Tag 5
Die Baustelle

Als der Wecker sich bemerkbar machte, fand ich mich alleine in meinem Bett wieder. Ich stand auf, ging um den Raumteiler herum und fand Tanya herzhaft gähnend auf ihrer Bettkante sitzend.

Uhrzeit: 0600 WPCT

»Guten Morgen«, sagte ich zu ihr, denn dies war tatsächlich einmal ein guter Morgen gewesen. »Hast du gut geschlafen?« 

Sie antwortete: »Jein. Du hast furchtbar gedrängelt und geschubst, so dass ich fast aus dem Bett gefallen wäre. Irgendwann gegen zwei Uhr bin ich dann in mein Bett umgezogen.« 

Ich setzte mich neben sie und legte meinen Arm um sie.

»Das tut mir ehrlich Leid. Mein Körper scheint wohl nach meiner Scheidung unbewusst eine Art Abwehrreaktion gegen Frauen in meinem Bett entwickelt zu haben. Da der Körper jetzt aber mitbekommt, dass du nichts Böses im Schilde führst, wird sich das bessern, hoffentlich.« 

Sie lachte und küsste mich. Ich hoffte nur, dass sie nicht auf die Idee kam, Paula über alle möglichen und unmöglichen Details meiner Scheidung und der Vorgeschichte dazu auszufragen.

Leider musste ich dann auf dem Weg zum Offizierskasino mit ansehen, wie Tanya sich zu Paula beugte, ihren Arm um sie legte und ihr etwas ins Ohr flüsterte. Sie musste es ihr also gleich erzählen… Paula bekam ein strahlendes Lächeln und schaute zu mir herüber. Ich hoffte nur, dass Tanya ihr eine Art Schweigegelübde auferlegt hatte.

Damit es gar nicht erst ausufern konnte, setzte ich mich beim Frühstück bewusst zwischen Tanya und Paula. Trotzdem musste Paula mir ein »habt ihr endlich?« ins Ohr flüstern

»Ja, zufrieden jetzt?«, fragte ich zurück.

Paula konnte aber nichts mehr erwidern, da ein Teil des Generalstabs an unseren Tischen vorbei kam und jeden von uns einzeln begrüßte.

Pepe und Dmitri wollten schon vorgehen, aber die anderen und ich blieben noch eine Weile am Frühstückstisch sitzen.

Vor dem Konferenzraum nahm ich Tanya dann zur Seite.

»Musstest du ihr das unbedingt erzählen?«, fragte ich.

Tanya antwortete: »So gibt sie wenigstens Ruhe.« 

»›Ruhe‹ auch im Sinne von ›nicht weitererzählen‹?« 

»So hat sie es mir versprochen. Wichtig ist ihr, dass du glücklich bist und ich dir nichts Böses antue.« 

»Meine Scheidung wirkt halt bei ihr noch nach.« 

»Max, ich hätte gerne auch so eine Tochter, die sich so um mich sorgt!« 

»Sie ist aber gar nicht meine Tochter. Ich kümmere mich nur um sie, seit ihre Eltern gestorben sind.« 

Tanya entfuhr ein »oh!«. Sie legte eine Hand auf meinen Arm und ich bildete mir ein, bei ihr etwas feuchtere Augen zu entdecken.

Uhrzeit: 0830 WPCT

Um schnell aus dieser Situation wieder herauszukommen, fand sich eine willkommene Ablenkung in Gestalt von Dmitri, der alle sich um den Taktiktisch versammeln ließ. Pepe und Dmitri hatten offenbar große Fortschritte gemacht und präsentierten uns auf unserem Tisch einen Lageplan des Stützpunkts. Ich erkannte die E-förmigen Quartiersgebäude, das Flugfeld und den zentralen Stabsbereich, wo sich unsere Konferenzräume befanden. Alles war von blauen Linien durchzogen, die entfernt an Adern erinnerten.

Dmitri begann: »Blau ist hier das Stromnetz, wobei ich nicht zwischen Hoch-, Mittel und Niederspannung unterscheide. Jetzt kommen die Klone dazu.« 

Pepe hatte offenbar wieder ganze Arbeit geleistet und tatsächlich die Frequenzen aus dem Wechselstrom herausfiltern können, die ungefähr im Rhythmus der von uns beobachteten Klon-Handballen lagen, und diese orange eingefärbt.

»Zwar nicht wirklich das Gelb der Klonpolizei, aber dennoch ganz nett«, stellte Tanya fest.

Dmitri fuhr fort: »Auf diese Weise können wir jetzt den Weg der Klon-Signale verfolgen.« 

Auf dem Tisch bildeten sich nun orangefarbene Flüsse, die sich immer mehr zu größeren Strömen vereinigten, bis sie schließlich an einem Punkt endeten.

Ich zeigte auf die Stelle und fragte: »Was ist hier? Wieso hört das hier einfach auf?« 

Dmitri konnte darauf keine Antwort geben und auch Eric hatte in diversen Systemen gestöbert, aber weder Baupläne noch Technikpläne oder Ähnliches gefunden. Offensichtlich hatte jemand genau diesen Teil des Stützpunkts aus allen Datenbeständen eliminiert. Das nährte den Verdacht, dass dort irgendetwas überhaupt nicht mit rechten Dingen zuging.

Vollkommen unerwartet meldete sich der kleinere der beiden Wachsoldaten zu Wort.

»Entschuldigung, wenn ich etwas sagen dürfte…« 

Tanya zeigte wieder ihre Grübchen.

»Aber natürlich«, flötete sie, »wir können jede Hilfe gebrauchen. Kommen Sie zu uns an den Tisch.« 

Der Wachsoldat bekam leicht rötliche Wangen, weil er wohl von der STROA persönlich angesprochen wurde. Tanyas Tonfall war hierbei sicherlich auch förderlich.

»Da ist eine Baustelle, ich war dort als Wache eingeteilt. Der Stützpunkt sollte erweitert werden, aber die Arbeiten sind zur Zeit eingestellt.« 

»Wissen Sie, wie es dort jetzt aussieht?«, wollte ich wissen.

»Nur bis zu dem Zeitpunkt, bis ich von dort abgezogen wurde, Sir.« 

Sie brauchen mich nicht ›Sir‹ zu nennen«, meinte ich.

Er ging nicht darauf ein, sondern fuhr fort: »Dort dürfte sich aber nicht allzu viel mehr verändert haben, weil die Bauarbeiten gestoppt wurden. Wissen Sie, Wachsoldaten müssen sich alles immer genau einprägen.« 

Ich warf Dmitri einen elektronischen Stift zu und bat ihn, den Wachsoldaten zu zeigen, wie man damit auf dem Tisch etwas zeichnete.

Die nächste Aufgabe betraf Paula.

»Paula versuche bitte, an Aufzeichnungen von Überwachungskameras zu gelangen, die irgendwo im Bereich der Baustelle installiert sind.« 

»Livebilder auch?« 

»Ja, so können wir die Klone vielleicht direkt beobachten.« 

Sie bekam aber nur Zugriff auf eine einzige Kamera, die in einer nur sehr weitwinkligen Übersicht die Baustelle zeigte. Aber auch trotz des recht pixeligen Bilds konnte ich deutlich die pulsierenden Handballen erkennen. Was mich – und Paula – ein wenig erschreckte, war die Tatsache, dass ausnahmslos jeder, der ins Bild kam, pulsierende Handballen hatte. Es sah so aus, als ob die Klone diesen Bereich vollständig unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Ich legte das Videobild auf einen Wandmonitor und bat Eric, es sich genauer anzusehen, ob er eventuell den Sender entdecken konnte.

Wiederum musste ich die Wachsoldaten darum bitten, hierüber Stillschweigen zu bewahren.

Der kleinere Wachsoldat hatte den Lageplan vervollständigt und ein in Bau befindliches und ebenfalls E-förmiges Gebäude, mehrere Baucontainer sowie zwei Kräne eingezeichnet. Seinen Angaben nach befand sich jetzt in einem Baucontainer das Wachbüro, nachdem die Bautätigkeiten gestoppt und die Bauarbeiter auf die Erde evakuiert worden waren. Der Container daneben beherbergte einen Generator für die Energieversorgung der Baustelle.

»Autarke Energieversorgung, das ist nicht dumm«, stellte Eric fest. »Das ist wahrscheinlich der Grund, warum die Baustelle nicht mit dem Energienetz des Stützpunkts verbunden ist.« 

Das Videobild zeigte am Rand einen kleinen Kran.

Eric rief: »Halt! Paula, zeig’ ’mal den Kran!« 

»Ich kann leider nicht weiter heranzoomen oder schwenken, weil ich die Kamera nicht aktiv bedienen möchte«, gab Paula zu bedenken.

Eric ging näher an den Monitor heran und betrachtete das Bild genauer. Er war nun einmal unser Experte für alle möglichen Arten von Technik. Das schloss zwar die außerirdische Technik nicht mit ein, aber ein Versuch war es wert.

»Positiv! Das ist nicht unser Tech, auf keinen Fall! Das muss der Sender sein«, war sein Fazit.

Der Wachsoldat äußerte noch seine Verwunderung darüber, dass ausgerechnet er hier in das Stabsgebäude versetzt worden war, aber für mich war die Sache klar: Die Klone wollten in kleinen Schritten den Baustellenbereich unter ihre alleinige Kontrolle bringen, um dort ungestört ihren Sender aufbauen zu können. Wer hätte außerdem schon nachgefragt, wenn er auf einen viel angenehmeren Posten versetzt wurde.

Paula hatte sich in der Zwischenzeit aus den Gelben Seiten Daten über die Einheiten besorgt, in denen enttarnte Klone stationiert waren. Das Ergebnis war überraschend, da etwa achtzig Prozent der Klone aus Wacheinheiten kamen.

»Das ist durchaus taktisch nicht ungeschickt«, meinte Tanya. »Sie infiltrieren den Gegner von innen heraus, und zwar über die Wacheinheiten. Wachsoldaten sind überall, fallen nicht auf und werden nicht einmal richtig beachtet. Verzeihen Sie, Master Sergeant!« 

Nun bekam auch der zweite von der STROA direkt angesprochene Wachsoldat rote Ohren, denn sie hatte sich sogar direkt bei ihm entschuldigt.

»Ich kann mir denken, was Sie meinen, Ma’am. Darf ich auch noch etwas anmerken?« 

»Nur zu, lassen Sie es uns hören!«, ermunterte ich ihn.

»Sicherheitsbereiche! Wachsoldaten werden auch in Sicherheitsbereichen eingesetzt.« 

»…und haben damit Zugang auch zu den vertraulichsten Informationen!«, ergänzte Dmitri.

Jetzt war es aber tatsächlich Zeit für einen van-Eych-Alarm. Tanya bat den Wachsoldaten, uns richtige Waffen, keine Taser, zu besorgen und ich nahm Kontakt mit dem Generalstab auf. Wie üblich, wurden keine Fragen gestellt, was Tanya sehr beeindruckte.

Auch konnten wir unverzüglich beim Stab erscheinen, der Admiral hatte eigens für uns eine Sondersitzung einberufen.

»Die nehmen van-Eych-Alarme ja wirklich ernst.« 

»Tanya, vielleicht bekommen wir sie ja dazu, auch eine Art Bakersfield-Alarm einzuführen.« 

»Max, du bist doof!«, rief sie und boxte mir auf den Oberarm.

»Wieso? Ich hatte dir doch versprochen, Eindruck beim Generalstab machen zu können.« 

Tanya und ich beschlossen, dass wir zusammen mit dem großen Wachsoldaten und der sich freiwillig gemeldeten Liz als Geleitschutz zum Generalstab gehen wollten. Schon nach ein paar Minuten kam der große Wachsoldat mit ein paar Waffen zurück. Ich nahm mir eine kleine Handfeuerwaffe und Liz suchte sich ein auffallend großes Gewehr aus.

Auf meinen fragenden Blick hin entsicherte sie das Gewehr und meinte breit grinsend: »ein großes Mädchen braucht eine große Waffe!« Ich schien auch bei ihr einen verstärkten nicht-militärischen Einfluss zu haben.

Uhrzeit: 1345 WPCT

Ich bekam die Bestätigung vom Generalstab, dass sie für uns alles vorbereitet hatten, und wir gingen los. Die anderen wies ich an, den Konferenzraum und vor allem unsere Technik mit allen Mitteln zu verteidigen.

Wir kamen gut voran, ohne von Klonen oder jemand anderem gestoppt worden zu sein.

Im Vorraum des Stabsbunkers fanden wir dann aber viele Wachsoldaten vor, zu viele. Und etwa achtzig Prozent… 

Ich flüsterte Tanya ins Ohr: »Kannst du jetzt bitte deinen Rang einsetzen und alle antreten lassen. Wir müssen hier erst die Klone ausschalten.« 

Sie schaute mir wieder einmal viel zu tief in die Augen und quittierte es mit einem leichten Nicken.

Nach kurzem »Achtung!«- und »Stillgestanden!«-Gebrülle, das wieder einmal einiges von der »Eisernen Baker« erahnen ließ, standen die Wachsoldaten in Reih und Glied. Tanya drehte sich von den Soldaten weg und kam zu mir.

»Der dritte von rechts und der neben der Tür. Ich nehme den neben der Tür«, sagte sie tonlos.

Ich flüsterte: »Bestätigt.« 

Tatsächlich waren die pulsierenden Handballen bei den beiden Soldaten nicht zu übersehen. Fast gleichzeitig zogen wir unsere Taser und drückten ab. Die getroffenen Klone brachen mit dem gewohnten Heulen zusammen. Die anderen Wachsoldaten schauten überrascht aus der Wäsche, behielten aber ihre Haltung bei.

»Rühren! Raum abriegeln! Die beiden gut fesseln! Und vor allem: Hände fest verbinden!«, befahl Tanya, auf die am Boden liegenden Klone zeigend.

Liz meinte im Vorbeigehen: »’nen coolen Job hast du mir hier verschafft, Professor!« 

»Naja, so aufregend ist er nur selten«, erwiderte ich.

Die gute Nachricht war, dass die Klone sich noch nicht ganz in den Stabsbereich vorarbeiten konnten, denn nur zwei Wachsoldatenklone waren deutlich weniger als die übliche Quote von achtzig Prozent.

Durch eine Schleuse erreichten wir das Lagezentrum und wurden schon vom Stabschef empfangen.

»Das war der ungewöhnlichste van-Eych-Alarm, den wir je hatten. Was verschafft uns diesen Auftritt, Professor?«, wollte der Admiral wissen.

Wie üblich, sprach ich den Admiral direkt an. Ich erläuterte ihm, dass wir glaubten, etwas vollkommen Neues über die Klone herausgefunden zu haben.

»Sir, wir glauben, zu wissen, wie sie untereinander kommunizieren.« 

»Aha, hatten Sie nicht ursprünglich den Befehl, wie üblich Daten auszuwerten?« 

»Aber natürlich, Sir. Das läuft weiter und wir sind auf einem guten Weg, jetzt wo wir die Flugschreiber bekommen. Das mit den Klonen hat sich eher zufällig so nebenbei ergeben.« 

Der Admiral lachte und meinte: »Herr Professor, bei Ihnen gibt es doch keine Zufälle, oder?« 

»Natürlich sind meine Zufälle eher wissenschaftlich fundierte Zufälle.« 

»Natürlich, Herr Professor!«, bestätigte der Admiral vergnügt.

»Redet ihr immer so miteinander?«, sprach Tanya leise in mein Ohr. »Der ist doch hier der oberste Chef von allem. Unglaublich. Echt unglaublich.« 

Ich lenkte sie davon ab, indem ich sie darum bat, auf dem mitgebrachten Pad-Rechner Paulas zusammengestellte Videosequenzen mit den pulsierenden Handballen aufzurufen.

»Sir, dürfen wir den großen Monitor benutzen?«, fragte ich.

»Aber selbstverständlich, Herr Professor!« 

Tanya koppelte den Rechner mit dem Bildschirm und schon bald konnten alle die pulsierenden Handballen sehen.

»Über die Hände, soso«, stellte der Admiral fest.

Ich meinte: »Ja, es wird aber noch besser!« 

Tanya rief Pepes Lageplan auf und ich zeigte anhand der blau-orangenen Flüsse, wie sie kommunizieren und wo sich der Sender befand, mit dem sie offenbar Nachrichten vom Stützpunkt aus an die gegnerische Flotte versandt hatten.

Zum Schluss erläuterte ich, dass wir gerade dabei waren, aus der Position des Senders auf dem Wasserplaneten das Zeitfenster zum Senden und das Ziel der Nachricht – und damit unter Umständen auch die Position der gegnerischen Flotte – zu finden.

Der Generalstab hörte sich meinen Bericht aufmerksam bis zum Schluss ohne Unterbrechung an.

»Mein lieber Herr Professor«, sagte der Admiral dann. »Ich konnte mich bisher immer hundertprozentig auf sie verlassen – und so glaube ich auch jetzt alles, was Sie mir hier so erzählen.« 

»Das hoffe ich doch, Sir!« 

Der Generalstab war nach kurzer Diskussion der einstimmigen Meinung, mit der Identifizierung über die Handballen endlich eine Möglichkeit gefunden zu haben, Klone eindeutig zu identifizieren und damit auch auszuschalten.

Der Admiral stand auf.

Leise sagte er zu mir »Das ist jetzt nicht gegen Sie, Herr Professor.« und erheblich lauter »Ordonnanz!« 

»Sir?« 

»Den Leiter der Klonpolizei und den Wachleiter sofort zu mir!« 

»Aye, Sir!« 

Der Ordonnanzsoldat eilte aus dem Raum und wir hatten eine kleine Pause, bis die beiden Leiter eintrafen.

»Siehst du«, sagte ich zu Tanya, »die hohen Tiere sind gar nicht so schlimm.« 

Sie entgegnete: »Ja, wenn man van Eych heißt!« 

Ich versicherte ihr, dass auch sie ihre Chance bekommen würde, beim Generalstab bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

Als der Klonpolizeileiter und der Wachleiter eingetroffen waren, ging die Sitzung weiter und beide wurden vom Admiral mit der Klonidentifizierung konfrontiert.

»Wieso haben Sie das nicht erkannt, sondern es musste erst mein Professor hier zufällig herausfinden?« 

Mit mein Professor wurde mir die ganze Sache jetzt wirklich unangenehm und ich beobachtete aus dem Augenwinkel, wie Tanya mich schräg ansah.

Die beiden Offiziere stammelten irgendwelche Entschuldigungen, die der Admiral aber mit »darum kümmern wir uns später« abbrach.

Schnell einigte sich der Generalstab darauf, das Einnehmen des Senders und das Ausschalten der Klone in zwei Phasen durchzuführen. In der ersten »Phase Baustelle« wollten sie Spezialeinheiten lossenden, um den Sender unzerstört einzunehmen. In der zweiten »Phase Antreten« sollte dann ein allgemeiner Alarm gegeben werden, das heißt sie wollten alle antreten lassen und dann die Klone identifizieren und tasern.

Sehr erfreut verabschiedete sich der Admiral von uns und wir gingen mit unserem Geleitschutz wieder zum Konferenzraum zurück.

Im Konferenzraum angekommen, konnten wir uns endlich den Nachrichten zuwenden. Da wir bis zu sicheren Einnahme des Senders und zur Auslösung des Alarms sowieso hier drin bleiben mussten, konnten wir so die Zeit sinnvoll nutzen.

Dmitri und Pepe hatten recht schnell die Verschlüsselung geknackt und boten ihr ganzes Können auf, aber es wollte uns nicht wirklich gelingen, die Nachrichten in menschenlesbare Daten umzuwandeln. Lediglich Pepe erkannte in seiner unnachahmlichen Art einige Zeichenfolgen wieder, die so etwas wie »defekt« oder »von uns eingenommen« bedeuteten. Somit war jetzt zumindest eines ziemlich sicher, nämlich dass es sich bei beiden Nachrichten um einen Statusbericht handeln musste.

»Statusbericht könnte passen«, meinte Tanya, »sie müssen ihrer Flotte ja mitteilen, in welchem Zustand sich Schiffe und Stützpunkt befinden.« 

Ich fuhr fort: »Dann gibt es wie üblich eine schlechte und eine gute Nachricht.« 

»Und die sind?« 

»Die schlechte ist, dass sie wohl viele Informationen zusammentragen und auch senden konnten. Die gute ist dann, dass die für die taktischen Analysen wohl einige Zeit brauchen werden, was uns etwas Luft verschaffen könnte.« 

»Einige Zeit brauchen wir aber auch noch«, gab Eric zu bedenken.

Ich beschloss, erst einmal eine Nacht darüber zu schlafen, so ließen wir die Klonnachricht erst einmal liegen und halfen wir dem Taktik-Team, die aus den Flugschreibern gewonnenen Daten weiter zu verarbeiten. Immerhin war hier ein erstes Erfolgserlebnis zu verzeichnen. Je mehr Daten uns nämlich zur Verfügung standen, desto klarer sah man die Manöver der gegnerischen Verbände, und bald fanden die ersten dreidimensionalen Schlachten im Luftraum über dem Tisch statt.

Uhrzeit: 2110 WPCT

Mittlerweile war die Sonne wieder untergegangen und langsam wurde es dunkel. Dann bekam ich die Nachricht vom Generalstab.

»Es geht los!«, verkündete ich.

Über die Überwachungskamera sahen wir, wie eine Spezialeinheit das Baustellengelände einnahm. Sie waren wirklich schnell und kamen aus dem Nichts. Kurz blitzte Mündungsfeuer auf und das Gefecht war so schnell beendet, wie es begonnen hatte. Die Bestätigung des Stabs folgte umgehend.

»Sender ist eingenommen und unzerstört!«, rief Paula, den Lagebericht zitierend.

Wenig später heulte die Alarmsirene auf und erneut fuhren die Betonschürzen herab. Die Wachsoldaten verschanzten sich im Korridor, unterstützt von Liz. Paula hatte wieder die aktuelle Lage auf einen Wandmonitor gelegt. Jetzt kam es darauf an, ob es neben der Baustelle noch weitere Bereiche gab, die von den Klonen eingenommen worden waren. Aus der Ferne hörten wir andauerndes Gewehrfeuer, einige Klone gaben sich wohl nicht kampflos geschlagen.

Uhrzeit: 2850 WPCT

Weiterhin lang blieb der Alarm aufrecht erhalten und somit konnten wir nicht in unsere Quartiere zurückkehren.

Ich hatte zwar mit dem Generalstab vereinbart, dass am nächsten Morgen bei Tageslicht Eric und Dmitri den Sender untersuchen sollten, aber in dieser Nacht war bis auf weiteres an Schlaf nicht zu denken. Nur Dmitri hatte sich auf einem Sessel eingerollt und schlief schon wieder tief und fest.

Die Nachrichten ließen mir aber keine Ruhe, ich konnte sowieso nicht schlafen und so begab ich mich wieder an den Tisch. Tanya setzte sich neben mich und hatte zwei große Becher Kaffee mitgebracht.

»Warum probierst du es nicht einmal dreidimensional?«, fragte sie.

»Wie, dreidimensional?« 

»Vielleicht ist der Begriff ›Lagebild‹ hier wörtlich zu nehmen.« 

»Das heißt, wenn ich bestimmte Teile des Datenstroms der Nachricht übereinander lege, dann ergibt sich ein dreidimensionales Bild?« 

»Ja, probier’ es ’mal aus.« 

Das war kein schlechter Vorschlag. Ich veränderte ein paar Parameter, schnitt die Nachricht in Teile auseinander und schließlich erhoben sich tatsächlich ein paar dreidimensionale Objekte auf dem Tisch. Diese erkannte ich sofort wieder. Auf dem Tisch zeigte sich jetzt ebenfalls einen Lageplan des Standorts. Langsam dämmerte es mir. Ich teilte einen Bereich des Tischs ab, lud die kürzere Nachricht und veränderte ebenfalls ein paar Werte. Es erschienen andere Objekte, die mit zunächst nichts sagten. Tanya hatte sie aber erkannt und zeigte auf zwei Stellen in der Nachricht.

»Das hier ist der Wasserplanet und die Position des Stützpunkts. Das hier sind die Schiffe im Orbit.« 

Jetzt konnte ich auch die bisher nicht zu identifizierenden Zeichenfolgen zuordnen.

Bei der Baustelle, die von den Klonen besetzt worden war, stand sinngemäß so etwas wie »defekt« und »von uns eingenommen« – sie konnten wohl nicht zwischen »defekt« und »in Bau« unterscheiden. Beim auf dem Flugfeld sich im Abwracken befindlichen japanischen Schiff Kyushu Maru stand »defekt« und bei der sich im Orbit im Abwracken befindlichen HMS Birmingham, Tanyas früherem Schiff, befand sich ebenfalls der Vermerk »defekt«. Die anderen Symbole, die auch Pepe noch nie gesehen hatte, mussten dann wohl Mannschaftsstärke, Bewaffnung oder Ähnliches sein.

Tanya schaute mich an.

»Max, sie wissen alles über uns! Alles!«, keuchte sie und hatte ihre Hautfarbe deutlich ins Hellere verändert.

Die Eiserne Baker zeigte also tatsächlich einmal so etwas wie Angst. Auch ich hätte nie erwartet, dass die Klone in der kurzen Zeit so einen detaillierten Bericht erstellen und auch noch einen Sender aufbauen und diesen Bericht senden konnten. Vielleicht waren sie aber auch schon länger auf dem Stützpunkt, was mich noch mehr beunruhigte.

Uhrzeit: 0220 WPCT

Erst weit nach Mitternacht wurde der Alarm aufgehoben und wie bekamen endlich unsere wohlverdiente Auszeit. Auf dem Weg ins Quartier sahen wir viele gelbe Uniformen und viele mit Klonen gefüllte Transportkäfige – die Aktion war wohl ein voller Erfolg gewesen. Ich konnte nur hoffen, dass auch wirklich alle Klone gefunden und unschädlich gemacht worden waren.

Auf dem Weg zum Quartier kam mir noch ein Gedanke: Wenn wir die Nachrichten jetzt komplett entschlüsseln konnten und sich der Sender in unser Gewalt befand, so war es doch auch sicher möglich, eine Nachricht zu verändern und an den Gegner zu senden. Wir konnten so einen Fortschritt bei der Infiltration durch die Klone vortäuschen, den es eigentlich gar nicht gab… 

Nein, diese Idee war zu exotisch, selbst für van-Eych-Verhältnisse. Ich wollte meine Gedanken aber trotzdem einmal mit Dmitri besprechen und die Möglichkeiten ausloten, dieses Vorhaben doch in irgendeiner Form umsetzen zu können.

Bei unserem üblichen Zusammensitzen vor dem Schlafengehen sprach ich Tanya darauf an.

Ich begann mit: »Das braucht jetzt unbedingt mehr Newton!« 

»Mehr – Newton?«, fragte Tanya irritiert.

»Ja, Sir Isaac Newton: Aktion erzeugt Reaktion.« 

»Du willst sie doch nicht etwa provozieren? So etwas bekommt nicht ’mal jemand wie du beim Generalstab durch.« 

»Na gut, nennen wir es: Ich will sie herausfordern, den ersten Schritt zu tun.« 

Tanya ließ nicht locker und fragte »Und dann?« 

»Dann kommt Weltraum-Aikido.« 

»Was ist das denn?« 

»Den versuchten Angriff ins Positive, also in einen eigenen Angriff umzuwandeln.« 

»Weltraum-Aikido. Der Begriff gefällt mir. Ich wäre aber niemals auf die Idee gekommen, Analogien bei japanischen Kampfsportarten zu suchen. Und wie willst du das machen?« 

Jetzt war es Zeit für eine Gegenfrage von mir: »Hast du als Kind nie mit anderen Kindern gespielt?« 

»Äh, ja, aber was hat das mit dem Krieg hier zu tun? Heute Abend sprichst du wirklich in Rätseln.« 

»Eine Erkenntnis aus meiner Kindheit war: Wenn die Gegenseite schummelt, sind die Regeln aufgehoben. Sonst verlierst du!« 

Sie schaute mich fragend an.

»Wenn der Gegner mit Klonen schummelt«, fuhr ich fort, »dann schummeln wie eben ein bisschen bei der Kommunikation.« 

Sie beugte sich zu mir, gab mir einen Kuss und fragte dann: »Herr Professor, du hast nicht nur ’was gut beim Admiral, sprichst teilweise in Rätseln, aber du denkst auch wie ein Taktikoffizier. Bist du sicher, dass du in einem früheren Leben wirklich keiner gewesen bist?« 

Ich lachte. So gefiel sie mir schon wieder viel besser.

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