Tag 3
Die ’Eiserne Baker’

Nach dieser recht kurzen Nacht gab es leider keinen erneuten starken Aufwachschub durch Tanya, weil sie nach dem Duschen ihre Unterwäsche unter einem üblichen Raumflottenoverall versteckt hatte.

Ich schaute kurz in meine E-Mails und fand als neueste Nachricht, dass das Offizierskasino geöffnet hatte.

Uhrzeit: 0700 WPCT

»Tanya, endlich ist die Küche in Betrieb und ab jetzt können wir ins Offizierskasino gehen!« 

»Ja, die Nachricht habe ich auch bekommen.« 

Das war vielleicht die Chance, nicht immer direkt neben ihr sitzen zu müssen.

Da ich es natürlich nicht in aller Öffentlichkeit mit ihr besprechen wollte, fragte ich Tanya, ob unser Deal immer noch bestehen bleiben konnte. Wieder schaute sie mich mit großen braunen Augen an und streckte mir ihre rechte Hand entgegen.

»Natürlich, lieber Professor Max, wir arbeiten ja jetzt direkt zusammen«, säuselte sie. »Der Deal bleibt auf jeden Fall bestehen!«

Ich drückte ihre Hand. Lieber Professor. Sie hatte schnell gelernt, wie sie mich um den Finger wickeln konnte. Somit hatte ich die meiner Meinung nach schönste Frau der Galaxie jetzt den ganzen Tag in unmittelbarer Nähe, was mich von meiner Arbeit hoffentlich nicht allzu stark ablenkte.

»Deal bleibt bestehen«, bestätigte ich.

Wieder verließen wir in einem gewissen Zeitabstand das Quartier, obwohl ich es mittlerweile als vollkommen überflüssig ansah. Wahrscheinlich machten auch sowieso schon entsprechende Gerüchte die Runde, was Tanya und mich betraf. Die anderen aus dem Team waren zum Glück in anderen Trakten untergebracht und konnten uns so, auch zufällig, nicht über den Weg laufen. Es war aber nur eine Frage der Zeit, bis uns jemand entdeckte. So ein Stützpunkt war zwar deutlich größer als auch das größte Raumschiff, aber eben ein sehr übersichtliches Gebilde, wo man sich fast ständig über den Weg lief. Aber warum sollte es überhaupt irgendeinen Ärger geben, wir waren ja schließlich keine Kinder mehr und der Generalstab war auf Tanya und mich angewiesen.

An einer Wand war ein großes Büffet aufgebaut, vor dem sich ein paar kleinere Schlangen gebildet hatten. Schon auf den ersten Blick waren viele leckere Sachen zu erkennen. Alles stand im krassen Gegensatz zum Essen auf den Raumschiffen, das zum Schluss auch für Offiziere – und uns – lediglich aus in Plastik eingeschweißten Kampfrationen bestand, die sich in Aussehen, Geschmack und Konsistenz nur leicht unterschieden, je nachdem, aus welchem Land diese stammten.

Wie immer hatten wir als direkt dem Generalstab unterstellte Sondereinheit das Privileg, im Offizierskasino essen zu dürfen. Das Kasino dieses Stützpunkts platzte aus allen Nähten, weil auch viele Offiziere der nicht mehr flugfähigen Schiffe sich dort eingefunden hatten. Dennoch – und das rechnete ich demjenigen, wer immer auch dafür verantwortlich war, hoch an – waren zwei Tische für unsere Teams reserviert, wobei Tanyas Team noch nicht einmal vollständig war. Ich zählte mindestens zehn verschiedene Länderflaggen auf den Uniformen, soweit ich das Kasino überblicken konnte.

Nach und nach trafen alle Teammitglieder ein.

»Guten Morgen Max«, wurde ich von Eric begrüßt. »Ist das hier ein neutraler Ort im Sinne des ›Dienstlich!‹-Regelwerks?« 

Ich antwortete: »Aber natürlich, Offizierskasinos waren das doch schon immer.« 

Tanya schaute mich fragend an und ich meinte, dass ich ihr es später erklären würde.

Die Küche hatte ja den Befehl bekommen, die Moral durch gutes Essen etwas zu heben, und so saß ich bald vor einem großen englischem Frühstück und genoss es. Tanya beließ es trotz des üppigen Büffets bei ihrem üblichen »Kein-Frühstückstyp-Frühstück«, nämlich einem Joghurt und einem Becher Kaffee. Von den knallroten und sehr aromatisch schmeckenden Tomaten, von denen ich glaubte, dass diese nicht künstlich hergestellt worden waren, sondern wirklich aus den Gewächshäusern in der Nähe des Kraftwerks stammten, musste ich mir dagegen mehrere Portionen holen. Dasselbe galt für richtig getoastetes Toastbrot, denn Bohnen in Tomatensauce auf Toast gehörte nun einmal zu einem ordentlichen englischen Frühstück. Auch Dmitri machte sich mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck über seine zweite Portion Rührei her. Nur Tanya stocherte lustlos in ihrem Joghurt herum, trotz all’ der schönen Sachen auf dem Büffet.

Ich dagegen fühlte mich schon fast schon zu satt, als wir nach dem Essen zum Konferenzraum aufbrachen.

Uhrzeit: 0845 WPCT

Gleich nachdem wir den Konferenzraum betreten hatten, nahm Paula mich zur Seite und ich sollte mich neben sie an ihren Datenbeschaffungs-Arbeitsplatz setzen.

Sie begann: »Ich habe mich ein wenig über deine neue Kollegin erkundigt.« 

»›Unsere‹, nicht ›meine‹!«, musste ich klarstellen.

Ich kannte Paula gut genug, und so wusste ich genau, was mir jetzt bevorstand. Sie hatte nämlich einen Gesichtsausdruck aufgesetzt, den sie immer dann zeigte, wenn sie glaubte, mich vor »bösen Frauen« beschützen zu müssen. Ich konnte sie nicht davon abbringen, da sie meinte, in dieser Form etwas Gutes für mich zu tun. Es war nicht meine Idee gewesen, mir Major Bakersfield zur Seite zu stellen. Sie und ich arbeiteten nun einmal eng zusammen und dabei saßen wir auch manchmal direkt nebeneinander, wobei zu allem Überfluss Tanya es sich allerdings nicht nehmen ließ, ab und zu eine Hand auf meinen Arm oder meine Schulter zu legen. Von Anfang an, seit wir mit ihr zusammenarbeiteten, schaute Paula mich schräg an, wann immer ich, wenn auch nur leichten, Körperkontakt zu Tanya hatte.

Paula öffnete auf dem Pad-Rechner Tanyas elektronische Personalakte, wie immer sie auch Zugriff darauf erlangt hatte. Vom Bildschirm lächelte mich eine etwas jüngere Tanya an. Ihre Augen und vor allem die Lachgrübchen hatten sich aber offensichtlich nicht verändert.

»Major Tanya Kimberley Bakersfield, hoch dekorierte Pilotenausbilderin und Taktikoffizierin. Unter ihr gab es die höchsten Bewertungen einer Abschlussklasse der Flottenakademie, blablabla, undsoweiter. Ledig, keine Kinder.« 

Bei »ledig« hatte Paula einen merkwürdigen Unterton in der Stimme, den ich aber aktiv ignorierte, zumal es auch gleich weiterging. Sie öffnete eine Personalakte einer weiteren dunkelhäutigen Frau.

»Keine lebenden Verwandten, bis auf ihre kleine Schwester, Lieutenant Shanee Bakersfield vom Nachschub, zuständig für Uniformen undsoweiter. Oh, ihre Schwester ist übrigens auf einem Versorgungsschiff hier im Orbit stationiert.« 

Tanya Bakersfield sah Shanee Bakersfield vom Gesicht her nicht wirklich ähnlich, auch hatte ihre Schwester eine deutlich hellere Hautfarbe. Nur die Lachgrübchen waren dieselben.

Paula war nun in ihrem Element.

»Kommen wir nun zu den inoffiziellen Informationen«, dozierte sie und öffnete ein Klatsch-und-Tratsch-Forum der Raumflotte.

Sie gab als Suchbegriffe Bakersfield Tanya Shanee ein und es fanden sich tatsächlich einige Suchergebnisse.

»Genannt wird sie auch die ›Eiserne Baker‹, wegen ihres harten Führungsstils«, zitierte Paula.

Von einer Eisernen Tanya hatte ich bis jetzt aber noch nichts mitbekommen, vielleicht war sie privat tatsächlich ganz anders. Offenbar war es das, was nach ihr benannt worden war und von dem Tanya mir gestern nichts erzählen wollte.

Paula gluckste vergnügt, als sie das nächsten Suchergebnis sah.

Tanya hatte offenbar nun schon mehrere Jahre auf der STROA-Liste unangefochten den Platz eins in der Kategorie »weiblich« gepachtet.

Mir blieb auch nichts erspart, war Paula einmal in Fahrt geraten.

Die Abkürzung STROA bedeutete außerdem zu allem Überfluss Sexiest Top-Ranking Officer Alive. Das war etwas, wodurch ich wieder einmal warme, wenn nicht gar heiße Ohren bekam. In meinem Quartier wohnte jetzt also der Platz eins, was ich durchaus nachvollziehen konnte. Meine kleine Datenbeschafferin lieferte dann noch völlig überflüssige Informationen nach, zum Beispiel, dass nach irgendeiner Umfrage fünfundneunzig Prozent der männlichen Mitglieder der Tratschseite mit ihr ins Bett gehen würden – sowie auch fünfundvierzig Prozent der weiblichen.

Die nächsten Einträge in der Suchergebnisliste lenkten dann zu meiner großen Erleichterung von Tanya ab und betrafen Shanee Bakersfield, die einen erfolgreichen Zivilkleidungsversand innerhalb der Raumflotte aufgebaut hatte und so nicht mehr im Schatten der hoch dekorierten großen Schwester stand.

»Ich brauche dringend einmal etwas Neues zum Anziehen!«, meinte Paula, als sie sah, dass man sofort online bei Shanee Bakersfield Kleidung bestellen konnte.

Ich gönnte Paula ihren Spaß und ließ sie gewähren.

Im Nachbarraum rumorte es und nach kurzer Zeit streckte Tanya ihren Kopf durch die geöffneten Segmente der Trennwand.

»Bitte kommt alle ’rüber in meinen Raum, ich möchte euch die neuen Teammitglieder des Taktik-Teams vorstellen!«, rief sie.

Diese für mich sehr willkommene Ablenkung nutzte ich sofort aus und bewegte mich nach nebenan.

Tanya wandte sich zu mir und meinte: »Endlich sind wir vollständig.« 

»Vollständig?«, fragte ich, »Waren nicht drei Soldaten geplant?« 

Der zweite avisierte Kampfpilot hatte sich am Vortag leider als Klon herausgestellt und stand mittlerweile unter Arrest der Klonpolizei. Fast hatten sie es geschafft, wir konnten nicht vorsichtig genug sein. Weitere Kandidaten hatte sich Tanya aber nicht mehr angeschaut, da die Zeit drängte.

Nun kamen auch endlich meine Teammitglieder in den Nachbarraum. Paula und Eric stellen sich links von mir auf, Pepe und Dmitri rechts.

Ein glatzköpfiger recht durchtrainiert aussehender Mann mit einem rötlichen Vollbart und schottischen Flaggen am Uniformärmel stellte sich als Sean vor. Er hatte den Rang eines Captain und war ebenfalls ein Taktikoffizier. Tanya hatte ihn einmal auf einen Außenposten getroffen, kurze Zeit mit ihm zusammengearbeitet und ihn daher für das Taktik-Team ausgewählt.

Sean schüttelte uns nacheinander die Hände. Bei mir kam wieder die Bemerkung »oh, der Professor!«, da ich wohl bei allen Taktikoffizieren bekannt war.

Neben Sean stand eine sehr große, sehr schlanke und vor allem sehr blonde Frau, die Kampfpilotin Elizabeth, die aber nur Liz genannt werden wollte.

»Endlich ’mal ’was optisch Ansprechendes«, flüsterte Eric und bekam dafür von Paula ihren Ellenbogen in seine Seite.

Tanya war für ihn also offenbar nicht »optisch ansprechend«, das musste ich mir merken.

Liz war First Lieutenant und von Tanya ausgebildet worden. Nach bestandener Ausbildung war sie für eine Zeit lang Tanyas Ausbildungsassistentin, bis der Mangel an einsatzfähigen Kampfpiloten Liz wieder in eine operative Einheit versetzen ließ.

Dann war ich an der Reihe und stellte mein Team vor.

Die Begeisterung über den »berühmten Professor« hatte sich zum Glück schnell wieder gelegt, und so konnten wir gleich zur Arbeit übergehen.

Tanya erläuterte noch einmal den Befehl des Generalstabs: »Wir müssen eine – möglichst umfangreiche – Datensammlung aufbauen, um die Bewegungen des Gegners analysieren und dann auch vorhersagen zu können. Aufgabe Max’ Teams ist, die Daten in ein einheitliches Format zu bringen und auf die Tische zu übertragen. Auswertung und Interpretation ist dann Sache meines Teams. Verstanden?« 

Von Sean und Liz kam ein fast gleichzeitiges »Ja, Major!«.

Bevor es an die Einweisung an unserem Taktiktisch ging, fragten wir die neuen Teammitglieder, ob es noch weitere Datenquellen gab, die es sich anzuzapfen lohnte, falls sie hier auf dem Stützpunkt oder auf den sich im Orbit befindlichen Schiffen überhaupt verfügbar waren.

Liz’ Vorschlag, aus Daten von Flugschreibern von großen wie auch kleinen Schiffen ein detailliertes Bewegungsprofil der eigenen Jägerverbände zu erstellen und daraus dann die Bewegungen der feindlichen Jäger abzuleiten, fand die sofortige Zustimmung aller. Ich nahm das EP mit der Liste der möglichen Datenquellen und einen elektronischen Stift in die Hand und fügte Flugschreiber hinzu.

Eric gab zu bedenken, dass wir dann mehrere Flugschreiber-Lesegeräte bräuchten, da es mehrere Flugschreiberarten gäbe, nämlich das amerikanische, das europäische und das russisch-asiatische Modell.

Er ergänzte: »Und dann müssen wir dem Nachschub und der Instandsetzung Bescheid geben, dass die Dinger erst zu uns kommen, bevor sie gelöscht und aufbereitet werden.« 

»Du kommst doch jetzt gut mit dem Nachschub klar. Kümmer’ dich bitte gleich darum«, bat ich ihn.

Er nickte und ging in den Nachbarraum.

Dmitri zeigte Sean und Liz die Bedienung des Tisches des Taktikteams und bald flogen die ersten Jägereinheiten in dreidimensionaler Projektion über den Tisch. Da beide mit den Grundzügen der Bedienung eines Taktiktisches vertraut waren, konnte Dmitri sich darauf konzentrieren, ihnen die Besonderheiten unserer Tische zu erläutern. Tanya spielte am Tisch ein wenig mit den Softwareeinstellungen herum und war immer begeisterter von der Art und Weise, wie mein Team an das Thema »Taktiktisch« herangegangen war. Auch Sean und Liz waren begeistert. Endlich hatten sie einen Tisch fast vollkommen für sich alleine und mussten nicht mehr um Benutzungszeiten betteln, dann aber keine bekommen und somit doch taktische Analysen langwierig und umständlich per Hand durchführen.

Uhrzeit: 1450 WPCT

So waren alle mit Arbeit versorgt und ich selbst konnte mich ein wenig mit diesem Planeten beschäftigen, auf welchem wir nun gestrandet waren. Es war der fünfte von zwölf Planeten in einem Sonnensystem mit einer Sonne, die etwa um ein Drittel größer war als die Sonne, um die die Erde kreiste. Die drei Monde riefen nicht nur heftige Gezeiten hervor, sondern sorgten für etwas recht Außergewöhnliches, nämlich eine Art »variable Gravitation«. Besonders wenn die Monde direkt hintereinander standen, addierten sich deren Anziehungskräfte, und Berichten dieses Stützpunktes nach zu urteilen, wurde man spürbar etwas leichter. Eine besonders seltene Stellung von den Monden mit der Sonne in einer Linie war sogar dafür bekannt, neben einer starken Springtide auch leichte Erdbeben zu verursachen. Kein Wunder, dass hier primär nur Wasserwesen lebten, dämpfte das Wasser doch diese Kräfte. Die variable Gravitation war sicherlich für einen Planeten recht ungewöhnlich, aber auch nicht anders als die Schubwechsel auf einem Raumschiff. Das nächste derartige Ereignis fand aber erst in einem halben Jahr statt – bis dahin wollte ich auf jeden Fall hier schon wieder weg sein. Die Hauptsache war aber, nach den langen Monaten auf Raumschiffen endlich wieder eine konstante Gravitation zu erleben. Irgendwie war es aber merkwürdig, dass auch einem Planeten mit so viel Wasser und so einer starken Sonneneinstrahlung nicht mehr Wasser zu Wolken verdunstete. Wahrscheinlich konnte man fremde Planeten wettermäßig auch gar nicht so ohne Weiteres mit der Erde vergleichen.

Eigentlich wollte ich einen Spaziergang machen, um mir den Stützpunkt genauer anzusehen, aber die Wachsoldaten erinnerten mich daran, dass wir uns noch immer im Krieg befanden und der Gegner jederzeit angreifen konnte. So kümmerte ich mich weiterhin um meine jetzt zwei Teams. Sean und Liz waren voll des Lobes über ihren eigenen Taktiktisch, und so waren sie zuversichtlich, ihre »Hausaufgaben« zügig erledigen zu können. Auch Tanya wanderte zwischen den Tischen herum und nahm zusammen mit Dmitri weitere Feineinstellungen an der Software der Tische vor.

»Weißt du, Max«, meinte Dmitri, »endlich haben wir ’mal richtige Praktiker direkt bei uns und nicht nur arrogante Offiziere, das macht unsere Tische noch besser.« 

Ab und zu warf Tanya mir einen Blick zu, der nicht nur von Paula jeweils aufmerksam registriert wurde, sondern auch in mir ein ganz komisches Gefühl im Magen hinterließ. Diese Frau konnte entweder viel Spaß oder auch genauso viel Ärger bedeuten – hier musste ich auf der Hut sein.

Nun waren wir im Prinzip einsatzbereit, würden uns nicht außer Tanyas Daten – und was sonst noch so nach und nach eintrudelte – die Rohdaten der Flugschreiber zur Analyse des Gegners fehlen. Die Lieferung eines ersten Flugschreibers war immerhin jetzt für den Nachmittag avisiert worden. So stellte ich mich mit Tanya an ihren Tisch, um zumindest ihre gestern eingespielten Daten von der HMS Birmingham weiterverarbeiten zu können. Zum Glück ließen sich immer noch keine höheren Dienstgrade im Konferenzraum blicken, und so konnte mein Team die Einarbeitung von Tanya, Sean und Liz zunächst einmal störungsfrei abschließen.

Uhrzeit: 1515 WPCT

Dann bekamen wir auch schon die Nachricht der Generalstabsordonnanz, dass das Mittagessen bereit stand. Das Mittagessen setzte fort, was das Frühstück begonnen hatte, auch Tanya langte dieses Mal zu.

Eric schaute von seinem recht überladen aussehenden Teller auf und meinte: »Bei dem guten Essen können wir hier eigentlich bleiben.« 

»Pass’ auf, nicht dass du dann nachher etwa noch zwei Sitzplätze auf dem Schiff brauchst«, stellte Dmitri fest und allgemeines Gelächter machte die Runde.

Diese gelöste Stimmung war gut für den Teamzusammenhalt, trotz der angespannten Lage, war der Stützpunkt seit unserer Ankunft doch unter andauerndem leichten Bereitschaftsalarm und überall standen Wachsoldaten oder Soldaten der Klonpolizei.

Als ich mit Tanya zur einer erneuten Runde zum Büffet aufbrach, lief ich dann auch prompt einem mir bekannten hochrangigen Mitglied des Generalstabs über den Weg – was sich hier im Offizierskasino natürlich nicht wirklich vermeiden ließ. Auch Tanya schien den Offizier zu kennen.

Sie stieß ein leises »oh, nein« aus und blieb stehen.

Sanft schubste ich sie zur Seite und flüsterte »ich übernehme das«. Sie schaute mich kurz an und meinte leise, dass ich, wenn sie hier ungeschoren wieder herauskam, etwas gut bei ihr hätte – was auch immer das bedeuten mochte.

»Herr Professor!«, rief der Offizier. »Gut, dass auch Sie hier heil angekommen sind.« 

»Ja, es war knapp, aber wir sind unversehrt gelandet, Sir.« 

»Wir? Ist Ihr Team auch wieder dabei?« 

Ich nickte.

»Herr Professor, werden Sie uns auch wieder bei taktischen Analysen behilflich sein?« 

»Selbstverständlich, Sir. Unsere Technik dafür ist auch schon aufgebaut und einsatzbereit.« 

Auch wenn sie wahrscheinlich anschließend über mich recht verärgert sein sollte, beschloss ich trotzdem, Tanya aktiv einzubinden.

»Und ich habe auch noch Hilfe in Form einer erfahrenen Taktikoffizierin bekommen, Sir.« 

»Major Bakersfield, schön, auch Sie hier zu sehen.« 

»Danke, Sir«, sagte Tanya.

»Sie und der Professor zusammen, da kommt bestimmt etwas Tolles dabei heraus!« 

»Aber sicher, Sir!« 

Tanya und ich zusammen… Er hatte es wahrscheinlich ganz anders gemeint, aber mir schien, als ob ich wieder spontan warme Ohren bekam.

Vom Offizier erfuhr ich dann, dass der Admiral, ranghöchster Offizier der Flotte und mein Förderer und Fürsprecher, überlebt hatte. Er befand sich aber noch auf einem Schiff im Orbit und sollte am nächsten Tag hier auf den Stützpunkt eintreffen. Das war selbstverständlich eine gute Nachricht, denn mit ihm war die Arbeit meines Teams weniger bürokratischen Hürden ausgesetzt.

Als der Offizier weitergegangen war, seufzte Tanya erleichtert auf.

»Ehrlich, die hohen Tiere sind doch gar nicht so schlimm«, meinte ich.

Tanya entgegnete: »Das ist ja auch einer von der harmloseren Sorte.« 

»Warum dann das ›oh, nein‹ vorhin?« 

»Ich bin ’mal mit ihm aneinander geraten.« 

Mit einem Generalstabsoffizier aneinander geraten – diese Eiserne Baker hätte ich gerne einmal in voller Aktion erlebt.

»Aber jetzt war er doch ganz freundlich«, stellt ich fest.

»Ja, weil der ›berühmte Professor‹ dabei war.« 

»Das kriegen wir schon hin, versprochen!« 

Wir deckten uns am Büffet ein und gingen dann zu unseren Tischen. Mit den neuen Mitgliedern für Tanyas Team waren jetzt beide Tische belegt.

Da wir ohne weitere Flugschreiber und andere uns noch zu liefernde Daten nicht wirklich weiterarbeiten konnten, ließen wir uns beim Essen Zeit. Unter Paulas aufmerksamen Augen – Tanya hatte sich natürlich direkt neben mich setzen müssen – schaltete ich in eine Art »Smalltalk-Modus«, immer auf der Hut, ja nichts Dienstliches zu sagen. Unsere alte Regelung galt ja auch hier, nur hatte ich gerade keine Kraft mehr, unseren neuen Teammitgliedern endlich die Regeln zu erklären.

Uhrzeit: 1640 WPCT

Kurz bevor wir das Offiziersgebäude verlassen wollten, brach Hektik aus und schlagartig erhöhte sich auch die Dichte der gelben Uniformen. Es schien sich also um einen Klon-Vorfall zu handeln, so nah am Generalstab. Klone mussten sich also schon länger auf dem Stützpunkt befinden, also waren sie wahrscheinlich nicht erst mit dem Flottenrückzug hergekommen, was ich recht beunruhigend fand. Mit Eric und Paula hatte ich mich in eine Türnische zurückgezogen, um aus der Schusslinie zu sein. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Tanya eine kleine Handfeuerwaffe aus einer Uniformtasche holte. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie überhaupt eine Waffe trug.

Eric meinte: »Wir müssen irgendeine Möglichkeit finden, Klone eindeutig zu identifizieren – so kann das hier nicht weitergehen!« 

»Aber wie soll das gehen?«, fragte Paula. »Die sind viel zu gut nachgemacht.« 

Ein Wachsoldat lief an uns mit gezücktem Taser vorbei, gefolgt von weiteren Wachsoldaten und der Klonpolizei. Schon hörten wir das Heulen, als der Klon angeschossen wurde. Sie hatten ihn also offensichtlich erwischt.

»Klonidentifizierungen sind jetzt unser sekundäres Problem, falls das überhaupt unsere Aufgabe sein sollte«, legte ich fest. »Zunächst müssen wir die gegnerischen Flugmanöver analysieren können.« 

»Aber…«, begann Eric.

Ich unterbrach ihn und sagte: »Kein ›aber‹! Wir haben einen eindeutigen Befehl vom Generalstab. Um Klonidentifizierungen kümmert sich bestimmt auch die Klonpolizei. Einen Klon eindeutig zu identifizieren würde uns tatsächlich einen gewaltigen Vorteil gegenüber dem Gegner bringen, da hast du Recht.« 

»Mal sehen, wer dann gewinnt«, meinte er, »wir mit unseren taktischen Analysen oder die Gelben.« 

»Genau, betrachte es als Wettbewerb.« 

Nun haben Wettbewerbe so an sich, dass man auch einmal gewinnt. In Folge könnte das wieder einmal Rampenlicht für mich bedeuten. Rampenlicht war etwas, was ich gar nicht gut verkraftete – ich hätte mir ja aber auch einen anderen Job aussuchen können. Ich hatte eine vage Idee, wie man Klone vielleicht erkennen konnte, aber diese war wirklich nur vage und noch nicht wirklich greifbar, von einer möglichen Praxistauglichkeit ganz zu schweigen.

Auch wie wir mit der Erkennung von Klonen alleine dann den Gegner besiegen konnten, war noch vollkommen offen. Klone hier zwar auf dem Stützpunkt zu erkennen half uns auf keinen Fall weiter, wenn sich die Truppen des Gegners ein paar Planeten weiter versteckt hielten.

Dann ließ die Hektik spürbar nach, ein Wachsoldat gab Entwarnung und wir konnten endlich wieder in den Konferenzraum gehen.

Dort angekommen, nutzten wir die Zeit, Tanya, Sean und Liz noch mehr Sicherheit bei der Bedienung der Tische zu geben. Wieder einmal wollte Tanya unbedingt direkt von mir persönlich unterrichtet werden, schräge Blicke von Paula eingeschlossen.

Uhrzeit: 1810 WPCT

Wir wurden unterbrochen, als Eric freudestrahlend an den Tisch des Taktik-Teams kam, denn endlich hatte uns jemand einen Flugschreiber nebst passendem Lesegerät gebracht. Nun konnten wir mit dem Auslesen der Daten, dem Überführen der Daten in ein für die Tische und unsere Auswerteprogramme passendes Format und darauf folgend mit dem Laden dieser Daten in die Serverdatenbank und dann auf einen Tisch beginnen. Das Ganze beschränkte sich zwar nur auf einen Flugschreiber, aber zum Üben reichte es aus. Tanya war beeindruckt, wie problemlos das Ganze über die Bühne ging. Hier machte sich unsere mittlerweile erworbene Routine positiv bemerkbar.

»Die Daten haben ja auch ein ›irdisches‹ und kein außerirdisches Format«, ergänzte ich, »insofern ist das jetzt nichts Exotisches.« 

Bei »irdisches« zeigte Tanya wieder ihre Lachgrübchen. Da ich von diesen sehr angetan war, wusste ich jetzt, dass kleine Witzchen diese sofort sichtbar machten – für die Zukunft war das gut zu wissen.

Da wir noch weitere Lesegeräte erwarteten, räumte Eric die kleinen Tische, auf denen bisher nur die Servereinheiten nebst Bedienrechnern standen, noch etwas um, wobei wir kurzfristig beide Taktiktische abschalten mussten. Die daran nicht beteiligten Teammitglieder machten sich derweil über den Kühlschrank her.

Uhrzeit: 2420 WPCT

Gerade, als wir alles wieder hochgefahren und in Betrieb genommen hatten, wurde der zweite Flugschreiber angeliefert.

»Ich hatte das jetzt nicht irgendwie nach und nach in Einzelportionen erwartet«, maulte Eric.

Ich entgegnete: »Die Dinger müssen ja auch erst ausgebaut werden.« 

»So hatte ich den Nachschub aber nicht verstanden.« 

Ich wollte noch etwas sagen, da gab es Alarm. Nach einer Durchsage zu urteilen, handelte es sich um einen richtigen Alarm und nicht um einen erneut aufgegriffenen Klon. Schwere Betonschürzen fuhren daraufhin vor den Fenstern des Konferenzraums herab.

»Das ist ja hier doch eine Art Bunker«, stellte Dmitri fest.

Ich dachte an diejenigen, die sich in den Zelten auf dem Flugfeld befanden und sagte: »Die bevorzugte Behandlung durch den Generalstab hat wohl auch noch mehr Vorteile.« 

Tanya kam zu mir.

»So schnell greift der Gegner an und es gibt Alarm?«, fragte ich sie. »Ich glaube nicht, dass er sich schon so schnell erholt hat.« 

Sie stimmte mir zu: »Ausgehend davon, dass er wohl die gleichen Verluste, Schäden undsoweiter wie wir erlitten hat, glaube ich das auch nicht.« 

»Überraschender Verzweiflungsangriff?« 

»Vielleicht, aber die Weitstreckenradare hatten bisher keinerlei Bewegung erfasst.« 

Ich hatte schon eine gewisse Ahnung, dass sie sich schon in die einschlägigen Systeme hinein gehackt hatte und fragte daher: »Paula, Lagebericht des Generalstabs?« 

Tanya schaute mich mit einem ungläubigen Blick an.

»Des Generalstabs?«, hakte sie nach.

»Ja«, meinte Paula. »Die sollten ’mal ihre Datenverschüsselung aktualisieren.« 

»Ihr kommt hier einfach so an Informationen, für die ich früher immer ein riesengroßes Bohei mit fünf Formularen veranstalten musste?« 

»Es ist nicht ›einfach so‹, sondern mehr eine Grauzone, aber wir sind ja schließlich auch für Datenbeschaffungen zuständig.« 

»So war es aber wohl nicht wirklich gemeint«, sagte Tanya, »immerhin haben diese Informationen die allerhöchste Geheimhaltungsstufe.« 

Paula rief: »Zwei kleinere Schiffe, keine Transpondersignale, kein Funkkontakt!« 

»Datenverbindung zu den Radarsensoren hier auf dem Stützpunkt und zu einem Schiff im Orbit steht!«, bestätigte Eric.

Dmitri wirbelte mit seinen Händen auf zwei Pad-Rechnern gleichzeitig herum und meinte, dass gleich alles auf dem Tisch zu sehen sein sollte.

»Sichtkontakt«, meldete Paula. »Es sind zwei von unseren.« 

Liz fragte: »Klone am Steuer?« 

»Nein, das glaube ich nicht«, behauptete ich. »Wenn ich den Stützpunkt angreifen wollte, dann würde ich mich ganz normal verhalten mit Transponder und Funkkontakt und so. Und erst im letzten Moment dann: Bumm!« 

Tanya stimmte mir zu: »So würde ich es auch machen.« 

»Drei – zwei – eins — wir sind jetzt live!«, kündigte Dmitri an.

Wir konnten gemeinsam auf und über dem Tisch in Echtzeit verfolgen, wie die zwei Schiffe von fünf kleinen Jägern etwa dreihunderttausend Kilometer vor dem Wasserplaneten in Empfang genommen wurden. Ein Teil des Tisches war von der Anzeige her trennt worden und zeigte laufend die aktuelle Lageübersicht des Generalstabs.

Tanya musste anerkennen: »Ich hätte niemals geahnt, dass wir so schnell in den Echtbetrieb gehen können.« 

Kaum hatte sie den Satz fertig gesprochen, wurde der Alarm auch schon aufgehoben und die Betonschürzen hoben sich wieder.

»Und wenn ich hier drücke«, sagte Dmitri, »dann sind wir wieder im Auswertungs- und Simulationsmodus.« 

Sean, der bis jetzt recht still war, ging zu Dmitri und klopfte ihm mit einem »gut gemacht« auf die Schulter.

Die unbekannten Schiffe stellten sich bald darauf als Nachhut heraus, die sich lange vor dem Gegner verstecken musste und erst jetzt zum Stützpunkt vorrücken konnte.

»Ich hatte immer geglaubt, wir waren das letzte Schiff«, wunderte sich Tanya.

Da jetzt kein weiterer Alarm zu erwarten war, so konnten wir uns endlich um das Auslesen des Flugschreibers kümmern.

»Schön, kann ich das alles auch auf meinem Tisch haben?«, fragte Liz.

Eric antwortete: »Klar, man kann die Tische gleichartig konfigurieren, parallel oder separat schalten.« 

Bald schwenkte das Gespräch auch wieder auf den Alarm um.

»Die kamen viel zu weit!« 

»Aber die Entwicklung eines Frühwarnsystems stand nicht in unserem Befehl.« 

Mit zwei Flugschreibern hatten wir aber jetzt die Möglichkeit, das Kampfgeschehen beim Rückzug mit Tanyas und Liz’ Daten zusammen aus vier verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. So konnte sich jetzt langsam ein Bild davon entwickeln, wie der Gegner agierte und reagierte. Vielleicht ergab sich daraus ja eine Art Frühwarnsystem als Nebenprodukt.

Gegen Abend ließen wir uns noch etwas aus der Küche bringen, da ich wollte – und Tanya stimmte mir zu –, dass wir noch heute mit den Daten der Flugschreiber erste taktische Analysen durchführen.

Erst kurz nach Mitternacht waren wir erfolgreich und Tanya und ich konnten endlich den Feierabend befehlen.

Uhrzeit: 0020 WPCT

Wir verließen aber nicht nur getrennt unser Quartier, sondern Tanya und ich betraten es auch getrennt. Noch hatte so niemand einen tiefergehenden Verdacht geschöpft und auch Paula hielt dicht mit dem, was auch immer sie meinte entdeckt zu haben.

Keiner von uns machte Anstalten, unseren »Deal« aufzulösen, und so genoss ich es, noch ein paar Minuten vor dem Schlafengehen mit Tanya zusammenzusitzen und den Tag sachte ausklingen zu lassen.

Mit den Worten »du hast noch etwas gut bei mir«, zog sie mich vollkommen unerwartet zu sich und gab mir dann einen Gutenachtkuss auf die Wange, was mich noch lange wach bleiben ließ. Das Problem, mit dieser Frau direkt zusammenzuarbeiten und auch direkt in einem Quartier zusammen zu leben, hatte sich überraschend wieder verschärft.

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