiesen. Vorsichtig bewegte sie die Steuerhebel nach vorne und stoppte das Schiff, sobald sich auf einer Anzeige vor ihr die Schiffsposition um fünfzehn Meter verändert hatte.

Der Kapitän befahl: »Landestützen ausfahren! HU ausschalten!« 

Es gab nur einen kaum merkbaren Ruck, als das Schiff sanft auf den Stützen aufsetzte.

»Nabelschnur am Lichtmasten angeschlossen, Schiff ist wieder auf Fremdversorgung!«, meldete der Chief über Funk.

»Sehr schön, Chief«, meinte der Kapitän.

Er zog sich in seinen Büroraum im hinteren Teil der Brücke zurück und Adriana und Molly hatten die Brücke wieder für sich alleine. Sie hatten die Aufgabe bekommen, die Anlege-Checkliste vollends durchzuarbeiten. Diese war aber nicht sehr lang und schon nach etwa zehn Minuten hatten sie die Aufgabe abgeschlossen.

Dann war es geschafft: Die erste Etappe war beendet.

Gerade als Adriana und Molly die Brücke verlassen wollten, ertönte erneut eine Durchsage:

Zur Fähre ist der Ausstieg an Backbord, bitte begeben Sie sich zum Empfang auf der Deckebene drei!

Die Iridiummine war der laut Molly »ödeste Außenposten« der Company und hatte tatsächlich nicht mehr zu bieten als den Hafen, ein paar Gebäude und die Mine selbst.

»So hast du das dann wenigstens schon einmal gesehen«, sagte sie zu Adriana, »ab jetzt kann’s nur noch besser werden.« 

Schon startete das Rangiermanöver. Erst wurden die zwei Heckmodule von einem kleinen Schleppschiff abgezogen und in ein paar Metern Entfernung abgestellt, danach folgten die drei hier verbleibenden Module, die vom Schlepper gleich an das andere Ende des Hafens unter eine große Containerkranbrücke verbracht wurden. Die Heckmodule blieben erst einmal von der Anaconda separiert, um das Ankoppeln der von einem anderen Schiff zu übernehmenden Lademodule zu erleichtern. Da dieses Schiff aber erst einmal auf sich warten ließ, begab sich der Chief wieder zurück zur Brücke.

Schon bald langweilte Adriana sich, auch da Molly anderweitig beschäftigt war, versuchte aber, es sich nicht anmerken zu lassen. Als sie das fünfte Mal hintereinander das gleiche Bedienungshandbuch durchgearbeitet hatte, setzte sie sich vor ein Brückenfenster und beobachtete das Containerterminal.

Der Chief hatte nach einiger Zeit bemerkt, dass sie gerade großen Leerlauf hatte und rief sie daher zu sich.

»Wir haben jetzt etwas Zeit, lass’ uns daher mit dem Flugtraining beginnen«, schlug er vor.

Adriana entgegnete: »Gerne! Reicht in zehn Minuten im Hummel-Hangar?« 

Er nickte und Adriana ging kurz in ihr Quartier, um sich frischzumachen.

Im Hangar angekommen, stand der Chief schon vor einer Hummel, die Adriana als ein neueres Modell der vorletzten, vierten Bauserie identifizierte.

»Bist du schon einmal eine ›Vierer‹ geflogen?«, wollte er wissen.

»Nein, Chief, bisher nur im Simulator. Die Company muss sparen.« 

»Ich weiß. Nenn’ mich Oliver! ›Chief‹ ist mir zu förmlich.« 

Molly hatte ihr ihn als einen unfreundlichen bärtigen Kauz beschrieben, aber so kam er ihr gar nicht vor. Sie gingen um die Hummel herum und führten den vorgeschriebenen Außencheck durch. Oliver zeigte auf die Halteklammern.

»Auf die Dinger musst du achten! Die musst du nämlich nachher wieder genau treffen, damit die Hummeln nicht im Hangar umhergewürfelt werden.« 

»Ich werde es versuchen,«, versprach sie.

Er löste das Energieversorgungskabel von der Hummel und steckte es in eine Halterung. Beide nahmen in der Hummel Platz. Das Cockpit sah genauso aus, wie im Simulator, wie Adriana erleichtert feststellte. Sie arbeitete die Checkliste durch.

»Energieversorgung auf ›intern‹, Hauptschalter ist ›ein‹, Brennstoffzellen auf ›ein‹, Tankanzeige zeigt ›voll‹.« 

Oliver sprach mit der Brücke der Anaconda und dem Leitstand des Hafens.

»Alle haben ihre Freigabe erteilt, also los!«, rief er.

Adriana löste die Halteklammern, erhöhte die Leistung der Hover Units und fuhr die Landestützen ein. Langsam rangierte sie die Hummel von ihrem Standplatz zum Landedeck.

Oliver sagte: »Wir nehmen die Backbord-Ausfahrt, Steuerbord ist belegt.« 

Sie beobachteten, wie an der Steuerbordseite eine kleine Fähre landete. Die Anaconda lag in der Mitte des Hafens und da niemand zu Fuß das Gelände überqueren durfte, musste jeder die Fähre vom und zum Hafenterminal nehmen. Die Hummel schwebte nun langsam aus dem Bauch der Anaconda heraus. Auf dem Hafengelände ging es wesentlich geruhsamer zu als am Nordpol, so dass bis auf die Fähre kein anderes Fahrzeug unterwegs war.

»Wir machen zwei Runden um die Anaconda herum«, schlug Oliver vor. »So kann ich mir gleich ’mal das Schiff von allen Seiten anschauen.« 

Adriana bestätigte: »Aye, aye, Chief … ääh … Oliver!« 

Er lachte, bekam dabei sehr nett anzusehende Lachfältchen an den Augenwinkeln und seine leuchtend blauen Augen strahlten noch mehr. Er war ganz und gar kein komischer Kauz, Molly sah das vollkommen falsch. Adriana nahm sich vor, darüber mit Molly einmal reden zu wollen.

Zwei Mal flogen sie langsam um das große Schiff herum. Oliver schaute aufmerksam aus dem Fenster, hatte aber auch bei der zweiten Runde keine Beschädigungen festgestellt. Nur zwei falsch herum angebrachte Containerlaschings waren ihm aufgefallen, welche er sofort an die dafür zuständige Deckscrew weiter meldete.

Gut gelaunt meinte er: »Auf geht’s, wir machen noch eine große Runde um den Hafen und die Mine!« 

Er meldet sie beim Leitstand des Hafens an und sie bekamen eine sofortige Freigabe. Adriana manövrierte die Hummel geschickt im Slalom um ein paar abgestellte Lademodule herum. Einem plötzlich auftauchenden kleinen Schleppschiff wich sie geschickt aus. Wie schon bei der großen Anaconda stellte sie sich auch hier als Naturtalent heraus. Oliver war der Ansicht, dass die Company wohl alles richtig gemacht hatte, als sie diese junge Frau eingestellt hatte. Er wollte gleich nach seiner Rückkehr auf die Anaconda mit dem Kapitän darüber sprechen.

Ohne einen Kratzer zu hinterlassen, steuerte Adriana auch diese Hummel zurück in den Hangar. Oliver schrieb »Trainingsflug« in das Logbuch, sie stiegen aus der Hummel aus, kontrollierten die Halteklammern und schlossen sie wieder an die Energieversorgung der Anaconda an.

Der Chief meinte: »Eigentlich muss ich mich jetzt um irgendwelchen Papierkram bei der Ladung kümmern, aber viel lieber würde ich mit dir noch die Mark-5-Hummel anschauen und einmal vom Flugdeck um die Anaconda herum und zurück fliegen. Das andere Schiff ist sowieso noch nicht da. Das ist doch viel besser, oder?« 

Adriana lachte und nickte heftig. Ihr wurde der Chief immer sympathischer.

Auch eine Hummel der neuesten Generation beherrschte sie ohne Probleme und Oliver war hoch zufrieden, als er das Training für beendet erklärte.

Auf dem Weg zu ihrem Quartier lief Adriana Molly über den Weg.

»Du, Oliver ist doch gar nicht so schlimm, wie du immer behauptet hattest.« 

»Aha! Oliver, soso.«, stellte Molly fest. »Ihr wart jetzt wasweißich wie lange zusammen draußen ’rumfliegen. Habt ihr was miteinander? Du fängst ja früh an.« 

»Hör’ auf! Molly, ehrlich, er könnte mein Vater sein!« 

Beide lachten und sie gingen gemeinsam zu ihren Quartieren.

Das Schiff, von dem die Anaconda Ladung übernehmen sollte, hatte jetzt wegen eines Antriebsdefekts mindestens einen zusätzlichen halben Tag Verspätung hinzubekommen. Die Aussicht, deswegen hier lange untätig herumsitzen zu müssen, fand Molly nicht gerade berauschend. Wie auf jeder größeren Mine, so waren auch hier von der Company ein paar Freizeiteinrichtungen eingerichtet worden. Das Spielkasino war dabei der beliebteste Ort, hier konnten die Minenarbeiter ihren Lohn der Company gleich wieder zurück geben, wie Molly spöttisch meinte. Sie machte daher einen Vorschlag, den Adriana nicht ablehnen konnte.

»Wir beide gehen jetzt ins Spielkasino. Du kommst doch sicher mit, oder?« 

Adriana war skeptisch: »Aber ich habe doch gar nichts zum Anziehen! Soweit ich weiß, darf man da doch gar nicht in Uniform rein!« 

»Aber natürlich hast du etwas, du bist doch gerade aus der Zivilisation hergekommen«, meinte Molly.

Adriana lachte schallend und ging in ihre Kabine. Aus ihrem Kleiderschrank suchte sie das Schickste aus. Sie hatte zwar von den Spielkasinos gelesen, aber nicht damit gerechnet, schon an zweiten Tag in eines gehen zu müssen.

Nachdem sie sich umgezogen hatte, betrachtete sie sich im Spiegel und beschloss, dass es besser nicht ginge, was wahrscheinlich eine grobe Untertreibung darstellte.

Molly erwartete sie schon im Korridor vor ihrer Kabine.

»Adriana, du siehst klasse aus!« 

Ihr Aussehen wurde aber durch den Augenschutz wieder relativiert, so dass Adriana es nicht mehr ganz so unangenehm vorkam.

»Warum brauchen wir eigentlich diesen komischen Augenschutz?«, fragte sie.

Molly antwortete: »Da fliegt irgend ein spezielles Iridiumerz in der Luft ’rum, was schädlich für die Augen ist. Aber du musst das Ding nur außerhalb von Gebäuden tragen.« 

Schon ertönte die Durchsage, dass eine Fähre in etwa zwanzig Minuten ablegen sollte, und sie waren bereit zum Aufbruch.

Auch Molly hatte sich entsprechend herausgeputzt, und so zogen beide alle Blicke auf sich, als sie von der Fähre zum Kasino gingen. Besonders die Männer, die eindeutig als Minenarbeiter zu erkennen waren, schienen sie mit ihren Blicken ausziehen zu wollen, wie Adriana fand.

»Ich habe einen kleinen Teleskopschlagstock in meiner Handtasche«, sagte Molly leise.

Adriana schob sich den Augenschutz wieder über die Augen und ergänzte: »Und ich habe außerdem den dritten Dan im Ju-Jutsu.« 

»Dann ist ja alles gut«, meinte Molly und hakte sich bei Adriana unter. »Was spielen wir?« 

Adriana war sich bewusst, dass sie Ereignisse, die ein paar Minuten in der Zukunft lagen, voraussehen oder zumindest erahnen konnte. So etwas war für ein Kasino natürlich ideal; sie durfte sich bloß nicht zu auffällig verhalten, dass es verdächtig erschien. Das hieß, dass sie zwischendurch immer wieder einmal etwas verlieren musste, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Blackjack und Poker wurden sofort von ihrer Liste gestrichen, da diese Spiele am genauesten im Kasino überwacht wurden. Sobald eine Aufsicht bei einem Spieler erkannte, dass dieser die Karten zählte oder sich alle Karten merkte, wurde er des Kasinos verwiesen und bekam sogar Hausverbot. Adriana konnte sich erst recht nicht damit herausreden, dass sie ja gar keine Karten zählte, sondern in die Zukunft blickte. Roulette dagegen wurde nicht so stark überwacht und bot auch mehr Möglichkeiten, die Chips auf etwas anderes als auf einzelne Zahlen zu setzen, wie Rot oder Schwarz oder Bereiche von Zahlen.

»Roulette!«, legte Adriana daher fest.

Molly fühlte sich unsicher. »Wenn du meinst…« 

»Vertraue mir«, meinte Adriana und zwinkerte mit ihrem rechten Auge.

Sie setzten sich also an einen Roulettetisch, an dem sich noch zwei freie Plätze befanden. Adriana gab dem Croupier eine Debitkarte, auf der sich ein bescheidenes Guthaben befand, und sie erhielt dafür eine entsprechende Anzahl Chips. Adriana gab Molly mit den Worten »das geht heute auf mich« ein paar Chips und sie begannen ihr Spiel.

Sie gewann langsam, aber stetig. Soweit sie die Croupiers beobachten konnte, erregte Adriana mit ihrem Spiel kein Aufsehen. Ab und zu schob sie Molly ein paar Chips zu. Sie achtete sehr darauf, dass die Chipsstapel, die sich vor ihr auftürmten, nicht zu schnell wuchsen; sie wusste aber, dass die ganze Aktion äußerst riskant war und sie ihren neuen Job ganz schnell wieder verlieren konnte. Auch nach knapp drei Stunden hatte aber noch niemand auf ihre Schulter geklopft und sie gebeten, mitzukommen.

Adriana beschloss, dass es Zeit war, aufzuhören, auch da Molly gerade ihren letzten Chip verspielt hatte.

Sie hatten sich Zeit gelassen und es war deswegen schon recht spät geworden. Auch am Umtauschschalter erregten sie kein Aufsehen und Adriana ließ sich den Gewinn auf auf ein paar Debitkarten auszahlen. Eigentlich fand sie ihre Taktik gar nicht schlecht, auf diese Art und Weise ihr Gehalt aufbessern zu können. Wieder gab sie Molly etwas ab und erstickte ihren Widerspruch gleich mit einem Themawechsel im Keim.

»Jetzt kaufen wir dir noch etwas Schönes zum Anziehen. Ich sehe gerade, dass die Läden noch aufhaben.« 

Die Bekleidungsgeschäfte waren aber nicht wirklich auf die Bedürfnisse junger Frauen ausgelegt. Das wenige, was es zu kaufen gab, war aber recht ansehnlich und auch eher neutral gehalten, was Adriana sowieso bevorzugte.

»Gibt’s auf der Anaconda eigentlich eine hundertprozentige Uniformpflicht?«, wollte sie wissen.

»Nicht außerhalb von Wachen«, antwortete Molly. »Der Kapitän nimmt es nicht so streng. Und die Paras laufen sowieso den ganzen Tag in Uniform herum.« 

Mit ein paar Einkaufstüten bepackt kehrten sie fröhlich auf die Anaconda zurück.

»Das war ein sehr schöner Abend!«, sagte Adriana zu Molly, als sie sich vor Mollys Kabine voneinander verabschiedeten.

»Adriana, ich finde es klasse, hier an Bord jetzt eine richtige Freundin zu haben – noch dazu mit einem schwarzen Gürtel in Ju-Jutsu und einer unglaublichen Glückssträhne!« 

Die so Angesprochene erwiderte lieber nichts. Ihre speziellen Fähigkeiten wollte und musste sie geheim halten, auch vor ihrer jetzt besten Freundin.

Molly umarmte sie lange und Adriana kam sich etwas seltsam vor. Sie spürte Mollys Atem direkt an ihrem Ohr.

»Molly, mich hat schon lange nicht mehr jemand umarmt; ich wusste schon gar nicht mehr, wie sich das anfühlt. Danke!« 

Das war sogar ehrlich gemeint.

Molly hauchte ein »gern geschehen« und ging in ihre Kabine.

Adriana versteckte die Debitkarten hinter einem Wandpaneel in ihrer Kabine und legte sich dann ein wenig schlafen.

Als sie nach zwei Stunden wieder auf die Brücke kam, hatte sich das andere Schiff, von dem sie Ladung übernehmen sollten, durch einen Sandsturm noch weiter verzögert. Wiederum schlug Oliver vor, noch einen weiteren Trainingsflug mit einer Hummel zu absolvieren. Adriana kam aber sehr schnell mit der Mark-5-Hummel auch außerhalb der Anaconda zurecht und Oliver sah sich gezwungen, ihr wiederum ein großes Lob auszusprechen. Dann wurde der Trainingsflug jäh unterbrochen, als die Nachricht hereinkam, dass das andere Schiff mit der zu übernehmenden Ladung sich doch schon im Landeanflug auf den Hafen befand. Fast zeitgleich mit dem anderen Schiff kamen sie mit der Hummel wieder im Hafen und bei der Anaconda an.

Nachdem die Hummel wieder fest im Hangar verankert worden war, machte sich Oliver sofort auf den Weg nach achtern, um das Ankoppeln der vom anderen Schiff übernommenen Lademodule zu überwachen. Adriana bewegte sich schnurstracks hinauf zur Brücke und nahm im Steuerstand Platz.

Flugs waren die zusätzlichen Lademodule vom anderen Schiff abgekoppelt und mit einem kleinen Schlepper neben die Anaconda gebracht worden. Der Kapitän ließ die HU aktivieren und die Landestützen einfahren, so dass das Schiff wieder schwebte. Am Nordpol hatte Adriana ein bereits fast fertig zusammengestelltes Schiff übernehmen können, hier jedoch waren noch einige Rangierarbeiten erforderlich, um die zusätzlichen Lademodule in den Verband zu integrieren. Inzwischen hatte sie den Steuerstand wieder in die Steuerkanzel hochgefahren, war aber zum Ankoppeln trotzdem auf die Anweisungen des am Heck stehenden Chiefs angewiesen. Zunächst einmal manövrierte sie das Schiff vorsichtig seitwärts bis vor die zusätzlichen Lademodule, um dann nach den Anweisungen des Chiefs an diese anzukuppeln. Nun bewegte sie diesen Verband wieder seitwärts, um an die anderen Lademodule und das Heckmodul anzukoppeln.

Adriana drehte den Steuerstand wieder herum und gab leichten Schub voraus. Durch die zusätzliche Ladung reagierte das Schiff etwas zäher und der Chief war froh, dass die Company ihnen dieses Mal zwei Heckmodule zugeteilt hatte.

»Iridium Control, hier ist Eins-Fünf-Zwei«, funkte Molly, die inzwischen wieder auf die Brücke gekommen war. »Ladungsübernahme beendet, bereit zum Abflug.« 

»Eins-Fünf-Zwei, hier ist Control. Frei für Verlassen Hafen, frei via Canyon bis Bake Grün, dann frei auf Grün.« 

»Verstanden, Control. Alles frei bis Bake Grün.« 

Die nächste Route, die sogenannte »Grüne Route«, sollte sie bis zu ihrem nächsten Ziel, einer großen Kupfermine, führen. Auch hier gab es eine kleinen Leuchtturm, der genau wie der andere aussah, den sie auf der Hinfahrt passiert hatten, nur war dieser eben grün anstatt blau angestrichen.

Nachdem sie die Bake passiert hatten, ging Adriana auf Befehl des Kapitäns sofort auf volle Geschwindigkeit, damit sie die verlorene Zeit wieder aufholen konnten. Als der Autopilot wieder die Steuerung übernahm und das Schiff kurz darauf in den Bodeneffektflug überging, konnte sie beobachten, wie die Farbe des Bodens langsam von rostbraun in ein schmutziges Grün überging. Der Name »Grüne Route« war passend gewählt worden.

»Höherer Eisengehalt geht in höheren Kupfergehalt über«, erklärte der Chief die Bodenfarben. »Jetzt kommen demnächst ein paar Dünen, dann eine Ebene, wieder Dünen und dann erreichen wir die Kupfermine.« 

Adriana wollte wissen, wann die nächste Hummel-Trainigseinheit anstand. Der Chief meinte, dass er gleich ein paar Lektionen überspringen und sofort mit dem Schwierigsten weitermachen wollte, nämlich Start und Landung mit einer Hummel bei einem sich bewegenden Wüstenschiff innerhalb von Dünen, wo es nicht viel Manövrierspielraum gab.

Sie schaute abwechselnd ihn und den Kapitän skeptisch an.

»Miss Dubajič«, meinte der Kapitän, »Sie sind schon so gut mit den Hummeln unterwegs, dass wir meinen, Ihnen hier ruhig einmal etwas abzufordern!« 

Sie spürte, wie sie leicht heiße Ohren bekam. Molly schaute von ihrer Navigationskonsole auf und lächelte sie an, Adriana lächelte zurück.

»Machen Sie eine Pause!«, fuhr der Kapitän fort. »Wir brauchen Sie hier oben dann wieder in voller Frische, wenn wir durch die Dünen müssen.« 

Sie legte sich in ihre Koje und begann zu dösen.

Nach etwa drei Stunden ertönte ihr Weckruf.

Die ersten wirklich großen Dünen lagen jetzt vor ihnen. Molly hatte zwar einen Kurs ermittelt, so dass möglichst wenig steile Dünen zu überqueren waren, dennoch begann es jetzt eine recht unruhige Fahrt zu werden. Der Wind hatte außerdem durch die stärkere Sonneneinstrahlung etwas aufgefrischt, so dass auf den Dünenkämmen mit plötzlich auftretenden Böen zu rechnen war.

Adriana setzte sich wieder in den Steuerstand und fuhr mit diesen nach oben in die Kanzel, um besser sehen zu können. Sie verließen den Bodeneffektflug und gingen in einen langsamen Schwebeflug über. Es ertönte ein Gong und der Hinweis an die Besatzung – Passagiere waren ja keine mehr an Bord –, dass nun mehrere Dünen überquert werden mussten und es etwas unruhiger werden konnte.

Zuerst lag eine flach ansteigende, aber dafür recht große Düne vor ihnen. Adriana drosselte die Fahrt und drehte das Schiff so, dass sie in einem Winkel von etwa fünfundvierzig Grad die Düne hinauffuhren.

Um die Schräglage etwas auszugleichen, befahl der Kapitän: »Backbord-HU plus zwanzig, Steuerbord-HU minus zwanzig!« 

Der Chief drückte auf die entsprechenden Symbole auf der Steuerkonsole für die Hover Units. Als der Dünenkamm erreicht war, traf sie eine Windböe mit voller Wucht. Adriana hatte aber rechtzeitig gegengesteuert, so dass es nur eine minimale Kursabweichung gab. Nun ging es auf der anderen Seite der Düne wieder herunter. Der Chief regelte die Hover Units jetzt genau entgegengesetzt, so dass das Schiff wiederum nur eine minimale Schräglage aufwies.

Die nächste Düne war etwas steiler und darauf folgte eine etwas flachere, aber auch diese wurden von Adriana souverän überwunden.

»Wieder sehr gute Arbeit, Miss Dubajič«, lobte der Kapitän. »So ruhig bin ich noch nie über eine Düne gesteuert worden!« 

Dank des von Molly ermittelten Kurses war das Dünenfeld schon nach kurzer Zeit überwunden. Auf der sich anschließenden Ebene konnte die Anaconda wieder beschleunigen und zügig im Bodeneffektsflug vorankommen.

Adriana hatte sich erst etwa eine Dreiviertelstunde in ihre Kabine zurückgezogen, da gab es zum zweiten Mal auf dieser Reise einen All Hands On Deck-Alarm. Ein automatisches Warnsystem hatte mit dem Radar einen Sandsturm entdeckt, der ihren Kurs kreuzte. Molly zeigte Adriana das Radarbild, auf welchem ein breiter matter Streifen die linke obere Ecke einnahm und immer mehr das Bild ausfüllte.

»Lange Tage ohne Finsternis begünstigen Sandstürme, weil es dann sehr heiß wird«, erläuterte sie. »In der Sandwolke befinden sich viele Metallerzpartikel, daher ist sie für unser Radar fast undurchdringlich.« 

Der Kapitän befahl der Deckscrew, noch einmal alle Befestigungen und Verlaschungen der Container zu überprüfen. Er ließ Adriana die Geschwindigkeit reduzieren, so dass die Anaconda jetzt wieder mit den Hover Units flog.

»Gehen Sie runter auf fünfzehn Knoten; ich möchte nicht, dass die Deckscrew von Bord geweht wird!« 

»Aye, aye, Käpt’n!« 

Fünfzehn Knoten waren natürlich etwas anderes als dreihundert Knoten und der Chief sah ihren Zeitplan, der sowieso schon äußerst strapaziert war, durch den Sandsturm noch mehr ins Wanken geraten. Er fuhr die Tragflächen ein, die nur für den Bodeneffektflug benötigt wurden.

Schon trafen die ersten Böen das Schiff und Adriana wechselte auf manuelle Steuerung, um besser gegensteuern zu können. Der Kapitän machte eine Ansage für das ganze Schiff, dass ein Sandsturm zu erwarten war.

»Deckscrew ist wieder drinnen, alles ist fest«, wurde gemeldet.

Der Kapitän befahl: »Dann kann es ja losgehen. Alle Sandschotten dicht!« 

Die Innenbeleuchtung schaltete sich ein und gleichzeitig fuhren die Schotten, die aus einer Spezialkeramik bestanden, vor alle Fenster der Brücke. Der Chief sah auf seinem Bildschirm, dass sich die Schotten auch vor allen anderen Fenstern des Schiffs und dem Flugdeck geschlossen hatten.

Er zeigte auf die Schotten: »Adriana, die Dinger sind notwendig, denn dieser Sand ist wie Schleifpapier. Ein paar solcher Stürme, und die Scheiben wären alle blind!«.

Die Schotten besaßen nur kleine Aussichtsluken aus einem transparenten keramischen Werkstoff namens »Aluminiumoxynitrid«, einem sehr harten durchsichtigen Material. Da dieses Material aber sehr teuer war, hatte die Company nicht die gesamte Brückenverglasung, sondern nur kleine Luken damit ausgestattet. Durch so eine Luke musste Adriana jetzt schauen, als sie das Schiff mitten in den heranziehenden Sturm steuerte. Wieder einmal verdunkelte sich die Sonne, aber dieses Mal war es keine Sonnenfinsternis, sondern der aufgewirbelte Sand war so dicht, dass nur noch ein hellbraunes Dämmerlicht vorhanden war.

»Adriana, drehen Sie das Schiff in den Wind und gehen sie auf fünfundzwanzig Knoten«, befahl der Kapitän.

Die so Angesprochene war überrascht, denn seit sie an Bord gekommen war, hatte er sie noch nie mit Vornamen angesprochen. Sie führte die befohlene Kursänderung durch und ließ die Anaconda ein wenig beschleunigen.

Der Gegenwind war jetzt so stark, dass die Anaconda trotzdem erheblich an Geschwindigkeit verlor. Adriana musste den Schub der Triebwerke erhöhen, konnte aber nicht die Haupttriebwerke des Heckmoduls verwenden, da deren in Bugrichtung liegende Einlassöffnungen ebenfalls durch Schotten verschlossen waren, damit kein Sand hinein kam. Die kleineren Hilfstriebwerke hatten ihre Einlassöffnungen dagegen an der Seite, boten aber nicht so viel Leistung. So blieb das Schiff auf einer Geschwindigkeit, mit der es nur knapp dem Gegenwind trotzen konnte.

Adriana meinte daher: »Das wird aber eng, Käpt’n!« 

Sie versuchte außerdem, das Schiff immer genau mit dem Bug gegen den Wind zu halten, was durch leicht ausscherende Böen aber erschwert wurde. Auf keinen Fall durfte die hoch aufragende Breitseite des Schiffs in den Wind geraten, die Gefahr des Umkippens war zu groß.

Langsam wurde ihr immer klarer, warum es »Wüstenschiff« hieß.

Nach knapp zwei Stunden, in denen das Schiff vom Wind kräftig durchgeschüttelt wurde, war der Sandsturm dann so schnell wieder abgezogen, wie er gekommen war. Schon gab der Kapitän die ersten Befehle.

»Molly, Position und neuen Kurs bestimmen! Chief, Schotten wieder hoch, mögliche Schäden sichten – und ich will wieder den verdammten Sand schnell von meinem Schiff runter haben! Adriana, voller Halt! Wir bleiben erst einmal hier, bis wir sicher sein können, dass die Anaconda voll einsatzfähig ist. Ich möchte nämlich nicht, dass uns dann bei dreihundert Knoten irgendetwas um die Ohren fliegt!« 

»Das war aber ein ganz, ganz heftiger!«, stellte der Chief fest, als er die Sturmdaten von einem Bildschirm ablas. »Spitzenböen bis dreihunderteinundzwanzig Knoten; das ist schneller, als wir überhaupt fliegen können. Oh, und es gab bis zu fünfhundert Gramm Sand pro Kubikmeter Luft! Das ist, glaube ich, alles in allem ein neuer Rekord!« 

Adriana schaute ihn an. Der erste Sandsturm, den sie hier auf dem Wüstenmond miterleben musste, war also offensichtlich gleich ein Rekordhalter. Wenn sie so einen Sturm überstanden hatte, dann konnte ja nichts mehr schief gehen.

Trotz des starken Sturms waren am Schiff aber keine größeren Schäden festgestellt worden, die sie womöglich an der Weiterfahrt hindern konnten.

»Da ist ja gar nicht so viel Sand auf dem Schiff. Der fliegt von selbst wieder runter«, meinte der Chief.

Auf den Befehle des Kapitäns hin nahm die Anaconda langsam wieder Fahrt auf und Adriana konnte beobachten, wie der sich im Sturm angesammelte Sand nach und nach von Bord geweht wurde.

Molly meldete: »Wir haben ein paar Meilen Kursabweichung, aber nichts Dramatisches.« 

Sie gab Adriana den neuen Kurs durch und das Schiff beschleunigte weiter. Die Tragflächen wurden wieder ausgefahren und bald setzte der Bodeneffektsflug ein, so dass die Hover Units abgeschaltet werden konnte. Nach kurzer Zeit war die Anaconda auf Reisegeschwindigkeit und der Autopilot übernahm wieder Adrianas Arbeit.

Molly hatte ermittelt, dass sie durch den Sturm etwa drei Stunden Verspätung ihrem sowieso schon verspäteten Flugplan hinzugefügt hatten. Sie würden aber ihre Anschlussfracht voraussichtlich noch rechtzeitig aufnehmen können, bloß Landgang oder Ähnliches musste allerdings dann ausfallen.

Der Kapitän hob wieder das All Hands On Deck auf und alle hatten sich jetzt eine Pause verdient.

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