Kapitel 1
Prolog

2 Schiffe | 15 Sklaven | 1 Abzeichen

Tag vierhundertzweiundfünfzig seines Einsatzes.

Lieutenant Tom Greenhill war für die mittlere Schicht als diensthabender Kommunikationsoffizier auf der Brücke eines Raumschiffs eingeteilt. Es war wieder einmal eine dieser langweiligen Schichten, in denen nichts, aber auch gar nichts passierte; insofern war dies leicht verdientes Geld. Gerade diese Schichten machten aber deutlich, dass der Krieg seiner Meinung nach schon viel zu lange dauerte. Zum wiederholten Male überprüfte er seine Konsolenanzeigen. Beim gegnerischen Funkverkehr herrschte weiterhin totale Funkstille.

Sie befanden sich auf einem Patrouillenflug auf einer Umlaufbahn um den Planeten Tronòc und waren mit dem Auftrag unterwegs, eine seit einiger Zeit durch die Streitkräfte von der Erde, die »terranischen«, gebildete Blockade aufrecht zu erhalten. Die Terraner hatten sich mit der Zeit einen gewissen Vorteil herausgearbeitet und konnten die Troner durch diese Blockade davon abhalten, zu ihren Raumbasen im nicht allzu weit entfernten Asteroidengürtel vorzudringen. Nach nur geringer Gegenwehr waren diese Raumbasen an die Terraner gefallen.

Durch die Funkstille hatte er weiterhin genügend Zeit, seine Gedanken kreisen zu lassen und zu überlegen, wie alles sich entwickelt hatte, bis er schließlich hier auf diesem Schiff seinen Dienst verrichtete. Es begann damit, dass zwischen Mars und Jupiter ein Wurmlocheingang eher zufällig entdeckt wurde. Das Wurmloch endete in einem viele hundert Lichtjahre von der Erde entfernten Sonnensystem in der Nähe der Umlaufbahn des Planeten Tronòc. Dort herrschte zu der Zeit eine Militärdiktatur. Schlussendlich kam es so, wie es kommen musste: Da auf beiden Seiten, der terranischen und der tronischen, die Hardliner das Sagen hatten, gab es also Krieg.

Da ein tronischer Tag dreißig Stunden hatte, wurden die Wachen auf dem Schiff in Zehn-Stunden-Schichten eingeteilt. Obwohl sie auf ihrer derzeitigen Umlaufbahn alle neunzig Minuten Sonnenauf- und -untergänge zu sehen bekamen, hatten sie es dennoch beim Zehn-Stunden-Rhythmus belassen. Noch zwei Stunden bis Schichtende. Wenn diese Schicht auch wieder so ruhig sein würde…

Plötzlich unterbrach die Stimme seines Nachbarn, des Raumüberwachers, seine Gedanken. Dieser hatte ein Objekt identifiziert, welches augenscheinlich die Blockade zu durchbrechen versuchte. Es wurde als relativ kleines tronisches stellares Schiff identifiziert.

Der Kommandant befahl das Beenden der Schiffsrotation, so dass die Schwerkraft wieder aufgehoben wurde. Das Aufheben der Schwerkraft war notwendig, um das Schiff für einen Abfangkurs besser manövrierfähig zu machen. Tom und alle anderen Besatzungsmitglieder auf der Brücke zogen die Sicherheitsgurte aus den Rückenlehnen ihrer Sitze und schnallten sich an.

Der Steuermann entgegnete »Aye, Sir!« und betätigte einige Schalter auf seiner Steuerkonsole. Kurze Zeit später ertönte außerdem die Durchsage »Alle Mann auf Gefechtsstation! Rotation aufgehoben!« durch das Schiff.

»Mister Greenhill, Meldung an Oberkommando!«, bekam Tom vom Kommandanten beauftragt. Er setzte daraufhin die Meldung über den potenziellen Blockadebrecher ab.

Tom merkte, wie die Schwerkraft immer mehr abnahm und er sich immer leichter fühlte. Wäre er nicht an seinem Sitz angeschnallt gewesen, dann würde er jetzt durch die Brücke schweben. Aber kurz darauf wurde er aufgrund der starken Beschleunigung schon wieder in seinen Sitz gepresst. Das andere Schiff versuchte zwar, durch hakenschlagende Manöver zu entkommen, es hatte allerdings eigentlich aufgrund seines offensichtlich deutlich schwächeren Antriebs keine Chance auf Entkommen. Der Steuermann versuchte außerdem, jeder Bewegung des anderen Schiffs sofort zu folgen, was ihm auch ganz gut gelang.

Bei den ganzen Bewegungen des Schiffs konnte man jetzt schnell seekrank werden, da auch die Trägheitsdämpfer deaktiviert worden waren. Gerade in dieser Situation war Tom aber froh, doch recht »seefest« zu sein. Er hatte zwar gehofft, den endlosen Wach- und Patrouillendiensten etwas Abwechslung zu gönnen, aber noch einmal eine direkte Konfrontation mit dem Gegner, vielleicht sogar ein Gefecht, war dann doch etwas zu viel des Guten. Es war auch wirklich an der Zeit, dass der Krieg langsam zu einem Ende kommen würde.

Tatsächlich hatten sie nach einiger Zeit das tronische Schiff eingeholt. Es schien aber nicht gut bewaffnet zu sein oder der dortige Waffenoffizier verstand sein Handwerk nicht ganz so gut, denn die abgefeuerten Raketen wurden eine leichte Beute der Abfangraketen des terranischen Schiffs und richteten somit keinerlei Schaden an. Der Kommandant befahl einen Schuss vor den Bug als letzte Warnung. Eine Rakete detonierte bald darauf gut platziert nur wenige Meter neben dem Bug, was dem Waffenoffizier ein Lob des Kommandanten einbrachte. Das andere Schiff wollte sich aber immer noch nicht ergeben und versuchte weiterhin zu entkommen. Auf Befehl des Kommandanten wurde jetzt direkt auf das Schiff gezielt. Erst nach einem direkten Treffer in seine Antriebseinheit beschleunigte das tronische Schiff nicht mehr und flog auch nicht mehr hakenschlagend, sondern auf einer geraden Flugbahn. Die schwer beschädigte Antriebseinheit riss sogar kurz darauf vom Schiff komplett ab. Durch den vorhandenen Restschub verschwand sie bald außerhalb des Sichtfelds der Brückenfenster. Das tronische Schiff begann, bedingt durch den Abriss der Antriebseinheit, leicht zu trudeln.

»Steuermann, bringen sie uns längsseits!«, befahl der Kommandant. »Zwei Drohnen mit Schlepptrossen bereit machen und das Schiff einfangen!« 

Der Steuermann brachte das terranische Schiff auf Relativgeschwindigkeit Null zum tronischen Schiff und ging mit einigem Abstand parallel auf gleichen Kurs, auch wenn dies aufgrund des Trudelns des anderen Schiffs nicht so einfach war. Zwei Soldaten nahmen an die Drohnenkonsolen Platz und machten diese einsatzbereit. Sie setzten ihre Videobrillen sowie ihre Headsets auf und meldeten dann Einsatzbereitschaft. Eine Drohne wurde zum Bug des tronischen Schiffs beordert, die andere zum Heck. Die Drohnenpiloten mussten darauf achten, die Trossen straff und im Abstand zu halten, damit diese sich nicht am eigenen Schiff zu verhaken drohten. Bald darauf waren die Trossen um den Rumpf des anderen Schiffs gelegt und beide Schiffe wurden fest miteinander vertäut. Durch einige Bremsmanöver wurde die Flugbahn beider Schiffe stabilisiert. Als das Trudeln aufgehört hatte, wurde dem Kommandanten Vollzug gemeldet.

»Sehr schön!«, sagte der Kommandant. »Mister Greenhill!« 

»Sir?« 

»Senden Sie über die Trossen!« 

Da sich Schall im luftleeren Raum nicht übertragen lässt, jetzt aber beide Schiffe mechanisch miteinander verbunden waren, konnte eine akustische Nachricht über die Trossen an das tronische Schiff übertragen werden.

Tom sendete daher auf Tronisch: »Sie sind manövrierunfähig und wir haben Sie festgelegt! Ergeben Sie sich! Wir werden zu Ihnen an Bord kommen und alles Weitere regeln!« 

Er hatte diese Art der Nachrichtenübertragung einmal im Training erlebt. Es liefen einem kalte Schauer den Rücken herunter, wenn plötzlich der ganze Schiffsrumpf zu sprechen begann und der Schall aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen schien. Auf ihrem eigenen Schiff hörten sie davon allerdings fast nichts, da die Trossen an ihrer Seite mit großen Gummipuffern versehen waren, die sowohl der Stoß- als auch der Schalldämpfung dienten. Tom überprüfte auf seiner Konsole, ob auf irgend einer Frequenz ihnen geantwortet wurde.

»Keine Antwort, Sir!«, meldete er schließlich.

Er erhielt vom Kommandanten noch einen erneuten Versuch, das gegnerische Schiff zu kontaktieren. Da es aber immer noch keine Antwort auf ihre Kapitulationsanforderung gab, wurde das Entern befohlen. Der Begriff »Entern« erinnert zwar ein wenig an die klassische Seefahrt, Piraten und Segelschiffe, aber in der Luftleere des Weltraums konnten die Soldaten ja nicht einfach über die Bordwand springen. Ihr Schiff hatte daher eine besondere technische Einrichtung an Bord, den so genannten »Enterrüssel«. Ursprünglich für Rettungsaktionen entwickelt, wurde dieses Gerät vor allem auch zum Entern von feindlichen Schiffen verwendet. Es gab zwar auch noch einen sperrigen offiziellen Begriff für dieses Gerät, aber diesen benutzte niemand; für alle war es nur »der Rüssel«. An der Vorderseite waren mit einer äußerst harten Industriekreamik besetzte Greifer angebracht, die sich dann in der Außenhülle des anderen Schiffs festkrallen sollten. Das Ende des Rüssels bildete das »Andockkissen«, ein ringförmiges Gebilde, das den zu schaffenden Zugang luftdicht abschließen konnte. Innerhalb des Kissens befand sich außerdem ein mit Plasmalaserschneidgeräten ausgestatteter Ring, der »Schneidering«, mit dem man ein Loch in die Außenhaut des anderen Schiffs schneiden konnte, um sich somit Zugang zu verschaffen. Der ganze Rüssel war darüber hinaus als Luftschleuse ausgebildet, um Luftdruckunterschiede zwischen den Schiffen ausgleichen zu können.

Da sie nicht wussten, welcher Luftdruck auf dem anderen Schiff herrschte, arbeiteten die Männer des Pioniertrupps am Schneidering in Raumanzügen. Die Plasmalaser arbeiteten sich relativ zügig durch die Außenhaut des anderen Schiffes. Wann immer eine Schicht der Außenhaut durchgeschnitten worden war, wurde der Schneidering ein Stück vorangeschoben, ähnlich wie bei einer Tunnelbohrmaschine. Nach einer Viertelstunde hatten sie ein großes Loch in das andere Schiff hineingeschnitten. Der Luftdruck zwischen dem Rüssel und dem tronischen Schiff wurde zischend ausgeglichen, als der Durchlass immer mehr geöffnet wurde. Ein Soldat des Schneidetrupps hielt ein an einem langen Ausleger befestigtes Messgerät durch das Loch in das tronische Schiff hinein.

»Luftdruck ist ausreichend. Luft ist atembar«, meldete er über Funk dem Kommandanten.

Ein Enterkommando hielt auf der anderen Seite der schiffsseitigen Luftschleuse des Rüssels seine Stellung. Der das Kommando anführende Marines-Sergeant bekam vom Kommandanten die Freigabe zum Entern mitgeteilt. Da Tom die tronische Sprache beherrschte und er sich als Dolmetscher mit dem Enterkommando auf das gegnerische Schiff begeben sollte, wurde ihm eine Handfeuerwaffe, ein Helm und eine Splitterschutzweste ausgehändigt. Der Kommandant befahl, die beide Schiffe in eine gemeinsame Rotation zu versetzen. Tom spürte, dass er bald darauf »wieder festen Boden unter die Füße« bekam. Er musste grinsen, da er sich ausgerechnet jetzt an die alte Raumflotten-Redensart für das Wiedereinsetzen der Schwerkraft erinnerte.

Die Luftschleusentür öffnete sich und die Soldaten, die den Zugang freigeschnitten hatten, begaben sich wieder auf das terranische Schiff zurück. Da der Rüssel jetzt frei war, gab der Sergeant den Befehl zum Entern. Die Marines schlüpften mit den Waffen voran durch den Rüssel und Tom folgte ihnen in einigem Abstand. Da beide Schiffe sich jetzt gemeinsam um eine Achse drehten, die sich genau zwischen ihnen befand, war im Rüssel noch Schwerelosigkeit, während bei den mit ihren beiden Oberseiten zueinander platzierten Schiffen die durch die Rotation erzeugte Schwerkraft genau entgegen gesetzt wirkte. Dies führte zu der paradoxen Situation, dass man auf dem einen Schiff in eine Luke in der Decke klettern, dann durch den Rüssel schweben und sich auf der anderen Seite des Rüssels wieder aus einer Decke abseilen musste. Unter Schwerkraft ein Schiff zu entern, war aber natürlich deutlich einfacher als unter Schwerelosigkeit, so dass die kleinen Komforteinschränkungen beim Übergang zwischen den Schiffen in Kauf genommen werden mussten.

Mann für Mann seilte sich jetzt das Enterkommando durch das Loch in der Decke in einen Gang des tronischen Schiffs ab. Die unten angekommenen Soldaten gingen mit der Waffe im Anschlag sofort in Stellung und sicherten den Zugang. Als Letzter kam Tom am Seil herunter.

»Captain, wir sind drin«, meldete Tom über seinen Kommunikator, als er den Karabinerhaken öffnete und sich vom Seil löste.

Der Sergeant befahl: »Zwei Mann bleiben hier zum Sichern, der Rest kommt mit!« 

Er wandte sich an Tom: »Wo müssen wir lang, Sir?« 

Sie versuchten, sich unter der Führung von Tom anhand der Beschriftung der Gänge und Türen auf dem Schiff zurecht zu finden. Die hoch komplexe tronische Schrift vereinte allerdings die Nachteile von asiatischen Silbenschriften mit Schriften, welche die Vokale größtenteils nicht mit notieren, wie Hebräisch oder Arabisch. Auch begannen alle Eigennamen mit dem Buchstaben T, so dass dieser Buchstabe nie mit aufgeführt wurde. Eigennamen mussten daher aus dem Kontext abgeleitet werden, was die Lesbarkeit nochmals erschwerte. Somit hatte Tom Mühe, die Schriftzeichen zügig zu entziffern und das Enterkommando so auf den richtigen Weg zu führen. An jeder Tür und an jeder Abzweigung des Ganges mussten sie daher erst einmal stoppen, so dass sie nur äußerst zäh voran kamen.

Obwohl die über die Trossen gesendete Nachricht, das Festkrallen des Rüssels und das Schneiden des Lochs sehr laut gewesen sein mussten, so war bis jetzt noch kein tronischer Soldat zu hören oder zu sehen gewesen. Rettungskapseln wurden ebenfalls keine im Umkreis des Schiffs gesichtet worden, so dass sich die tronische Schiffsbesatzung noch vollständig an Bord befinden musste. Auch eine automatische Verteidigungsanlage schien es nicht zu geben oder sie war deaktiviert, so dass sie noch auf keinen Widerstand gestoßen waren. Dies verstärkte natürlich die Anspannung, da jeder mit einem plötzlich auftauchenden Hinterhalt rechnete.

Die Beschriftungen waren jedoch einigermaßen logisch aufgebaut und nach einiger Übung konnte Tom diese immer schneller entziffern. So bewegte sich der Trupp recht zügig Richtung Brücke. An vielen Stellen waren Bilder des Kaisers angebracht und darunter standen Propagandaparolen, Durchhalteappelle für den Krieg, wie Tom herausfand. Der leicht cholerische Marines-Sergeant regte sich danach fortwährend über den Kaiser-Personenkult auf, wann immer ein solches Bild in Sicht kam.

Ein Soldat sah plötzlich hinter einem Wandvorsprung etwas Blaues hervorschauen und sich schnell wieder zurückziehen. Der Sergeant hob daraufhin den Arm mit der geballten Faust als Zeichen zum sofortigen Stehenbleiben. Mit Handbewegungen dirigierte er die Soldaten, um am Wandvorsprung Stellung zu beziehen. Mit einer weiteren Handbewegung gab er zwei Soldaten den Befehl, um den Vorsprung herum zu gehen. Als die beiden Soldaten um den Vorsprung herum gegangen waren, hielten diese abrupt inne.

Einer der Marines blickte zum Sergeant zurück und schüttelte den Kopf. »Hey Sergeant, das müssen Sie sich ansehen, Sir!« rief er.

Der Rest des Trupps bewegte sich langsam um den Vorsprung herum und alle blickten dann durch eine geöffnete Tür in einen halbdunklen Raum. Einige Soldaten leuchteten mit den an ihren Waffen befestigten Lampen in den Raum hinein. Man sah mehrere Gestalten mit blauer Haut und blauen Haaren zitternd und aneinander geklammert auf dem Boden kauern. Diese waren offensichtlich sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechts. Einige blinzelten, als sie die Lichtstrahlen der Lampen im Gesicht trafen. Sie waren also auf mehrere »Nèk’h« gestoßen, die an Bord waren. Obwohl das Enterkommando, wie alle Terraner, schon viel über die tronische Sklavenrasse gehört und auch schon Bilder gesehen hatte, so waren sie doch noch nie einem lebenden Exemplar direkt begegnet. Die Nèk’h sind von den Tronern speziell gezüchtete Diener und Sklaven, welche zwar einen tronischen Körperbau und tronische Gesichtszüge haben, dem gegenüber allerdings etwas kleiner und vor allem komplett blau sind. »Komplett blau« heißt, dass sie eine hellblaue Haut, dunkelblaue Haare und Fingernägel sowie blaue Augen haben. Diese Erscheinung war zwar für Terraner ein recht gewöhnungsbedürftiger Anblick, aber speziell die eindeutig als weiblich zu identifizierenden Exemplare der Spezies machten teilweise einen recht attraktiven Eindruck (wenn man denn blaue Haare mag). Außerdem schien keiner von ihnen in irgend einer Form bewaffnet zu sein.

Der Sergeant zählte fünfzehn Nèk’h.

»Sergeant, Sir, warum sind’n die alle so blau?«, musste natürlich ein Soldat fragen.

Der Sergeant antwortete: »Corporal, das wissen Sie etwa nicht? Für den Hulk oder die Simpsons laufen noch Patente, für die Schlümpfe oder die Krieger aus dem Film Avatar nicht. Daher sind die Nèk’h nicht grün oder gelb, sondern blau!«

Alle terranischen Soldaten lachten lauthals. Die anwesenden Nèk’h hatten die Anspielung entweder nicht verstanden oder verhielten sich ruhig, um die Soldaten nicht unnötig zu provozieren.

»Lieutenant Greenhill, wir brauchen Sie hier vorne als Übersetzer, Sir!«, rief der Sergeant, der hinter dem Soldatentrupp geblieben war.

Eine nach Toms Ansicht recht attraktive Nèk’ha, also eine weibliche Nèk’h, stand plötzlich auf. Der Sergeant richtete sofort seine Waffe auf die Frau, aber Tom forderte ihn auf, die Waffe wieder sinken zu lassen.

Sie sagte etwas holprig: »Nèk’h brauchen nicht Übersetzer! Nèk’h sprechen Ihre Sprache! Nèk’h haben Ihre Sprache gelernt! Nèk’h geschaffen, um schnell zu lernen!« 

Tom war perplex und sogar dem ansonsten so großmäuligen Marines-Sergeant fiel zur Abwechslung einmal kein dummer Spruch ein.

In Toms Kopf begannen die Gedanken hektisch zu kreisen. Gilt etwa auch einige hundert Lichtjahre von der Erde entfernt die Devise »der Feind deines Feindes ist dein Freund«? Konnte man diesen blauen Gestalten vertrauen? Konnte man ihnen wirklich vertrauen, wenn doch anzunehmen war, dass in dem schon recht lange andauernden Krieg die Terraner zwangsläufig auch einige von ihnen getötet haben mussten, wenn sie tronische Schiffe zerstörten? Inwiefern war bei Sklaven noch eine gewisse Loyalität zu ihren Herren vorhanden, wenn diesen Herren eine militärische Niederlage zuteil wurde und sie somit die Chance hätten, sich gegen diese aufzulehnen? Bis entschieden war, was mit den Nèk’h passieren sollte, wurden diese weiterhin in dem Raum von den Marines in Schach gehalten.

Immer weiter arbeitete sich der Entertrupp in das Schiffsinnere vor. Tom deutete auf die tronischen Schriftzeichen an einer Korridorgabelung.

Leise sagte er zum Sergeant: »Offiziersquartiere. Hier würde es sich lohnen, einmal nachzusehen.« 

Ehe der Sergeant etwas sagen konnte, fielen Schüsse und einige Projektile schlugen krachend in die gegenüberliegende Wand ein. Sofort gingen die Marines in Stellung und erwiderten das Feuer.

Das Feuergefecht dauerte nur wenige Minuten, dann stellte die gegnerische Seite das Feuer wieder ein.

Aus dem Korridor wurde etwas Tronisches gerufen.

»Wir ergeben uns!«, übersetzte Tom.

Langsam gingen sie den Korridor an mit erhobenen Händen dastehenden tronischen Soldaten entlang. Der Sergeant entdeckte mehrere Verletzte und wies die mit ihnen vorgerückten Sanitäter an, sich um diese zu kümmern.

»Aber ich habe doch keinen blassen Schimmer von tronischer Anatomie!«, warf ein Sanitäter ein.

»Das ist doch egal!«, entgegnete Tom. »Die sehen doch eigentlich ganz humanoid aus – oder? Zeigen Sie halt guten Willen!« 

Mit einem »Jawohl, Sir« begann der Sanitäter, sich um einen verletzten tronischen Soldaten zu kümmern.

Dann endlich trafen sie auf die »Fracht« des tronischen Schiffs, eine Handvoll Militärs, die dem ersten Anschein nach nicht unbedingt wie einfache Soldaten aussahen.

Die tronischen Militärs entpuppten sich bei näherer Betrachtung tatsächlich als teilweise hochrangige Offiziere, wie Tom aus den ihm vorliegenden Geheimdienstunterlagen und anhand der tronischen Rangabzeichen ermittelte.

»Da haben wir ja einen schönen Fang gemacht!«, blökte der Marines-Sergeant. »Wolltet ihr euch heimlich verdrücken, was?« 

Die Marines entwaffneten und fesselten die tronischen Militärs. Zwei Soldaten blieben bei den Gefangenen, um sie zu bewachen, die restlichen begannen zusammen mit Tom, das tronische Schiff nach weiteren Personen zu durchsuchen.

Von einem Nèk’h hatte sie in Erfahrung bringen können, dass sich nur noch auf der Brücke weitere Soldaten aufhielten. Tom konnte anhand der an den Wänden angebrachten Schriftzeichen den kürzesten Weg zur Brücke ermitteln und so hatten sie die Eingangstür nach wenigen Minuten erreicht.

Im Gegensatz zu den anderen Türen des Schiffs war diese verschlossen und ließ sich weder durch Betätigung eines kleinen neben der Tür angebrachten Bedienelements noch manuell öffnen. Daher wurde schweres Gerät geordert.

Die Marines bezogenen Stellung vor der Tür und die herbeigerufenen Pioniereinheit brachte erneut ihren Schneidering in Stellung. Am Ring war dieses Mal ein anderes Zusatzgerät befestigt, welches mit starkem Unterdruck das herausgeschnittene Stück blitzschnell herausziehen und somit den Weg für nachrückende Truppen frei machen sollte.

Das Gerät funktionierte erwartungsgemäß und nachdem der Zugang durch die Brückentür geschaffen worden war, stürmten die Marines die Brücke und die anderen rückten nach.

Die wenigen tronischen Soldaten, die sich auf der Brücke aufhielten, ergaben sich kampflos. Dann fanden sie im Steuerstand den Piloten, welcher sich ebenfalls widerstandslos ergab. Der Pilot entpuppte sich nach Abnehmen seines Helmes als eine Pilotin, die für eine Tronerin durchaus nicht unattraktiv war, wie Tom feststellen musste.

»Aha, müssen jetzt bei euch schon Kinder ran?!«, blaffte der Marines-Sergeant auf das Alter der Pilotin anspielend.

Tom brachte den Sergeant mit einer Handbewegung zum Schweigen. Die Tronerin war tatsächlich recht jung oder sah recht jung aus, trug aber dennoch schon ein Abzeichen am Revers, das einem Pik-Zeichen auf einer Spielkarte ähnelte, ein Abzeichen der Kaisergarde. Er stutzte, als er sie erkannte. Es bestand kein Zweifel: vor ihm stand Taïrè, seines Wissens nach irgend eine recht hochrangige Adlige.

»Taïrè, Ihr seid jetzt unsere Gefangene! Wir werden Euch nichts tun.«, sagte er auf Tronisch.

Sie schaute ihn erstaunt an. »Ihr wisst, wer ich bin?«, fragte sie.

Er wollte gerade etwas erwidern, da meldete sich der Kommandant über das Funkgerät: »Mister Greenhill, wir haben hier eine verschlüsselte Stufe-Eins-Nachricht. Sofort zurück zu uns an Bord!«

Tom wies die Marines an, die Pilotin zu bewachen. Dass sie eine recht hohe Vertreterin des tronischen Adels gefangen hatten, behielt er vorerst für sich. Er fragte sich, was denn wohl so wichtig sein könnte, dass das Oberkommando eine Nachricht der höchsten Dringlichkeitsstufe versendet, als er sich auf dem Weg zurück durch den Rüssel auf das terranische Schiff machte. Nachrichten der Stufe Eins erforderten zwei Offiziere zum Dechiffirieren. einer davon musste der leitende Kommunikationsoffizier sein, also er. Nachrichten der Stufe Eins waren aber sehr, sehr selten. Es musste daher etwas Außergewöhnliches passiert sein. Hatten die Troner womöglich kapituliert? Das wäre wirklich zu schön gewesen, um wahr zu sein.

Das Dechiffrieren einer Nachricht der Stufe Eins war ein komplexer Vorgang, der aber zum Glück nicht allzu oft vorkam.

Tom holte das an einer Kette um seinen Hals hängende Dechiffrierungsgerät unter seinem Uniformhemd hervor und der Kommandant tat es ihm nach. Beide legten die Geräte an die dafür vorgesehenen Stellen auf Toms Kommunikationskonsole. Sofort wechselten einige Anzeigen auf der Konsole ihre Farbe und Tom konnte mit dem Entschlüsseln der Nachricht beginnen.

Als er die Nachricht entschlüsselt hatte, war er erleichtert. Der tronische Kaiser hatte tatsächlich kapituliert, der Krieg war offiziell für beendet erklärt worden. Auf Wunsch des Kommandanten führte Tom nochmals eine Echtheitsprüfung der Nachricht durch, doch auch danach bestand an der Authentizität – und vor allem am Kriegsende – kein Zweifel. Der Kommandant machte daraufhin eine Ansage an alle Besatzungsmitglieder. An Bord brach sofort Jubel aus.

Der Schaden, den der Abriss der Antriebseinheit des tronisches Schiffs verursacht hatte, war wohl größer, als zuerst angenommen. Da deswegen die Lebenserhaltungssysteme zu versagen drohten, wurden alle Passagiere an Bord des terranischen Schiffes gebracht. Tom wurde wieder zum Rüssel beordert, um als Übersetzer diesem Vorgang assistieren zu können. Als dann Taïrè an Tom vorbei geführt wurde, wies er die Marines an, sie zu ihm zu bringen.

»Ihr habe eine Nachricht bekommen, dass wir kapituliert haben. Stimmt das?«, fragte sie.

Er bestätigte ihr, dass der Krieg offiziell vorbei sei. Sie blickte ihm tief in die Augen, drückte ihm etwas in die Hand und beugte sich zu ihm.

»Danke, dass Ihr nicht verraten habt, wer ich bin«, flüsterte sie. »Wie ist Ihr Name?«

»Greenhill, Lieutenant Tom Greenhill, Kommunikationsoffizier«, antwortete er.

Sie schaute ihm in die Augen. »Tom! Ein Terraner, dessen Name mit dem Buchstaben T beginnt, ist für uns immer etwas Besonderes. Alle unsere Namen beginnen mit dem Buchstaben T«, sagte sie leise.

Warum er dies jetzt alles getan hatte, wusste er selbst nicht mehr so genau. Er winkte die Marines heran und diese führten Taïrè ab. Er öffnete seine Hand. Sie hatte ihm ihr Kaisergarden-Anzeichen gegeben. Er steckte das Abzeichen in seine Hemdtasche und schaute ihr nach, als sie von den Marines in den Zellentrakt abgeführt wurde.

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