Kapitel 9
Die Nachrichten

7 Vorfälle | 90 Minuten | 1 Restaurant

Wieder zurück auf Tronòc hatte sie der Arbeitsalltag beim DIID wieder und parallel führten sie ihre auf dem Schiff begonnenen Ermittlungsarbeiten fort – wenn auch mehr oder weniger inoffiziell. Anders und Nèřá befragten als erstes einen alten tronischen Mann.

Anders wurde unruhig: »Was redet der da für einen tronischen Dialekt? Ich verstehe immer nur ›Hüter des Gesetzes‹. Was hat die Polizei damit zu tun?« 

Nèřá antwortete: »Ich nehme an, dass es eine Art Mittelniedertronisch ist.« 

Anders schüttelte den Kopf.

»Mittelniedertronisch! Manchmal seid ihr Blauen – bitte entschuldige – wirklich schon etwas seltsam«, meinte er und wandte sich wieder dem alten tronischen Mann zu. »Also, welche Polizei? Wir waren das definitiv nicht.« 

Der alte Mann lies daraufhin einen wilden tronischen Wortschwall auf Nèřá los. Sie hörte ihm zu und als der Wortschwall verstummte, fasste sie zusammen, dass er jetzt schon den dritten Besuch von der Polizei gehabt hatte und dass es jedes Mal andere Polizisten waren. Die ersten wären sehr brutal gewesen und hätten ihn geschlagen. Die zweiten hätten blaue Ausweise gehabt.

»Militärpolizei?«, fragte sich Anders. »Das kann doch gar nicht sein.« 

Der alte Mann ergänzte, dass, obwohl sie eine Nèk’ha wäre, sie doch von den Hütern des Gesetzes die netteste gewesen sei, die ihn aufgesucht hätte. Das »obwohl« überhörte sie dabei taktvoll.

»Also«, meinte Anders, »fest steht, dass der Diebstahl der Waffen ein Militärdepot betraf. Daher ergibt das mit der Militärpolizei auch einen gewissen Sinn. Aber seit Kriegsende gibt es keine Militärpolizei mehr, auch für Militärangelegenheiten ist jetzt das DIID zuständig. Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht.« 

Nèřá fragte noch einmal nach, aber der alte Mann konnte oder wollte sich nicht mehr daran erinnern. Lediglich einen Hinweis auf den Verbleib eines der Entführer von Toĝòfs Familie, einen Nèk’h mit einem auffälligen Irokesenschnitt, konnten sie ihm entlocken. Taé hatte diesen Nèk’h als eine der Personen beschrieben, die sie gefangen gehalten und gefoltert hatten.

Sie kehrten zum DIID zurück, wo Mike schon auf sie wartete.

»Mike, er wurde zuletzt in ›Little Seoul‹ gesehen und ist dort wohl untergetaucht.« 

»Ich wohne aber nicht dort«, warf dieser ein. »Meine Oma wohnt nicht dort und das Restaurant meines Onkels ist dort auch nicht, weil es dort einfach zu gefährlich ist. Ich habe aber noch Kontakte aus meiner Undercover-Zeit. Ein Gangboss schuldet mir noch einen Gefallen… Nèřá, schau’ mich nicht so an – wir haben so etwas auch.« 

Anders fragte: »Ist deine Tarnung noch intakt? Kannst du dort ungefährdet Informationen einholen?« 

Mike nickte.

»Ich gehe mit, man kennt mich im Koreaner-Viertel nicht«, meinte Nèřá.

In »Little Seoul« schien Mike tatsächlich noch sehr bekannt zu sein. Nèřá war erleichtert, dass zumindest in den ersten Minuten nicht gleich das Feuer auf sie eröffnet worden war. Mike sprach zu allen, denen er begegnete, ein paar koreanische Worte. Auch alle mehr oder weniger deutlich nach Gangmitglied aussehenden Personen, die Mike zunächst aufhielten, ließen ihn nach kurzer Zeit passieren. Schließlich wurden sie in einen Büroraum eines Nachtclubs geführt. Hinter einem Nèřás Ansicht nach viel zu großen und sehr protzigen Schreibtisch saß ein am ganzen Körper tätowierter asiatisch aussehender Mann, der nun aufstand und Mike herzlich begrüßte. Der Mann, Nèřá hielt ihn für einen Gangsterboss, bot Mike und Nèřá Sitzplätze in zwei großen Ledersesseln an.

»Ich habe dich wirklich lange, lange nicht gesehen«, begann der Gangsterboss das Gespräch. »Es stimmt also, was mir zugetragen wurde. Du bist tatsächlich untergetaucht.« 

Mike entspannte sich. Seine Tarnung schien also noch intakt zu sein.

»Das ist korrekt. Nachdem das TCPD uns aufgemischt hatte, bin ich erst einmal von der Bildfläche verschwunden. Außerdem habe ich die Branche gewechselt.« 

»Du machst also nicht mehr in AirCars?« 

»Nein, ich bin jetzt freiberuflicher IT-Security-Consultant.« 

»Also ein Miet-Hacker!« 

Mike lachte und der Gangsterboss stimmte in das Lachen ein. Nèřá schloss daraus, dass das Eis wohl jetzt endgültig gebrochen war.

»›Hacker‹ ist so ein garstiges Wort… Seit kurzem habe ich darüber hinaus ein weiteres Geschäftsfeld: Personenschutz.« 

Er merkte, wie der Gangsterboss Nèřá anstarrte, fuhr aber unbeirrt fort.

»Also, zum Grund meines Besuchs: Ich suche jemanden, einen Nèk’h, der in deinem Zuständigkeitsbereich zuletzt gesehen wurde. Kannst du mir hier bitte weiterhelfen? Du schuldest mir ja noch einen Gefallen.« 

Der Gangsterboss antwortete mit einer Gegenfrage: »Apropos Nèk’h: Wer ist die kleine Blaue da?« 

Mike antwortete mit fester Stimme: »Sie ist zum meinem Schutz hier. Sie ist mein Bodyguard.« 

Der Gangsterboss setzte ein schiefes Grinsen auf. Er wollte gerade »Wollt ihr mich für dumm verkaufen?« fragen, da schob Nèřá ihre Jacke zur Seite. Deutlich war ein Schulterhalfter und eine darin steckende große Handfeuerwaffe zu sehen. An einem Gurt des Schulterhalfters war außerdem eine Messerscheide befestigt, in der ein kleiner tronischer Krummdolch steckte.

»Es sind gefährliche Zeiten, heutzutage«, meinte sie trocken.

Der Gangsterboss zog erstaunt seine Augenbrauen hoch und Nèřá schaute ihn triumphierend an.

»Nachdem das also geklärt ist, also nochmal zu meinem Anliegen«, fuhr Mike fort. »Nèk’h, männlich, auffällige Frisur, roter Irokesenschnitt. Warum ich ihn suche, ist nicht relevant. Noch etwas: Ich brauche ihn lebend.« 

»Ich kümmere mich sofort darum, danach sind wir quitt. Deal?« 

»Deal!«, bestätigte Mike.

Der Gangsterboss stand auf, schüttelte Mike die Hand und meinte: »Nèk’h-Bodyguard. Gefällt mir.« 

»Kann ich dir nur wärmstens empfehlen. Nèk’h sind sehr schnell lernfähig, sehr loyal und äußerst zäh. Ich mache ja jetzt in Personenschutz und kann dir ein paar vermitteln.« 

Nèřá ergänzte mit einem Augenaufschlag: »Ich bin leider schon dauerhaft verplant – für seinen persönlichen Schutz.« 

Der Gangsterboss lachte und klopfte Mike auf die Schulter.

Nachdem sie »Little Seoul« unbehelligt wieder verlassen konnten und in ihren AirCar eingestiegen waren, atmete Mike erleichtert durch.

»Ich hätte nicht gedacht, dass ich die Undercover-Nummer noch so gut drauf habe.« 

Nèřá bestätigte: »Du bist ein verdammt cooler Undercover-Cop. So jemanden hätte ich vor einiger Zeit gerne beim TCPD gehabt.« 

»Ich bin hier aber nur der Techniker. Du hast übrigens sehr gut mitgespielt, obwohl wir vorher ja gar nichts abgesprochen hatten.« 

Nèřá küsste ihn und sie flogen zurück in Richtung Downtown.

Nach einiger Zeit überraschte Nèřá mit einer Frage: »Und wie war das eigentlich mit ›schnell lernfähig‹ und ›äußerst zäh‹?« 

»Äähm, das sollte eigentlich überhaupt nicht negativ gemeint sein.« 

Wieder war Mike erstaunt, dass Nèk’h immer noch kein Lob gewohnt waren und auch ein verstecktes nicht als solches in der Lage zu erkennen waren.

Mike fand eine entscheidende Verbindung zwischen den Fällen heraus. Er hatte nämlich mit einer Simulationssoftware herausgefunden, dass die Rathaus-Bombe nicht an der Stelle mit der maximalen Zerstörung detoniert war, sondern nur den Techniktrakt mit dem Rechenzentrum und dem IT-Bereich der Stadtverwaltung getroffen hatte. Im Rechenzentrum war zentral die Zugangssteuerung aller Sicherheitsbereiche untergebracht. Eine Massenflucht aus mehreren Gefängnissen konnte allerdings verhindert werden, da deren Reservesysteme nach dem Ausfall des zentralen Rechenzentrums ordnungsgemäß ihren Betrieb aufnahmen. Im ausgeraubten Waffenlager sah es dagegen deutlich anders aus, da dort das Reservesystem wegen Bauarbeiten einen Tag vorher außer Betrieb genommen worden war. Somit gab es nach dem Ausfall des zentralen Rechenzentrums dort kein funktionierendes Alarmsystem und keinen funktionierenden Zutrittsschutz mehr.

»Die haben also einen halben Stadtteil verwüstet, nur um an ein paar Waffen zu kommen…«, wunderte sich Jean-Jacques.

Aus »Little Seoul« hatte Mike schon am nächsten Tag einen Hinweis auf einen möglichen Aufenthaltsort des Nèk’h mit dem roten Irokesen-Haarschnitt bekommen. Endlich hatten sie die Spur eines der Entführer aufnehmen können.

Jean-Jacques und Nèřá stellten ihren AirCar in einer Seitenstraße ab und begaben sich zum Eingang des Wohnblocks, in welchem der Nèk’h sich angeblich aufhalten sollte. Gerade als sie am Garagentor des Wohnblocks vorbeigingen, öffnete sich dieses und ein AirCar kam langsam herausgeschwebt.

Jean-Jacques rief »War er das?«, als er einen kurzen Moment lang den Fahrer sehen konnte. Die rot leuchtenden Haare waren unverkennbar.

»Ja, das war er!«, antwortete Nèřá.

»Nèřá, laufe vor zur Hauptstraße und versuche, das Kennzeichen zu ermitteln! Dann funke Mike an und lasse ihn den Transponder des AirCars verfolgen! Ich hole den AirCar!« 

Er drehte sich um und lief zum AirCar zurück. Nèřá hatte aus dem Fahrzeugpool des TCPD, dessen Leiter ihr noch einen Gefallen schuldete, ein voll ausgestattetes Zivilfahrzeug ausgeliehen bekommen und so schaltete Jean-Jacques das Blaulicht ein, als er den AirCar aus der Parklücke manövrierte. An der Einmündung der Seitenstraße öffnete er von innen die Beifahrertür und Nèřá sprang hinein.

»Links, Richtung Expressway!«, rief sie.

Jean-Jacques aktivierte die Sirene und fädelte den AirCar in den Querverkehr ein, der nur widerwillig Platz schaffte. Mike hatte sich auf beide Komlets aufgeschaltet und so konnten Nèřá und Jean-Jacques gleichzeitig hören, welche Route der andere AirCar nahm. Nachdem er die Fahrzeugzulassungsdatenbank abgefragt hatte, konnte Mike noch eine interessante Zusatzinformation weitergeben. Der AirCar war auf eine der diversen Tarnfirmen des Staates zugelassen. Sie waren also auf der richtigen Spur.

Sie wurden von Mike in sicherem Abstand und teilweise in Parallelstraßen zum anderen AirCar geführt. Je weiter sie allerdings in Außenbezirke vordrangen, desto weniger dicht wurde der Verkehr und desto weitmaschiger wurde das Straßennetz, so dass sich nicht immer in Parallelstraßen folgen konnten. Jean-Jacques schaltete Blaulicht und Sirene aus, um nicht unnötig aufzufallen. Es war aber nur eine Frage der Zeit, bis der andere Nèk’h sie entdecken würde.

Nachdem sie in eine Seitenstraße eingebogen waren, beschleunigte der andere AirCar unerwartet, schlug ein paar Haken und bog in einem engen Bogen in die nächste Querstraße ein.

»Na gut, er hat es nicht anders gewollt: Dann eben ›Old School‹!«, rief Jean-Jacques.

Nèřá fragte: »›Old School‹?« 

»Na eben nicht so neumodischer Kram, wie Transponder-Tracking, sondern eine gute, alte Verfolgungsjagd! Das geht nicht gegen dich, Mike«, meinte er grinsend, zog seinen Sicherheitsgurt straffer und bewegte den Fahrhebel schnell nach vorne.

Die Fahrt führte sie durch ein Industriegebiet, in dem der Wiederaufbau nur sehr schleppend voran gekommen war und daher noch viele unaufgeräumte Trümmergrundstücke zu sehen waren. Der andere AirCar versuchte, immer wieder zu entkommen, indem er abseits der Straßen über diese Trümmergrundstücke flog. Jean-Jacques folgte aber jeder seiner Flugbewegungen und als er den Abstand zum anderen AirCar immer weiter verringern konnte, wurden dessen Flugmanöver immer waghalsiger. Es war daher nur eine Frage der Zeit, bis dieser mit einem Gebäude oder Trümmern zusammenprallen würde.

Es dauerte tatsächlich nicht lange, bis der AirCar in einer besonders eng geflogenen Kurve mit dem Heck eine Hausecke berührte, so dass Steinbrocken herunterfielen. Sofort sackte der AirCar nach links hinten ab, da durch den Aufprall eine oder mehrere Schwebemagnetspulen ausgefallen zu sein schienen. Der AirCar taumelte hin und her und setzte nach wenigen Metern funkensprühend auf dem Boden auf. Vor einem Hauseingang kam der AirCar zum Stehen, die Fahrertür wurde geöffnet und der Nèk’h mit dem roten Irokesenhaarschnitt sprang heraus. Jean-Jacques setzte seinen AirCar direkt daneben auf, während der Nèk’h im Hauseingang verschwand. Nèřá stieg ebenfalls aus und schaute in den Innenraum des anderen AirCars. Sie sagte, dass sich keine weiteren Personen darin befanden.

Sie entdeckte den in die Oberseite der Frontscheibe eingelassenen Blaulichtbalken.

»Hier ist Blaulicht eingebaut. Einer von uns?« 

»Vielleicht. Oder ein TCPD-Zivilfahrzeug. Mal sehen, wem diese Tarnfirma tatsächlich zugeordnet ist. Ich kümmere mich darum«, meinte Mike über das Komlet.

Jean-Jacques rief aus dem AirCar Nèřá zu: »Gleiche Arbeitsteilung? Du gehst in das Gebäude und ich fliege außen herum, um ihn abzufangen? Und wir bleiben über Komlets in Kontakt?« 

Nèřá nickte und ging mit gezogener Waffe in Richtung des Hauseingangs. Jean-Jacques startete, setzte ein Stück zurück und flog die Hausfront entlang.

Mit gezogener Waffe betrat Nèřá mit langsamen Schritten das Gebäude. Im Inneren herrschte nur ein schummriges Licht, so dass sie die an ihrer Waffe befestigte Stableuchte einschaltete. Sie hörte Babygeschrei und es roch sehr intensiv nach feuchten Wänden, Abfall, Erbrochenem und offenem Feuer, eine Geruchskombination, die sie sehr stark an die direkte Nachkriegszeit erinnerte. Als der Lichtstrahl ihrer Lampe mehrere kleine Kinder erfasste, blieb sie stehen. Die Kinder hatten eindeutig blaue Haare und blaue Haut.

Nèk’h-Kinder, überall Nèk’h-Kinder, was Nèřá sehr irritierte. Sie leuchtete mit ihrer Lampe in einige Wandnischen und einige offene Türen hinein. Überall traf der Lichtstrahl auf blaue Haare und blaue Haut.

»Mike, hier hausen überall Nèk’h in erbärmlichen Zuständen. Was ist das hier eigentlich für ein Gebäude?«, wollte sie über das Komlet wissen.

Mike antwortete, dass es sich laut einer Datenbank des Innenministeriums bei dem Gebäude tatsächlich um ein reines Nèk’h-Flüchtlingslager handelte.

»Ich dachte immer, die Rassentrennung sei offiziell aufgehoben«, meinte Nèřá. »So etwas darf es doch eigentlich gar nicht mehr geben.« 

»Offiziell ja«, meinte Jean-Jacques über das Komlet, »aber inoffiziell…« 

Mike ergänzte: »Tom und Jay Jay mit ihren tronischen Freundinnen – und natürlich wir zwei – sind noch die große Ausnahme!« 

Er teilte mit, dass er während der Verfolgung auch das Komlet des Nèk’hs angepeilt hatte. Der Nèk’h befand sich auf dem Weg durch das Gebäude in Richtung eines rückwärtigen Eingangs. Mike lotste Jean-Jacques außen herum zu diesem Eingang und gab Nèřá Anweisungen, wie sie sich innerhalb des Gebäudes bewegen musste.

Nèřá bewegte sich vorsichtig weiter und dann hörte sie es erneut. Sie hatte sich also doch nicht getäuscht, es war wirklich Babygeschrei. Dann lief eine Nèk’ha in ihr Blickfeld – mit einem kleinen blauen Wesen auf dem Arm. Es bestand kein Zweifel, es war ein Nèk’h-Baby, ein echtes und kein in einer tronischen Zuchtfabrik »hergestelltes«. Nèřá stoppte und war wir hypnotisiert von diesem Anblick.

Sie wurde jäh aufgeschreckt, als Mike sich über das Komlet meldete.

»Er müsste jetzt direkt vor dir sein!« 

Als sie vorsichtig um einen Wandvorsprung herum ging, sah sie die roten Haare. In diesem Augenblick drehte der Nèk’h sich um und schaute Nèřá direkt in die Augen. Gleichzeitig kam ein kleines Nèk’ha-Mädchen aus einer Türöffnung hervor. Der Nèk’h mit dem Irokesenschnitt packte das Mädchen und hielt ihm seine Waffe an die Schläfe.

»Loslassen!«, befahl Nèřá. »Sie hat nichts mit uns zu tun!« 

Über das Komlet wollte Jean-Jacques wissen, was los sei.

Nèřá antwortete knapp: »Geisel!« 

Die Kleine schaute Nèřá mit weit aufgerissenen Augen an und wimmerte leise.

»Lass’ sie los!«, sagte Nèřá erneut.

Der Nèk’h hatte allerdings nicht vor, das Mädchen loszulassen, und hielt es weiterhin fest gepackt. Ein relativ großer männlicher Nèk’h bewegte sich langsam hinter einer Säule hervor. Wie Nèřá erkennen konnte, hielt er eine lange Metallstange in der Hand. Hinter ihm tauchten noch weitere Nèk’h aus dem Halbdunkel auf, ebenfalls mit Schlagwerkzeugen bewaffnet. Der Nèk’h mit dem Irokesenschnitt schaute hektisch zwischen Nèřá und den anderen Nèk’h hin und her.

Zu den anderen Nèk’h gewandt, sagte Nèřá: »DIID! Wir regeln das!« 

Der größte der anderen Nèk’h forderte den Nèk’h mit dem Irokesenschnitt auf, das Mädchen loszulassen. Die Nèk’h-Gruppe mit den Schlagwerkzeugen trat ein paar Schritte vor.

»Jay Jay, wo bist du?«, fragte Nèřá über das Komlet. »Hier wird’s langsam brenzlig.« 

»Ich bin an der Rückseite. An dem Eingang, an den mich Mike gelotst hatte.« 

Vollkommen unerwartet ließ der Nèk’h das Mädchen los und lief einen Gang entlang. Das Mädchen ging zu den anderen Nèk’h und wurde von einem von ihnen in die Arme genommen.

Nèřá richtete ihre Waffe auf die Nèk’h-Gruppe und sagte nochmals: »DIID! Wir regeln das, verstanden?« 

Zu Nèřás Erleichterung blieben die Nèk’h stehen und sie konnte unbehelligt die Verfolgung aufnehmen.

Der Nèk’h mit dem Irokesenschnitt rannte zum Eingang. Er gab der Tür einen Tritt, so dass sie aufschwang und gegen die Wand schlug. Die Reste der Glasscheibe, die sich noch im Türrahmen befanden, fielen heraus und verteilten sich in kleinen Splittern auf dem Boden vor dem Eingang. Er lief mit knirschenden Schritten weiter. Plötzlich blendete den Nèk’h ein grelles Licht, Blaulicht blitzte und eine Polizeisirene ertönte zwei kurze Male.

»DIID! Stehenbleiben!«, brüllte Jean-Jacques über den Außenlautsprecher des AirCars. »Waffe auf den Boden und Hände über den Kopf!« 

Nèřá ergänzte, die Waffe auf ihn gerichtet hinter ihm stehend: »Du kommst hier sowieso nicht weg. Entweder wir«, sie zeigte auf eine immer größer werdende Anzahl Nèk’h, die sich hinter der Tür versammelten, »oder die kriegen dich.« 

Der Nèk’h sah, dass er keine Chance mehr hatte, und gab auf. Er warf die Waffe auf den Boden und verschränkte seine Hände über dem Kopf.

Nèřá meinte, als sie dem Nèk’h Handschellen anlegte und immer wieder einen Blick auf die Gruppe geworfen hatte, die mittlerweile durch die Tür gekommen war: »Jay Jay, wir müssen hier weg, bevor der Mob herkommt.« Sie war sich nämlich nicht sicher, ob die Leute den Irokesen-Nèk’h oder sie vom DIID im Visier hatten – oder womöglich eine Kombination aus beidem.

Jean-Jacques nickte und schubste den Nèk’h auf die Rückbank des AirCars. Er verband dem sich Sträubenden die Augen und knebelte ihn. Nèřá meldete an Mike über das Komlet, dass sie den Nèk’h festgenommen hatten. Mike beorderte zwei vertrauenswürdige TCPD-Officers und einen Abschleppwagen zur Vorderseite des Hauses, um den havarierten AirCar sicherstellen zu können. Jean-Jacques startete und sie gewannen schnell an Höhe. Als sie vom Boden abhoben, sahen sie die Nèk’h, die vor dem Hauseingang standen und ihnen nachschauten. Es war noch einmal gut gegangen und so konnten sie den Nèk’h an einen geheimen Ort bringen, um ihr eigentliches Ziel verfolgen zu können, nämlich ihn zur Entführung zu verhören.

Der Nèk’h ging, nachdem ihm Knebel und Augenbinde entfernt wurde, sofort in die Offensive: »Ihr seid doch gar nicht mehr beim DIID! Ihr dürft mich hier also nicht einfach so festhalten!« 

Nèřá war erstaunt, wie gut der Nèk’h über sie informiert war. Mike hatte wohl doch nicht unrecht; die Operation musste von ganz oben gesteuert worden sein.

Jean-Jacques erklärte: »Es ist korrekt, dass wir unsere Arbeitsverhältnisse zur Zeit ruhen lassen. Wir sind daher eher, sagen wir einmal, freiberuflich tätig. Und weißt du, was das Schöne daran ist? Wir sind damit auch nicht mehr an irgendwelche Richtlinien gebunden, zum Beispiel zur unberechtigten Freiheitsberaubung oder auch in Bezug auf Gewalttätigkeiten bei Verhören.« 

Beim Wort »Gewalttätigkeiten« schlug Jean-Jacques mit der flachen Hand auf den Tisch. Der junge Nèk’h erschrak und riss die Augen weit auf. Wäre er nicht am Stuhl festgebunden gewesen, wäre er jetzt von diesem herunter gefallen.

Jean-Jacques hatte allerdings ihren aktuellen Zustand nicht ganz korrekt beschrieben. Selbstverständlich waren sie noch beim Staat angestellt, hatten aber lediglich ihren gesamten Jahresurlaub genommen. Aber er war der Ansicht, wenn es der Wahrheitsfindung diene, konnte man dieselbe auch etwas großzügiger auslegen.

»Jetzt hör’ mir einmal zu – so ganz unter uns zwei Nèk’h«, meinte Nèřá mit leiser Stimme, beugte sich über den Gefangenen und strich ihm über den roten Haarkamm. »Weißt du, ich würde da eher für dich mit dem Schlimmsten rechnen. Immerhin habt ihr der Familie eines guten Freundes von uns etwas sehr Schlimmes angetan.« 

Mit völliger Selbstbeherrschung redete Jean-Jacques weiterhin äußerst kühl und sachlich, was den Nèk’h immer mehr verunsicherte. »Es stellen sich also die Fragen, hast du Toĝòfs Frau oder Tochter etwas angetan und wer war außerdem daran beteiligt? Wie du siehst, sind nur meine Nèk’ha-Kollegin und ich anwesend. Toĝòf hat gesagt, er bleibt dieser, sagen wir einmal, Informationsgewinnung lieber fern, weil er dich sonst sofort totschlagen würde. Das wäre allerdings für diese Informationsgewinnung eher als ›kontraproduktiv‹«, er machte mit den Händen imaginäre Anführungszeichen in die Luft, »zu bezeichnen.« 

Der Nèk’h hielt den Kopf gesenkt und ihm dämmerte, dass sein Leben unter Umständen in wenigen Minuten vorbei sein könnte.

Nèřá wandte sich an Jean-Jacques. »Hast du denn eigentlich schon einmal extreme Gewalt bei Verhören angewandt?« Sie meinte das durchaus ernst, da sie noch nicht so eng mit ihm zusammen gearbeitet hatte.

Er sagte, dass sieben Vorfälle mit extremer Gewalt bei Verhören in seiner Personalakte stünden. Er lächelte schelmisch und erläuterte weiter, dass das allerdings nur die schweren Vorfälle seien, die tatsächlich auch in seine Personalakte Eingang gefunden haben. Diese Vorfälle seien darüber hinaus wohl auch der Grund für seine doch recht häufigen Strafversetzungen und Degradierungen gewesen.

Er flüsterte Nèřá ins Ohr, aber gerade so laut, dass der Nèk’h es garantiert mithören konnte: »Wie gesagt, es gibt da noch eine gewisse Dunkelziffer. Außerdem ist das schon sehr lange her, damals, auf der Erde.« Er erhob wieder seine Stimme. »Schau’, ich bin doch jetzt friedlich.« 

Beim letzten Wort schlug er erneut hart auf den Tisch. Da der Deckel nicht fest zugeschraubt war, schwappte sogar aus der vor Nèřá stehenden Wasserflasche etwas Wasser heraus. Auch sie hatte sich jetzt erschrocken und Jean-Jacques begann ihr unheimlich zu werden. War dies jetzt echt oder nur gespielt? Der Nèk’h jedoch hatte fast seine gesamte blaue Farbe aus dem Gesicht verloren und schaute jetzt beide mit angstverzerrtem Gesicht an. Nèřá war erstaunt, dass einer ihrer Volksgruppe überhaupt so blass werden konnte.

Jean-Jacques setzte sich neben Nèřá an den Tisch und begann, mit seinen Fingern rhythmisch auf die Tischplatte zu trommeln. Der rostige Metalltisch gab einen guten Resonanzkörper ab und die kahlen Wände verstärkten alles noch. Obwohl es eigentlich gar nicht mehr möglich erschien, wurde der Nèk’h noch blasser. Er rutschte unruhig in seinem Stuhl herum, soweit es die Handschellen und Fußfesseln zuließen.

»Weißt du was?«, sagte Jean-Jacques zu Nèřá und hörte mit dem Trommeln auf. »Pack’ zusammen. Wir gehen. Der erzählt sowieso nichts mehr.« 

»Aber wir können ihn doch nicht einfach hier gefesselt sitzen lassen!«, erwiderte sie.

»Doch. Können wir«, sagte Jean-Jacques kühl. Er dachte mit Schaudern an das dunkle Kellerverlies und wie er die völlig entkräftete Taé in den Armen gehalten hatte. »Das haben die mit Toĝòfs Familie ja auch gemacht. Vielleicht noch ein wenig vorher foltern, wer weiß.« 

Plötzlich begann der Nèk’h zu reden und versuchte so viel Boden wie möglich wieder gut zu machen, indem er viele Details preisgab. Leider war er in der Hierarchie eher in den unteren Regionen angesiedelt, so dass sie doch nicht die Informationen bekamen, die sie sich eigentlich erhofft hatten. Er gab auch zu, an der Verschleppung von Trírå und Taé beteiligt zu sein, da er den AirCar gestohlen hatte, in dem sie zum Kellerverlies gebracht wurden. Er lieferte ihnen darüber hinaus sowohl weitere Namen als auch eine Anzahl Treffpunkte. Damit hatten sie trotz allem eine gewisse Grundlage erhalten, auf der sie weitere Untersuchungen aufsetzen konnten. Jean-Jacques war erstaunt. Der Junge war einfacher als gedacht zu »knacken« gewesen.

Nèřá gab die Information an Mike weiter.

Sie wollten gehen, aber der Nèk’h flehte sie an, ihn mitzunehmen.

»Ja genau, wir nehmen ihn mit. Werden seine eigenen Leute jetzt nicht glauben, dass er – wie sagt ihr? – ›gesungen‹ hatte? Und werden sie ihn jetzt umbringen?«, fragte Nèřá.

»Aber sicher! Das werden sie garantiert«, meinte Jean-Jacques. »Aber wer sich an unschuldigen Frauen und Kindern vergreift, hat für mich keine Rechte mehr. Keine!« Er schaute den Nèk’h an, dessen Gesichtsfarbe sich einem pastellfarbenen Blassblau annäherte. »Ich würde sagen, das fällt eindeutig unter die Rubrik ›selbst schuld‹! Wir lassen ihn allerdings nicht hier, nehmen ihn aber auch nicht mit. Die Handschellen haben nämlich eine Zeitschaltuhr und gehen in etwa neunzig Minuten auf.« 

Sie verließen den Raum, einen schreienden Nèk’h zurück lassend. Jean-Jacques warf noch ein gehässiges »Au revoir!« über die Schulter zurück. Auf dem Weg durch die schummrigen Flure des verlassenen Gebäudes wurde er von Nèřá plötzlich am Arm gepackt.

»Halt! Wir müssen miteinander reden! Ihr Terraner seid schon sehr gefährlich! Jay Jay, ich habe richtig Angst vor dir bekommen!« 

Sie schaute ihm in die Augen und fuhr fort: »Sehr gefährlich! Du musst nur von Gewalt sprechen und gar keine Gewalt anwenden! Du hast nur zwei Mal mit der Hand auf den Tisch geschlagen, das reichte schon aus. Ich bin sehr, sehr verunsichert und habe – Angst.« 

Jean-Jacques meinte, in ihren Augen Tränen erkennen zu können. Er strich ihr eine blaue Haarsträhne aus dem Gesicht.

»Du kannst dich beruhigen. Wie du vielleicht mitbekommen hast, bin ich nicht immer so. Wir wurden damals auf der Erde eigens in psychologischer Verhörführung geschult. Das kann auch Vorteile haben. Hinterher gibt es sonst immer viele Unnanehmlichkeiten, wenn man Gewalt anwendet und so steht Aussage gegen Aussage. Außerdem gibt es dann keine forensischen Beweise, wie Knochenbrüche, Blutergüsse, Fleischwunden undsoweiter.« 

Sie sagte: »Das leuchtet mir ein. Wir Nèk’h – und wahrscheinlich auch alle Troner – sind nämlich so etwas überhaupt nicht gewohnt. Hier war das vorherrschende Mittel bei Verhören ausschließlich die rohe physische Gewalt. Bei so einem Psychokram stehen wir völlig hilflos da.« 

Er legte einen Arm um sie und meinte: »Der Junge war allerdings sehr schnell zum Reden zu bringen. Du hast aber auch schön mitgespielt.« 

Nèřá schüttelte den Kopf. »Das war eher unabsichtlich. Vielleicht hättest du mich vorher einweihen sollen.« 

»Wieso?«, fragte Jean-Jacques. »Es ist doch wunderbar gelaufen. Und jetzt weißt du ja, wie’s funktioniert. Für nächstes Mal.« 

»Also ich möchte dich nicht unbedingt zum Feind haben wollen. Und noch etwas: Wie viele solche Einträge in deiner Personalakte hast du eigentlich wirklich?«, fragte sie.

Er grinste und sagte: »Einen einzigen. Wirklich! Und das ist aber nur der Vorfall, der es bis in die Personalakte geschafft hat. Aber der ist auch schon fast verjährt.« 

»Sehr gefährlich, sehr gefährlich«, murmelte sie, als sie weiter zum AirCar gingen.

Auf dem Rückweg war Nèřá auffällig still. Jean-Jacques bemerkte dies, landete und stieg aus dem AirCar. Nèřá stieg ebenfalls aus. Nebeneinander standen sie auf einem Hügel, von dem aus sie auf die Hochhäuser von Tronòc City blicken konnte.

»Jay Jay«, begann sie. »Ich hatte ihn fast verloren. Ich war abgelenkt.« 

»Aber wir haben ihn doch gefangen. Nur Ergebnisse zählen«, entgegnete er.

»Darum geht es nicht. Und ich glaube, dass ich auch keine große Angst mehr vor dir habe.« 

Jean-Jacques nahm sie in den Arm und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Dann sagte er etwas für Nèřá vollkommen Unerwartetes.

»Wenn ich nicht schon fest liiert wäre, dann würde ich gleich mit dir ins Bett gehen, um dir zu zeigen, dass du wirklich keine Angst vor mir zu haben brauchst!« 

Sie schaute ihn mit ihren leuchtend blauen Augen an. Terraner waren vollkommen unberechenbar – immer wieder aufs Neue… 

»Ich habe etwas entdeckt«, begann sie erneut, »was mich sehr abgelenkt hatte. Und ja, ich habe eigentlich keine Angst mehr vor dir.« 

»Was war denn so wichtig oder überraschend, dass es dich von der Verfolgung eines Verdächtigen derartig abgelenkt hat?« 

»Nèk’h-Babys.« 

»Nèk’h-Babys? Ich verstehe das nicht ganz. Ich dachte immer, ihr könnt euch nicht selbst fortpflanzen. Die Troner hatten doch so eine Art ›Zuchtfabriken‹.« 

Sie schaute ihm noch tiefer in die Augen.

»Jay Jay, ich habe wirklich Nèk’h-Babys gesehen, in diesem Nèk’h-Haus.« 

Beide begannen eine Diskussion über die geschichtlichen Hintergründe von Tronern und Nèk’h.

Die Nèk’h wurden ja als Sklaven von und für die Troner geschaffen, männliche als Arbeiter für niedere Tätigkeiten und Nèk’ha – natürlich – überwiegend als Sex-Sklavinnen. Jean-Jacques empfand tronische Frauen eigentlich als überwiegend hässlich, Taé und Taïrè waren seiner Meinung nach in dieser Beziehung als sehr positive Ausreißer nach oben anzusehen. Daher waren wohl Nèk’ha wesentlich hübscher als Tronerinnen, auch wenn (oder gerade weil) sie eine blaue Haut- und Haarfarbe besaßen. Troner und Nèk’h waren darüber hinaus genetisch inkompatibel, wohl auch, damit sich die Nèk’h nicht unkontrolliert vermehren konnten.

Jean-Jacques ergänzte: »Und damit die Troner konsequenzlos rumvögeln…« 

Er wurde unterbrochen, da Nèřá lauthals lachte. Sie fand es immer wieder erstaunlich, wir direkt Terraner sein konnten. Außerdem war sie wieder einmal überrascht, wie viel ein Terraner doch über die Nèk’h wusste. Sie ergänzte, dass Nèk’h sich tatsächlich nicht selbst fortpflanzen konnten.

»Also Nèk’h mit Nèk’h funktioniert nicht, Nèk’h mit Tronern funktioniert nicht, vielleicht Nèk’h mit Terranern? Du warst doch mit Mike sicherlich schon öfters im Bett, ist etwas passiert, bist du schwanger geworden?« 

»Nein, nicht dass ich wüsste. Ich kann dir aber auch nicht sagen, wie sich das anfühlt.« 

Er legte seine Hand auf ihren Bauch und stellte fest: »Nein, da ist’s nicht mehr geworden!« 

Sie lachte erneut und ihre anfängliche Angst vor ihm war jetzt vollständig verflogen.

»Jay Jay, wenn das hier alles vorbei ist, muss ich dort wieder hin und der Sache nachgehen.« 

»Nimm’ unsere Journalistin mit, für Bianca wird das wahrscheinlich eine Höllengeschicht…« 

Er unterbrach sich.

»Hör’ mal, warum verstecken sich alle dann in diesem ekligen Gebäude? Warum wird das so geheimgehalten?« 

»Proporz?«, stellte sie die Gegenfrage.

Jetzt ging Jean-Jacques langsam ein Licht auf. Alle Bestrebungen, die drei Volksgruppen Terraner, Troner und Nèk’h nach dem Krieg möglichst gleichmäßig in der Verwaltung und im öffentlichen Leben zu berücksichtigen, waren immer davon ausgegangen, dass die Nèk’h mittelfristig aussterben werden. (Nèřás Generation war die letzte von den Tronern gezüchtete.) Nèk’h auf die gleich Art und Weise »nachzüchten« wollte man nicht, da bei Empfängnis und Geburt dies extrem schmerzhaft für eine Nèk’ha war. Außerdem herrschten in den Zuchtfabriken unhaltbare Zustände, daher wurden diese sofort nach Kriegsende geschlossen und zerstört.

Sollte die Nèk’h-Population aber konstant bleiben oder eventuell sogar zunehmen, so wären die Troner weiterhin in der Minderheit. Wie schon beim Nèk’h-SkyPatrol-Officer-Mord war auch hier die latente Gefahr gegeben, dass die Nachkriegs-Rassenunruhen wieder aufflammen könnten. Jean-Jacques begann zu verstehen, warum dies möglichst geheimgehalten werden musste. Die politischen Verwerfungen wären durchaus beträchtlich, wenn die Nèk’h weiter existieren sollten.

»Nèřá, Mike, ich und die Anderen werden dir sicher dabei helfen, die Nèk’h am Leben zu erhalten. Besonders jetzt, da wir Taïrè, unsere kaiserliche Hoheit, als unsere Verbündete ansehen können, geht das bestimmt viel einfacher vonstatten!« 

Sie drückte ihren Kopf fester an seine Schulter, was wohl so etwas wie Danke bedeuten sollte.

Es war Mike, der sie mit einem Komlet-Anruf aus ihren Träumen über das Weiterbestehen der Nèk’h riss. Sie hatten anhand der Informationen, die ihnen der Nèk’h gegeben hatte, einen weiteren Entführer lokalisiert.

Sie stiegen wieder in den AirCar und flogen zu der von Mike genannten Adresse, einer ziemlich schmierigen Kneipe nahe der Innenstadt.

»Hey, hier haben Blaue eigentlich keinen Zutritt!«, sagte ein tronischer Mann, als Nèřá in der Kneipe sich neben ihn an den Tresen setzte. »Aber für dich mache ich ’mal eine Ausnahme!« 

Sie richtete eine kleine Knopflochkamera auf den Mann und Mike bestätigte dessen Identität. Sie hatten den Richtigen gefunden; neben Nèřá saß ein weiterer der Entführer von Taé und ihrer Mutter. Sie ließ dem Mann schöne Grüße von seinem Irokesenschnitt-Nèk’h-Kumpel ausrichten. Der Mann schaute sie mit weit aufgerissenen Augen an, stand hektisch auf und riss dabei einen Barhocker um, der zu Boden polterte.

»Jay Jay, Vorderausgang!«, meldete sie über ihr Komlet.

Der Mann lief geradewegs ins Jean-Jacques’ ausgestreckte Faust und strauchelte. Nèřá fing ihn auf und Jean-Jacques legte ihm Handschellen an. Beide führten den noch ziemlich benommenen Mann zum AirCar und setzten ihn auf den Rücksitz. Jean-Jacques startete und flog zum vereinbarten Verhörtreffpunkt, einem verlassenen Industriekomplex.

Dort erwartete Nèřá eine Überraschung. Mit Taé hatte sie nun überhaupt nicht gerechnet. Jean-Jacques grinste breit; offensichtlich war dies wieder irgend eine neue Verhörtechnik, welche die Anwesenheit von Taé mit einschloss.

Nèřá führte den Mann in einen Raum, den Jean-Jacques wiederum als einen Verhörraum hergerichtet hatte. Sie setzte den Mann auf einen Stuhl und zog sich dann in den Hintergrund zurück.

Jean-Jacques legte dem Mann dar, dass im Gegensatz zur Befragung des Nèk’h vor einigen Tagen – von der er sicherlich gehört hatte – dieses Mal auch eins der Opfer anwesend sein würde. Auf dieses Stichwort hin trat Taé aus dem Halbdunkel des hinteren Bereichs des Raumes in den Lichtkegel der Lampe herein, die den Tisch beleuchtete, an dem der Mann gefesselt saß.

Der Mann erschrak, als er Schritte hinter sich hörte. Taé trat vor ihn und nahm ihm die Augenbinde ab. Er blinzelte, da ihm die Lampe direkt aufs Gesicht gerichtet war.

Er erschrak erneut, als er sie erkannte.

»Du bist doch tot!« 

»Also für mich sieht sie recht lebendig aus«, bemerkte Jean-Jacques aus dem Hintergrund.

Der Mann war sich jetzt so gut wie sicher, dass er bald tot sein würde.

Taé zog in aller Seelenruhe ihr Sweatshirt aus und legte es langsam auf den Tisch. Anschließend schlüpfte in einen Papieroverall, ähnlich den Overalls, die von der Spurensicherung verwendet werden. Nachdem sie den Reißverschluss des Overalls geschlossen hatte, streifte sie sich noch Einmal-Gummihandschuhe über.

»Forensische Spuren sind hinterhältig«, meinte sie trocken, als sie einen Gummihandschuh über dem Ärmel des Overalls glatt zog. »Die lassen sich so leicht zu jemanden, also unter Umständen zu mir, zurück verfolgen.« 

Im Gesichtsausdruck des Mannes sah man jetzt Panik aufsteigen. Er schaute hastig zwischen Taé, Jean-Jacques und Nèřá hin und her.

Du hast aber von deinem Freund schon viel gelernt, dachte Nèřá, als sie sich an ihr letztes Verhör und Jean-Jacques’ psychologische Verhörtechniken erinnerte.

Plötzlich schlug Taé dem Mann ohne Vorwarnung mit der Faust direkt ins Gesicht. Der Knebel dämpfte seinen Schreckensschrei zu einem leisen »Mmmmm«.

»Oh, Entschuldigung«, zischte sie verächtlich. »Du bist ja gefesselt, daher kannst du dich gar nicht wehren. Und du bist ja geknebelt, daher kann man deine Schreie nicht hören.« Sie machte eine Pause und trat hinter ihn. »Das kommt dir doch jetzt bestimmt bekannt vor – oder?«, sagte sie halblaut in sein Ohr.

Aus einem Nasenloch des Mannes begann bald ein dünner Blutstrom zu fließen, der mit der Zeit immer größer wurde. Das Blut tränkte den Knebel und ließ dessen Farbe immer mehr ins Rötliche wechseln.

Nèřá trat einen Schritt vor, um Taé zurück halten zu wollen, aber Jean-Jacques hielt sie am Arm fest.

»Lass’ sie«, befahl er leise.

Nie hätte Nèřá es für möglich gehalten, wie brutal sich dieses Mädchen, welches zudem in den Wochen auf dem Asteroid ihre beste Freundin geworden war, zu verhalten im Stande war. Sie überlegte aber, wie sie wohl reagieren würde, wenn sie mehrere Tage in einem dunklen Kellerverlies gefangen gewesen wäre und man sie dabei auch gefoltert hätte. Die Kleine hatte diese Tortur überlebt, ihre Mutter aber leider nicht. Da Nèřá, wie alle Nèk’h ihrer Generation, künstlich gezeugt wurde, waren ihr jegliche Gefühle einer Mutter-Tochter-Beziehung ziemlich fremd. Dennoch konnte sie sich ungefähr vorstellen, wie es jetzt wohl in Taés Kopf zugehen würde. Sie konnte sich allerdings nicht entscheiden, was gefährlicher war: Jay Jay, der Terraner, mit seinen ausgefeilten psychologischen Verhörtechniken oder Taé, die Tronerin, mit einem aufgestauten Hass, der sich jetzt explosionsartig entlud (Taïrè nannte diese unkontrollierten Gewaltausbrüche zu Recht einmal »die sehr dunkle Schattenseite der tronischen Seelen«).

Noch einmal wurde der Mann von Taé geschlagen, so dass Nèřá zusammenzuckte und jetzt auch rote Blutspritzer auf Taés weißem Overall zu sehen waren. Der Mann sackte zusammen, richtete sich aber gleich wieder auf. Jean-Jacques fand, dass es genug war, stoppte Taé mit einer kurzen Handbewegung und nahm dem Mann den Knebel aus dem Mund.

Leise begann der Mann zu reden. Auch er wusste nicht alle Einzelheiten, konnte aber zumindest sagen, dass sich weitere Waffen in einem Bürogebäude befinden sollten. Die Leute, die dort die Waffen bewachten, sollten auch an der Entführung von Taé und ihrer Mutter beteiligt gewesen sein.

Jean-Jacques war leicht frustriert. Immer mehr erweckte es den Anschein, als ob die Gegenseite wie eine Art Terrorzelle aufgebaut war, in dem jede Person nur sein spezielles Aufgabengebiet und seinen direkten Ansprechpartner in der direkt darüberliegenden Hierarchieebene kannte. Daher war es auch so schwierig, an die Spitze der Organisation zu gelangen, an der sie immer noch den stellvertretenden Innenminister vermuteten. Es lag offensichtlich noch ein langer Weg vor ihnen, wenn sich nicht bald eine Abkürzung auftat.

Nèřá gab dem Mann etwas zu trinken und Jean-Jacques stellte die Handschellenöffnung auf drei Stunden ein, so dass ihnen genügend Zeit zur Verfügung stand, das Waffenlager zu finden und die sich dort sich aufhaltenden Personen festzunehmen oder, wenn nötig, zu beseitigen.

Sie ließen den Mann alleine und trafen sich mit den anderen zu einer kurzen Lagebesprechung.

Mit drei AirCars näherten sie sich vorsichtig dem Gebäudekomplex, in dem sich das Waffenlager befinden sollte. Mike wollte mit seinen Fliegen, die wieder vollständig zu ihm zurückgekehrt waren, zunächst das Gebäude erkunden und die anderen sollten solange in ihren Fahrzeugen warten.

Wieder ließ er die Fliegen frei und verfolgte sie über einen tragbaren Rechner in seinem AirCar, wie er es schon bei Taés Befreiung exerziert hatte. Nach etwa zwanzig Minuten war das Team im Bilde, wie es innerhalb des Gebäudes aussah, welche Räume leer standen und wo sich mit großer Wahrscheinlichkeit das Waffenlager befand. Die Fliegen hatten nämlich viele große Kisten in einem an den Bürotrakt anschließenden Lagerbereich als mögliche Waffen- oder Munitionskisten identifiziert.

Anders gab den Befehl zum Vorrücken in das Gebäude. Als sie in den Bürotrakt vordrangen, öffnete sich eine Bürotür. Eine junge Frau schaute heraus und gab einen leisen Schreckenslaut von sich. Nèřá legte einen Finger auf ihre Lippen.

»Pscht! DIID!«, zischte sie und zeigte auf das DIID-Wappen auf ihrer Schutzweste.

Anders befahl: »Nèřá, schick’ die Leute raus! Jay Jay, Toĝòf, ihr bleibt bei mir!« 

Nèřá blieb zurück und führte die Personen, die sich in den Büroräumen aufgehalten hatten, leise aus dem Gebäude. Anders, Jean-Jacques und Toĝòf drangen weiter in das Gebäude vor und stoppten an der Stelle, an der Mikes Fliegen einen Zugang zum Lager gefunden hatten.

»Mike, wir sind jetzt an der Tür zum Lager. Irgendwelche Aktivitäten auf der anderen Seite?«, wollte Anders wissen.

»Negativ, ihr könnt…« 

In diesem Moment zerbarst die der Tür gegenüberliegende Wand mit einem lauten Knall und Staub füllte den Korridor.

»Was zur Hölle…?«, hörte man Mike über sein Komlet fragen.

Anders antwortete keuchend: »Das kam von der anderen Seite, nicht vom Lager!« 

Schon regte sich wieder Anders’ Komlet: »Was ist da los? Was war das für eine Explosion?« 

»Jetzt nicht, Mike!« 

»Ich empfange Toĝòfs Signal nicht mehr! Was ist da los? Redet, verdammt nochmal, endlich jemand mit mir?« 

»Jetzt nicht!« 

Als sich der Staub etwas gelegt hatte, feuerte Jean-Jacques ein paar Salven in das in der Korridorwand klaffende Loch, Anders tat es ihm nach.

Der Staub legte sich weiter und dann sahen sie es. Irgendeine schwere Waffe oder etwas Ähnliches hatte ein ganzes aus Beton bestehendes Wandelement herausgesprengt und dieses war an die gegenüberliegende Wand geprallt. Unter diesem Element schaute eine Hand hervor.

Eine tronische Hand.

Eine tronische Hand mit einer ihnen wohlbekannten Armbanduhr.

Jean-Jacques fühlte den Puls, konnte aber keinen mehr feststellen. Anders hob das Betonelement hoch und Jean-Jacques legte vorsichtig einen tronischen Kopf frei.

Jetzt waren alle Zweifel beseitigt. Es war tatsächlich Toĝòf, und Toĝòf war tot!

»Merde! Merde! Merde!«, brüllte Jean-Jacques und trat wütend gegen ein paar herumliegende Trümmer.

Anders öffnete die Tür zum Lager und in einer Ecke des Lagers startete plötzlich ein AirCar. Dieser drehte sich um neunzig Grad um seine Längsachse und flog dann mit seiner linken Seite nach unten zeigend durch das nur wenig geöffnete Lagertor, so dass er gerade so hindurchpasste.

Nèřá, die mittlerweile um das Gebäude herumgelaufen war, feuerte auf den AirCar, traf aber nur ein Rücklicht.

Der AirCar entfernte sich rasch in Richtung Innenstadt.

»Da ist jemand geflüchtet«, meldete Nèřá. »Mike, komm’ sofort zur Gebäuderückseite!« 

Mike wendete seinen AirCar auf der Stelle, flog um das Gebäude herum, öffnete die Beifahrertür und Nèřá sprang hinein.

»Wie finden wir jetzt den entkommenen AirCar?«, fragte sie.

Mike antwortete mit einer Gegenfrage: »Was ist passiert? Mir sagt ja keiner etwas.« 

»Die haben mit ganz großen Waffen auf uns geschossen. Ich glaube, Toĝòf hat’s erwischt. Genaues kann ich nicht sagen. Ich habe nur die Explosion gesehen und dann war da viel Staub. Und es ist wohl Komlet-Funkstille.« 

An einer Halterung am Armaturenbrett des AirCars war sein Rechner befestigt. Nèřá sollte diesen aufklappen und die Software zur Verkehrsüberwachung starten.

Mike zeigte auf einen kleinen roten Punkt auf dem Bildschirm, der sich nicht bewegte. »Das sind wir.« Er zeigte auf andere Punkte, die sich bewegten. Einer dieser Punkte bewegte sich besonders schnell. »Das sind sie. Konzentriere dich auf die angezeigte Transponderkennung.« 

Sie folgten dem AirCar in sicherer Entfernung.

»Mike, der ist sozusagen hochkant durch das Tor geflogen! Wer kann so etwas?« 

Er stellte eine Gegenfrage: »Kennst du jemanden, der Rennen fliegt und dem du so etwas zutrauen…« 

Nèřá unterbrach mit: »Der Punkt ist verschwunden!« 

»Das habe ich mir fast gedacht. Sie haben den Transponder ausgeschaltet. Offensichtlich bin ich nicht der Einzige, der daran herumbastelt.« 

Mike teilte Anders mit, dass sie den anderen AirCar verloren hatten. Er bekam den Auftrag, wieder zurück zu fliegen und auf halber Strecke auf Anders’ AirCar zu warten. Obwohl Toĝòf tot war, wollte Anders so tun, als ob er ihn noch zu einer Klinik bringt und zeitgleich einen »Code Dreizehn«, »Agent verletzt«, absetzen. Er hoffte, mit dieser Aktion die Gegenpartei aus der Reserve zu locken und sie womöglich zu unüberlegten Handlungen provozieren zu können. Jean-Jacques sollte am Lagerhaus bleiben und Toĝòfs Leichnam bewachen. Mike parkte daher den AirCar, um auf Anders zu warten.

»Hör’ mal, Nèřá, es wird jetzt sehr gefährlich!«, sagte Mike mit fester Stimme. »Wir könnten abgeschossen werden, abstürzen oder uns was auch immer zustoßen. Du solltest jetzt also besser aussteigen!« 

Sie lachte. »Auf mich wurde mit Waffen gefeuert, deren Geschosse um die Ecke fliegen können! Jemand erschießt sich direkt vor meinen Augen! Ich bin nicht einmal mehr in einem Polizeigebäude sicher, so dass ich mich in einem Schiffswrack verstecken muss! Es feuerte vor ein paar Minuten jemand mit wirklich schwerer Artillerie auf uns! Und du meinst allen Ernstes, es wird gefährlich?« 

Sie drehte sich zu ihm und schaute ihm in die Augen.

»Mike, du bist wirklich süß, dass du dich so um mich sorgst! Aber eigentlich ist es doch genau anders herum: Ich bin die Polizei und du bist der Zivilist. Wenn hier einer aussteigen muss, dann du.« 

Mike blieb stur. »Ich bin aber der bessere AirCar-Pilot. Wir machen das zusammen, Frau Polizei!« 

Sie beugte sich zu ihm und küsste ihn. »Also zusammen«, sagte sie schließlich.

Wenig später sahen sie Anders’ AirCar mit eingeschaltetem Blaulicht vorbeifliegen und es kam der »Code Dreizehn« über die Komlets.

Mike meldete sich bei Anders. »Jake, hier ist Elwood, wir möchten auch gerne nach Chicago fahren!« 

»Elwood, verfolgen mich die Countrymusiker?«, kam die Frage zurück.

»Negativ, Jake.« 

»Elwood, es sind hundertsechs Meilen und wir haben Sonnenbrillen auf. Also los!« 

Nèřá schaute Mike an, als ob er den Verstand verloren hätte.

Mike startete und folgte Anders’ AirCar in einigem Abstand.

Er grinste breit. »Ich dachte, du kennt dich mit terranischen Spielfilmen aus? Ich sehe dort noch gewisses Nachholpotenzial.« 

Nèřá konterte: »Die Frage ›Es wird gefährlich?‹ ist ein Zitat aus der Fernsehserie ›Dexter‹, aus der fünften Staffel, glaube ich.« 

Mike war sichtlich überrascht. Eine Nèk’ha kannte sich mit terranischen Fernsehserien aus. Die kleine Blaue könnte wirklich die Frau seines Lebens werden. Sie würden wahrscheinlich viel Spaß miteinander haben. Er hatte aber keine Zeit, diesen Gedanken weiter zu vertiefen, da er sich auf den Verkehr konzentrieren musste.

Aus einer Seitenstraße bog unerwartet ein AirCar mit einer harten Wendung in die Hauptstraße ein und setzte sich direkt hinter Anders’ AirCar. Nèřá erkannte den anderen AirCar sofort wieder.

»Das sind sie! Ich erinnere mich an das defekte Rücklicht«, rief sie.

»Countrymusiker! Auf Sechs Uhr!«, gab Mike über das Komlet durch.

Mike schloss dichter auf. Anders versuchte, Haken zu schlagen, was aber aufgrund des in Richtung der Stadtmitte immer dichter werdenden Verkehrs nicht so einfach war. Die Beifahrertür des anderen AirCars öffnete sich und ein länglicher Gegenstand wurde herausgehalten.

»Countrymusiker hat Panzerfaust!« 

Anders bestätigte dies. Auch er hatte die Panzerfaust im Monitor der Heckkamera seines AirCars entdeckt.

Mike sah, wie der Mann an der Panzerfaust den Abzug betätigen und Anders abschießen wollte. Er beschleunigte und ließ seinen AirCar leicht in die Höhe steigen, um dann abrupt auf das Heck des anderen AirCars niederzustoßen. Der andere AirCar richtete sich auf und die in diesem Moment aus der Panzerfaust abgefeuerte Rakete stieg im hohen Bogen über eine Häuserzeile hinweg und verschwand aus dem Sichtfeld. Nèřá schrie auf, als sie sah, dass aus der geöffneten Tür eine Person in die Tiefe stürzte. Der Aufprall schien etwas an Mikes AirCar beschädigt zu haben, denn am Armaturenbrett wechselten plötzlich alle Anzeigen ihre Farbe auf Rot und es ertönte ein Warnton.

Mike riss an den Steuerhebeln. »Jetzt nicht! Noch nicht! Durchhalten! Ein paar Meter noch!«, keuchte er.

Sie hörten eine Explosion und sahen hinter einer Häuserzeile eine Rauchwolke aufsteigen.

Auch der andere AirCar schien technische Probleme zu haben und war außer Kontrolle geraten. Er begann zu trudeln, setzte krachend auf einem nahe gelegenen Hausdach auf, drehte sich mehrmals um seine eigene Achse und prallte dann mit dem Heck gegen einen Schornstein. Wasserdampf trat zischend aus einem Sicherheitsventil der Brennstoffzelleneinheit aus und hüllte den abgestürzten AirCar kurzzeitig in eine weiße Wolke. Mike brachte seinen AirCar ebenfalls auf diesem Hausdach in letzter Sekunde zum Stehen, bevor alle Aggregate versagten.

Nèřá schnallte sich ab und gab Mike eine Ohrfeige. Sie erinnerte sich an Jean-Jacques’ Warnung, die er ihr gegenüber ausgesprochen hatte, und sagte mit keuchender Stimme: »Mach’ so einen Stunt nie wieder! Hörst du: nie wieder!« 

Sie öffnete die Tür, stieg aus und ging mit gezogener Waffe langsamen Schrittes auf den anderen AirCar zu. Sie konnte auch nur langsame Schritte machen, denn sie hatte von Zusammenstoß und Beinahe-Absturz immer noch ganz weiche Knie. Anders landete neben ihnen, stieg ebenfalls aus und zog seine Waffe. Sie hörten über ihre Komlets Mike erneut einen »Code Dreizehn« durchgeben und den Ort der Notlandung mitteilen.

»DIID!«, schrie Anders. »Hände auf’s Armaturenbrett, wo wir sie sehen können!« 

Der Mann leistete keinen Widerstand und gehorchte sofort. Anders öffnete die AirCar-Tür, zog den Mann heraus und warf ihn auf den Boden.

»Auf den Bauch legen und Arme ausstrecken!« 

Wieder gehorchte der Mann. Anders war erleichtert. Wenigstens machte der Mann jetzt nicht noch irgendwelche Schwierigkeiten. Nèřá, die schräg hinter Anders gestanden und ihn mit gezogener Waffe gesichert hatte, legte dem auf dem Boden liegenden Mann Handschellen an. Anders hob den Mann auf und setzte ihn auf einen kleinen Mauervorsprung.

Gemeinsam inspizierten sie das Innere des AirCars. Anders pfiff leise, als er das Waffenarsenal auf dem Rücksitz sah. Darunter befand sich auch ein großer Granatwerfer, noch größer als die Panzerfaust, mit der auf ihn geschossen wurde. Das musste die Waffe sein, mit der Toĝòf getötet worden war. Nèřá durchsuchte die Taschen des Mannes und reichte Mike die ID-Karte des Festgenommenen. Er holte einen Rechner aus seinem AirCar und las die Daten der Karte ein. Er wurde durch lautes Sirenengeheul unterbrochen.

Zwei AirCars des TCPD und ein AirCar mit der Aufschrift der DIID-Forensikabteilung landeten auf dem Dach.

Ein weiterer AirCar näherte sich, um auf dem Dach zur Landung anzusetzen. Anders sah das Logo und den großen Schriftzug »Network News« auf den Türen. Er richtete seine Waffe auf den AirCar, erkannte aber Bianca, die auf dem Fahrersitz saß. Zu seiner großen Überraschung entdeckte er außerdem Taé, die auf der Beifahrerseite sitzend an einer Kamera hantierte. Bianca stieg aus und winkte ihm zu. Er steckte seine Waffe in das Halfter zurück.

»Wieviel hast du aufgenommen?«, fragte er. Er zeigte auf Taé. »Und Toĝòfs Kleine arbeitet jetzt für dich?« 

Sie antwortete: »Erstens: Alles, seit ihr abgeschossen werden solltet, habe ich im Kasten. Und zweitens: Ja, sie arbeitet jetzt für mich. Ich brauchte doch dringend wieder jemanden für meine Kamera und wir haben ihrem Vater doch versprochen, uns um sie zu kümmern. Sie lernt schnell und, wie ich jetzt schon sehe, hat sie das gewisse Auge für eine etwas andere Kamerasicht auf die Dinge. Da schlummert noch erhebliches Potenzial.« 

»Bingo!«, rief Mike erfreut.

Nèřá fragte: »Bingo?« 

»Der Typ arbeitet für den Stab des Innenministeriums – die haben das nicht einmal versucht, zu verheimlichen! Endlich haben wir eine direkte Verbindung zu unserem allseits beliebten Vizechef«, meinte Mike und Anders nickte zustimmend. »Den kaufen wir uns!« 

Anders sagte: »Wir fliegen zum Ministerium und verschaffen uns Zugang mit der ID-Karte. Mike bleibt hier und koordiniert die Spurensicherung, Nèřá kommt mit mir. Bianca, du könntest sicher noch weiteres exklusives Filmmaterial gebrauchen, oder?« 

Die Angesprochene strahlte über das ganze Gesicht und nickte heftig.

Als Nèřá an Mike vorbeiging, hielt er sie am Arm fest. »Dass du mir bitte am Stück wieder kommst!«, sagte er.

»Versprochen«, sagte sie und küsste ihn.

Sie luden den Festgenommenen in Anders’ AirCar und Anders setzte sich zu ihm auf den Rücksitz, immer begleitet von Taés Kamera. Nèřá nahm auf dem Fahrersitz Platz und startete den AirCar.

Die zwei AirCars der TCPD flogen als Eskorte vorweg, Anders’ AirCar in der Mitte und der AirCar des Fernsehsenders am Schluss. In einem engen Bogen starteten sie Richtung Innenstadt.

Einer der DIID-Forensiker sagte zu Mike: »Du und diese scharfe blaue Detective-Maus?« 

»Agent, nicht Detective! Sie arbeitet jetzt bei uns. Wir sind tatsächlich seit einiger Zeit fest zusammen.« 

Der Forensiker murmelte etwas von »Respekt«, als er sich von Mike entfernte.

Der sich mit hoher Geschwindigkeit sich durch den dichten Verkehr schlängelnde Konvoi erregte zwar Aufsehen, sie kamen aber unbehelligt am Innenministerium an und landeten auf den Besucherparkplätzen des DIID.

Im Gebäude des Innenministeriums verschafften sie sich Zugang zur Abteilung des stellvertretenden Innenministers, indem sie die ID-Karte des Festgenommenen nutzten. Auf den Fluren waren keine Personen zu sehen, lediglich im Vorzimmer saß eine Frau hinter einem Empfangstresen. Nèřá richtete die Waffe auf die Frau, die überraschender Weise auch eine Nèk’ha war. Die Frau öffnete ohne jeglichen Widerstand die Tür zum Chefbüro und kündigte den Mitarbeiter namentlich an, den Nèřá und Anders bei sich hatten. Sie war auch keineswegs verwundert, dass direkt hinter ihnen Taé mit ihrer Kamera und in einigem Abstand Bianca folgten.

Der stellvertretende Innenminister saß mit dem Rücken zur Tür an seinem Schreibtisch und schaute aus dem Fenster. Er sagte etwas Tronisches.

Nèřá meinte mit lauter Stimme: »Nicht direkt!« 

Der Mann drehte sich erschreckt um. Als er seinen Mitarbeiter in Handschellen sah, riss er erschreckt die Augen auf. Abwechselnd blickte er in die Mündungen der auf ihn gerichteten Waffen und in Taés Kamera. Sie hatten ihn. Er hatte verloren.

»Was hat er gesagt?«, fragte Bianca leise, die nur sehr wenig Tronisch sprach.

Taé flüsterte: »›Habt ihr sie endlich erledigt?‹« 

»Dieser miese Drecksack!«, zischte Bianca.

Anders befahl: »DIID! Hände auf den Schreibtisch!« 

Der stellvertretende Innenminister legte seine Hände flach auf den Tisch und Anders holte seine Handschellen aus dem Futteral. Er erklärte den Mann nach einem bestimmten Paragraphen des Polizeigesetzes für festgenommen und aller seiner Tätigkeiten vorübergehend entbunden. Die Handschellen klickten und zwei uniformierte TCPD-Officers nahmen den stellvertretenden Innenminister in ihre Mitte. Der Mann, der sonst so wortgewaltig daherkam, hatte jetzt nicht ein Wort, nicht einmal einen einzigen Ton mehr von sich gegeben. Anders schaute hinüber zu Taé und Bianca.

Taé klopfte auf ihre Kamera. »Alles drin!«, meinte sie triumphierend. Ihr schien diese Arbeit sichtlich Spaß zu bereiten.

Bianca meinte trocken: »Herr Minister, Sie haben leider gerade eben eine große Gelegenheit verpasst, den Mund zu halten. Schade eigentlich.« 

Taé kicherte leise und Anders wollte von Bianca wissen, wie sie weiter vorgehen wollte.

Bianca erläuterte, dass sie noch vor hatte, einen Abschlusskommentar aufzunehmen. Sie stellte sich daher so vor der Bürotür auf, dass man das an der Seite angebrachte Namensschild neben ihr sehen konnte. Taé startete die Kamera und Bianca begann, in ihr Mikrofon zu sprechen.

»Jetzt muss ich nur noch mit heiler Haut zum Sender kommen«, meinte sie, als sie ihren Kommentar beendet hatte. Die eben aufgenommen Bilder waren die Sensation schlechthin. Die Quoten würden durch die Decke gehen. Sie zitterte vor Anspannung.

Nèřá wählte einige vertrauenswürdige TCPD-Officers aus, die Bianca und Taé zum Sender eskortieren sollten.

»Mit Polizeieskorte müssten wir es eigentlich rechtzeitig schaffen«, sagte Bianca. »Ich muss aber den Bericht noch zusammenschneiden. Ich hoffe, dass er dann zu den Einundzwanzig-Uhr-Nachrichten rechtzeitig fertig wird. Wir sehen uns dann bei Mikes Onkel.« 

Anders widmete sich wieder dem Büro des stellvertretenden Innenministers.

Sie hatten als Treffpunkt das kleine von Mikes Onkel betriebene koreanische Restaurant unweit des Financial Districts ausgewählt. An diesem Abend hing ein Schild »Geschlossene Gesellschaft« am Eingang.

Es waren schon fast alle anwesend, sogar der Lebensgefährte des ersten Opfers, des Nèk’h-SkyPatrol-Officers, war gekommen. Mikes Großmutter saß mit Mikes Onkel, Mike und Nèřá an einem Tisch. Mike versuchte Nèřá das Essen mit Stäbchen beizubringen, aber immer fielen alle Reiskörner oder Gemüsestückchen wieder herunter, was Mikes Grinsen immer breiter machte. Anders und Jean-Jacques saßen am Nebentisch und tranken genüsslich ihr kaltes Bier. Etwas im Hintergrund hatten Tom und Taïrè Platz genommen, die trotz aller Warnungen nach Tronòc City gekommen waren.

Jeder Neuankömmling wurde freudig begrüßt. Bianca und Taé kamen als Letzte. Sie sahen verschwitzt, aber glücklich aus. Hastig berichteten sie, dass sie in letzter Sekunde den Bericht fertig stellen konnten. Bianca konnte beruhigt werden, die Nachrichtensendung hatte noch nicht begonnen.

Anders und Jean-Jacques standen auf, gingen zu ihren Partnerinnen und begrüßten sie. Mikes Großmutter wurde von Taé lange umarmt. Nèřá sah, wie dann Jean-Jacques Taé zur Seite nahm, ihr etwas sagte und sie daraufhin weinend zusammenbrach.

»Hat es ihr noch niemand gesagt?«, wollte Nèřá von Mike wissen.

Mike zuckte mit den Schultern. Er war der Ansicht, dass die Überbringung derartiger Nachrichten Aufgabe des Personalvorgesetzten oder des Lebensgefährten seien und er sich dort heraushalten würde.

»Dass ihr Vater getötet wurde, ist jetzt fast einen halben Tag her – und es hat ihr noch niemand gesagt? Feiglinge!«, schimpfte sie, stand auf und ging zu Taé.

Die dreidimensional im Raum schwebende Uhr wechselte von »20:59« auf »21:00« und das »Network News«-Logo kam aus dem Hintergrund herangeflogen. Es wurde an Gläser geklopft, gepfiffen und um Ruhe gebeten. Neben der Nachrichtensprecherin wurde ein großes DIID-Wappen eingeblendet und darüber erschien ein roter Schriftzug »BREAKING NEWS«. Eine Sprecherin kündigte die Sondermeldung an.

Einundzwanzig Uhr. Die Nachrichten von Network News. Vor wenigen Minuten kam es in Tronòc City zu einer spektakulären Festnahme eines hohen Regierungsmitarbeiters. Aus Tronòc City berichtet exklusiv für Network News: Bianca Kayser.

Als Biancas Name fiel, brach spontaner Jubel aus, der aber schnell wieder abebbte. Ihr Beitrag hatte es tatsächlich als Top-Nachricht in die Hauptnachrichtensendung geschafft. Es wurde ein Archivbild des stellvertretenden Innenministers mit Namen gezeigt. Am unteren Rand wanderte eine mit einem roten Rahmen versehene Laufschrift:

Tronòc City: Stellvertretender Innenminister festgenommen

Nun ertönte aus dem Off Biancas Stimme.

Der Festnahme des stellvertretenden Innenministers vorausgegangen war sowohl ein Mord als auch ein Mordversuch an zwei DIID-Agents.

Eine Filmsequenz wurde gezeigt, wie Mike den anderen AirCar rammte und die aus der Panzerfaust abgefeuerte Rakete über die Häuser hinweg aus dem Sichtfeld verschwand. Ein Raunen ging durch die im Restaurant Anwesenden. Taé hatte tatsächlich ein gutes Händchen für dramatische Bilder.

Die Rakete detonierte zum Glück in einem Stadtparksee

Das Bild wechselte auf am Ufer stehende Polizeifahrzeuge und auf zwei Taucher, die in der offenen Tür eines AirCars saßen, welches über dem See schwebte.

…und richtete keinen nennenswerten Schaden an. Einer der Angreifer wurde aus dem AirCar geschleudert, fiel einige Meter tief und verstarb noch an Ort und Stelle.

Eingeblendet wurde nun die Szene, wie der gerammte AirCar auf dem Hausdach landete, gefolgt von der Szene, als Anders dem überlebenden Angreifer Handschellen anlegte. Das Bild blieb bei einer Großaufnahme des Gesichts des Mannes stehen. Bianca hatte allerdings in der Nachbearbeitung der Filmaufnahmen alle Augenpartien mit den üblichen schwarzen Balken überdeckt.

Der festgenommene Mann wurde als Mitarbeiter des Stabs des Innenministeriums identifiziert, der direkt dem stellvertretenden Innenminister unterstellt ist.

Es wurde auf eine Filmsequenz gewechselt, die Anders und Nèřá mit ihrem Gefangenen in den Räumen des Innenministeriums zeigte.

Somit kann das Innenministerium direkt mit den eben erwähnten Anschlägen in Verbindung gebracht werden.

Dann wurde der stellvertretende Innenminister in seinem Büro gezeigt und der entscheidende Satz war laut und deutlich zu hören. Da nicht jeder Tronisch verstehen konnte, hatte Bianca den auf Satz zur Verdeutlichung noch mit zweisprachigen Untertiteln versehen. Diese kleine Gemeinheit konnte sie sich nicht verkneifen.

Habt ihr sie endlich erledigt?

Als dieser Satz fiel, schallten Buhrufe und Pfiffe durch das Restaurant. Mike saß mit offenem Mund da. Sie hatten das tatsächlich aufgezeichnet und jetzt zur besten Sendezeit gesendet. Da konnte sich niemand mehr herausreden.

Der stellvertretende Innenminister wurde in Gewahrsam genommen

Das Bild zeigte ihn mit versteinerte Miene, als er von den TCPD-Officers abgeführt wurde.

…und an einen geheimen Ort gebracht. Der Generalstaatsanwalt hat die Leitung der Ermittlungen übernommen. Wie wir soeben erfuhren, haben sowohl der Premierminister als auch der Innenminister ihren Urlaub abgebrochen und sind nach Tronòc City zurück gekehrt. Morgen früh ist außerdem eine Sondersitzung des Kabinetts angesetzt worden. Der Innenminister hat darüber hinaus bereits die Einberufung eines Untersuchungsausschusses angekündigt.

»Mannomann, das zieht ja Kreise!«, stellte Jean-Jacques fest, der immer noch die schluchzende Taé im Arm hielt.

Nun kam Bianca selbst ins Bild, wie sie vor der Bürotür des stellvertretenden Innenministers für ihren Abschlusskommentar Aufstellung nahm. Im Hintergrund sah man einen uniformierten TCPD-Polizisten den Durchgang mit einem gelben Absperrband absperren.

Es wird zu klären sein, inwiefern dieser Mann noch für weitere Morde und Mordversuche, so zum Beispiel an einem SkyPatrol-Officer, an einem Gerichtsmediziner, an der Ehefrau und Tochter eines DIID-Agents, sowie an diesem DIID-Agent selbst

Sie machte eine kleine Pause.

…und auch an meiner eigenen Person, verantwortlich gemacht werden kann. Auch der Vorwurf der Vorbereitung eines Putsches steht noch im Raum. In diesem Zusammenhang werden einige recht unangenehme Fragen zu stellen und – vor allem – zu beantworten sein. Auf den Untersuchungsausschuss wird daher einiges an Arbeit zukommen.

Sie pausierte erneut und schaute jetzt direkt in die Kamera.

Bianca Kayser, Network News, Tronòc City.

Im Lokal brach ohrenbetäubender Jubel aus. Bianca hatte im Fernsehen zur besten Sendezeit die Bombe platzen lassen. Sie hatten – Jean-Jacques’ Meinung nach vollkommen zu Recht – soeben eine mittelprächtige Staatskrise ausgelöst. Alle hoben ihre Gläser und Mike war kein besserer Trinkspruch als »Auf die Thronfolge!« eingefallen.

Am nächsten Morgen sah Nèřá, wie Jean-Jacques Bilder von Bianca und Taé an der »Lebensrettungs-Wand« neben den Gruppenfotos der aus den Rathaus nach dem Bombenanschlag geretteten Personen befestigte. Es waren weitere zwei Personen, die das DIID gerettet hatte und die daher an der Wand ihren Platz fanden.

Nèřá ging zu ihm und meinte: »Du hast ja doch einen ›weichen Kern‹, wie ihr Terraner immer zu sagen pflegt. Ich finde das sehr rührend; es gibt mir wieder ein wenig Hoffnung.« 

Sie küsste ihn auf die Wange und ging zur »Showtreppe«.

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