Kapitel 7
Epilog

2 Unternehmen | 12 Aufträge | 1 Familie

Dreieinhalb Jahre später setzte mich ein Lufttaxi vor meinem Haus ab. Ich bezahlte das Taxi, indem ich meine Paycard gegen die markierte Stelle an der Trennscheibe zum Fahrersitz hielt. Der Taxifahrer lud mein Gepäck aus und stellte es vor die Stufen, die zum Hauseingang führten. Er bedankte sich, startete und flog dann in Richtung Süden davon.

Ich nahm mein Gepäck, stieg die Stufen zum Eingang herauf und verband das Elektronengehirn mit den Haussystemen.

Authentifizierung erfolgt

Sofort öffnete sich auch automatisch die Haustür. In Situationen wie dieser genoss ich es einfach, ein Hybrid zu sein. Ich stellte das Gepäck im Hausflur ab und ließ mir Marijkes Position geben.

Marijke befindet sich auf der seeseitigen Terrasse.

Seit etwa einem Jahr wohnten wir nun in diesem direkt an einem großen See gelegenen Haus. Eigentlich waren es zwei Doppelhaushälften, wobei die eine Hälfte der Privatbereich und die andere Hälfte Werkstatt und Büroräume waren. Wir waren nämlich jetzt wie geplant in den einige Jahre nach Kriegsende immer stärker auflebenden Freizeitmarkt eingestiegen und bauten oder restaurierten Schiffe. Diese waren natürlich keine Raumschiffe (wobei ich mir diese Option immer noch offen hielt), sondern Schiffe, die sich auf einem Gewässer bewegen konnten. Genauer gesagt, handelte es sich um Freizeitsegelboote und -schiffe. Wir waren der einhelligen Meinung, dass der jetzt schon spürbar anziehende Markt eines Retro-Schiffbaus noch weitere Steigungen erfahren würde, wenn die Bevölkerung nach der Erholung der Wirtschaft auch wieder zu Wohlstand gekommen war. Es war nämlich eine Tendenz zur Einfachheit zu erkennen, sozusagen ein Retro-Trend. Das hieß nichts anderes, als dass viele Leute in dieser übertechnisierten Gesellschaft wieder etwas zurückschalten und etwas nur mit ihrer eigenen Muskelkraft machen wollten. Klassischer Segelschiffbau mit leichten modernen Adaptionen passte nahezu perfekt in diesem Markt. Und was noch besser passte, war die Tatsache, dass mit Marijke eine ausgewiesene Expertin auf diesem Gebiet vorhanden war. Das Geschäft lief mittlerweile für unser neu gegründetes Unternehmen namens ReYacht, Inc. mehr als gut, so dass wir uns dieses große Haus leisten konnten. Die Firma hatte seit Kurzem auch zwei Niederlassungen auf anderen Planeten mit großen Wasseranteilen gründen können.

Von einem Besuch so einer Niederlassung war ich gerade zurückgekehrt und hatte immerhin zehn – hoffentlich ertragreiche – Aufträge mitgebracht. Ich war für ReYacht, Inc. als Berater und Verkäufer unterwegs, um diesen boomenden Markt bedienen zu können. Wenn man Gerüchten Glauben schenken konnte, war ich als knallharter, aber auch fairer Verhandlungspartner bekannt. Was ich natürlich zu meinem Vorteil – und zum Vorteil der Firma – nutzen konnte, waren meine besonderen Fähigkeiten als Hybrid. Somit konnte ich auch auf kleinste Veränderungen in Gestik, Mimik und Sprache meines Gegenübers sofort reagieren, sogar immer besser auch bei nicht-humanoiden Lebensformen. Die umfangreiche Datenbank meines Elektronengehirns und dessen Rechenkünste ließen mich auch immer direkt auf Änderungswünsche oder Ähnliches reagieren. Niemand konnte allerdings wissen, dass ich ein Hybrid war, da das Projekt immer noch strengstens geheim gehalten wurde. Nach meinem Ausscheiden bei der Raumflotte hatte ich somit ein neues und hochinteressantes Betätigungsfeld für mich finden können.

Die Leitung der Niederlassung auf dem Planeten I’avêr hatte ein alter Bekannter von mir übernehmen können, und zwar der I’avêrése, mit dem ich damals auf der Raumstation gegen den anderen Hybriden gekämpft hatte. Er war von der Reduzierung der Truppenstärke aufgrund der Abrüstungsabkommen betroffen, brauchte einen Job im zivilen Sektor und ReYacht, Inc. brauchte eine vertrauenswürdige Person vor Ort. Die Besetzung des Postens war also eine klassische Win-Win-Situation.

Ich überprüfte die neu eingegangenen Nachrichten. Ein Mann mit arabisch klingendem Namen hatte einen bestimmten historischen Schiffstyp, eine Dhau, bestellt. Die niederländische Lokalregierung hatte Marijke angefordert, um bei der Restaurierung eines »Skûtsje«, eines niederländisches Segelschiffes, zu helfen. Auch in meiner Abwesenheit waren also wieder zwei hübsche Aufträge für ReYacht, Inc. eingegangen, die den angenehmen Nebeneffekt hatten, unser Angebot an Schiffstypen um zwei weitere ergänzen zu können. Eine Stofflieferung für das immer noch existierende Modeunternehmen der Mädchen war fälschlicherweise an ReYacht, Inc. geliefert worden. Dieses Unternehmen war ebenfalls ein voller Erfolg und hatte sich mittlerweile zum Selbstläufer entwickelt.

Carmen kam aus der Küche und hatte zwei große Becher mit einer dunkelvioletten Flüssigkeit in der Hand.

»Hallo Carmen«, sagte ich zu ihr, nahm sie in den Arm und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

Aufgrund der warmen Temperaturen war sie wieder äußerst aufreizend gekleidet, wahrscheinlich auch, um ihrer Freundin zu gefallen. Zu einem aus nur wenig Stoff bestehenden bikiniartigem Oberteil trug sie sehr enge Hot Pants. Carmen war die erste meiner drei Damen, die sich vollständig an Mode und Gepflogenheiten hier »in der Zukunft« angepasst hatte.

»Hallo Papa!« 

Sie wusste ganz genau, dass ich diese Anrede nicht mochte, also revanchierte ich mich mit einer Anrede, die sie nicht mochte.

»Hallo Süße, da ist schon wieder Modestoff zu ReYacht, Inc. gekommen; passe nächstes Mal bitte etwas mit der Lieferadresse auf. Und wo wir gerade bei ReYacht, Inc. sind: Ein Kunde möchte einen bestimmten Segeltyp haben. Irgend etwas, was es früher einmal auf seinem Planeten gab. Du musst dann einmal schauen, inwiefern man das dann mit einem modernen Fallen- und Schotsystem kombinieren könnte. Ich habe die Rohentwürfe bereits in die Planungssoftware hochgeladen. Bea fällt bestimmt gleich etwas dazu ein.« 

Sie grinste. Einmal am Tag mussten wir unseren »Running Gag« bringen.

Carmen und Beatrix waren die Segelmacherinnen bei ReYacht, Inc., und besonderes Beatrix ging vollkommen in ihrer Arbeit auf. Durch ein Fenster sah ich, wie sie ein großes buntes Segel auf der Rasenfläche vor dem Haus ausbreitete.

Ich zeigte auf die violette Flüssigkeit und fragte: »Was ist das denn?« 

»Waldfrucht-Vanille-Milkshake. Sehr lecker!«, antwortete sie. »Das mit dem Stoff muss Bea gewesen sein; ich hatte in letzte Zeit nichts bestellt. Und das mit dem Segel dürfte zu machen sein.« 

Zusammen gingen wir auf die Terrasse hinaus. Marijke saß am Tisch und hatte den großen 3D-Planungsrechner vor sich liegen. Vor ihr schwebten sich langsam drehende Takelageteile in der Luft. Ich steckte meinen Kopf durch einige Segel hindurch und begrüßte Marijke mit einem langen Kuss auf den Mund. Immer wenn sie sich vorbeugte, konnte ich noch tiefer in ihr weit ausgeschnittenes Sommerkleid sehen, was ich mit einem weiteren Kuss direkt in ihr Dekolletee quittierte. Sie meinte daraufhin lachend, dass sie jetzt nicht abgelenkt werden wollte, und schob mich sanft zur Seite. Irgend etwas war anders, nicht mit Marijke, aber dennoch. Mein Elektronengehirn kam mir zu Hilfe.

Hinweis: Neuer Sonnenschirm!

Wieder einmal beglückwünschte ich mich, dass mein Elektronengehirn auch eine Art »Fettnapf-Vermeidungsfunktion« darstellte. Jeder konnte sich ja ausmalen, wie schwierig das mit Frauen sein konnte – und ich hatte drei davon. Ich schaute nach oben. Ein riesiger Sonnenschirm schwebte über der Terrasse, die ganze Terrassenfläche beschattend. Das »Schweben« war tatsächlich wörtlich zu nehmen, da er lediglich von mehreren recht dünnen Leinen auf seiner Position gehalten wurde. An seiner Unterseite befand sich außerdem ein kleiner schwarzer Kasten, der fast unmerklich, aber dennoch für meine Implantate bemerkbar, summte.

Kasten identifiziert als: Schwebeeinheit eines Luftkraftfahrzeugs.

»Nicht schlecht. Die Idee mit der Schwebeeinheit gefällt mir ausgesprochen gut«, meinte ich.

»Der ist seit vorgestern da, und der erste Prototyp«, erklärte Marijke. »War mal wieder so ein Projekt meiner Mädchen.« 

Ein schwebender Sonnenschirm war tatsächlich keine so schlechte Idee. Ich plante sowieso eine Ausweitung des Angebotsumfangs unser zwei Unternehmen, um nicht zu hundert Prozent abhängig von Kleidung und Wasserfahrzeugen zu sein. Davon hatte ich meinen Mädchen zwar noch nichts erzählt, aber mit dem Schwebeschirmdings kamen sie mir erfreulicherweise zuvor.

Marijke ergänzte: »Das Schwebemodul, oder wie das heißt, haben die Beiden von irgend einem Schrottplatz geholt und dann den Schirm um das Teil herum gebaut.« 

Mein Elektronengehirn registrierte, wie Beatrix mich aus der Ferne anschaute. Ich winkte, deutete auf den Sonnenschirm und streckte den Daumen nach oben. Das Mädchen grinste breit und winkte zurück. Nicht nur Carmen hatte sich schnell und erfolgreich adaptiert, vor allem Beatrix sog förmlich sämtliches technisches Wissen begeistert in sich auf. Ich war immer wieder erstaunt, wie viel brachliegendes Potential ich in meinen drei Damen wecken konnte.

Der Fettnapf war also erfolgreich umschifft und ich gab Marijke zu verstehen, dass ich mich erst einmal umziehen wollte. Auf dem Weg in das obere Stockwerk ließ ich mein Elektronengehirn erst einmal im Hintergrund ein wenig Marktforschung zu schwebenden Sonnenschirmen ohne Stützen betreiben.

Nicht mehr in Business-Anziehsachen und nur noch mit T-Shirt und Shorts bekleidet fühlte ich schon bedeutend wohler. Die Recherchen des Elektronengehirns hatten ergeben, dass niemand schwebende Sonnenschirme herstellte und auch kein Patent darauf existierte. Die »Kriegskasse« von ReYacht, Inc. war ausreichend gefüllt und so konnte ich es riskieren, einen größeren Betrag in die Patenterstellung und -anmeldung sowie in die Entwicklung eines serienreifen Produkts zu investieren. Die Mädchen würden begeistert sein, da war ich mir sicher.

Ich holte eine Flasche Ginger Ale aus dem Kühlschrank, setzte mich neben Marijke auf die Terrasse und schaute auf den See hinaus. Nur geringer Verkehr herrschte auf der Luftstraße, die in einiger Entfernung den See überquerte. Das anstehende Wochenende und die warme Witterung hatten den See schon gut mit Freizeitbooten gefüllt, und ich konnte mir ungefähr vorstellen, wie voll es in den nächsten Tagen werden würde. Zwei Drittel aller auf dem See erkennbaren Segelboote identifizierte mein Elektronengehirn als von ReYacht, Inc. neu gebaut oder restauriert. Ich wandte meinen Blick zu den Mädchen. Etwas Milkshake war an Carmens Kinn heruntergelaufen und Beatrix begann, das Kinn abzulecken, was in einen leidenschaftlichen Zungenkuss mündete. Neben mir war Marijke immer noch in ihre Schiffskonstruktion vertieft. Alle drei sahen glücklich und zufrieden aus. Vom Haus aus führte ein Weg aus hellbraunen Natursteinen zu einem Steg, an dem zwei unser mittelgroßen Boote vertäut waren. Auf einem dieser Boote war gerade einer meiner Bootstechniker mit der Vervollständigung der Ausrüstung beschäftigt, da das Boot in den nächsten Tagen an einen Kunden ausgeliefert werden sollte.

Das war jetzt also mein neues Zuhause und meine neue Familie.

Ich nahm einen großen Schluck aus der Flasche, lehnte mich entspannt im Gartensessel zurück und schaute zwei Wasservögeln nach, die den See in niedriger Höhe überflogen. Bevor ich es verhindern konnte, kam mir das Elektronengehirn in seiner unnachahmlichen besserwisserischen Art dazwischen.

Tiere identifiziert als: Heringsmöwen, »Larus fuscus«.

So einfach kam es mir aber nicht davon, denn ich wollte das letzte Wort haben.

Da mein Elektronengehirn keine Erinnerungen löschte, konnte ich mich noch präzise daran erinnern, was mir nach dem ersten Zeitsprung in die Vergangenheit durch den Kopf gegangen war: Es hätte eigentlich wesentlich schlimmer kommen können. Das stimmte so eigentlich nicht mehr, es hätte gar nicht besser kommen können. Die zwangsweisen Sprünge durch Raum und Zeit hatten fast ausnahmslos positive Folgen gehabt, denn von allen drei erlebten Zeitlinien war diese die für mich angenehmste.

Wie es jetzt in den beiden anderen parallelen Zeitlinien aussah, hätte ich mir ansehen können, da die Linien auf Quantenebene miteinander verschränkt waren. Ich hatte ein wenig in den noch unerforschten Regionen meines Elektronengehirns herumgestöbert – jetzt hatte ich ja genug Zeit dafür. So stieß ich auf eine Funktion, die es mir gestattete, zwischen verschiedenen Zeitlinien bewusst zu wechseln, also war nicht nur der unbewusste Wechsel aufgrund von Notsituationen möglich. Über den militärischen Nutzen dieser Funktion (und dafür war diese wahrscheinlich programmiert worden) wollte ich mir jetzt hier aber keine tieferen Gedanken machen. Außerdem könnte meine neue Familie in anderen Zeitlinien entweder verletzt oder tot sein – oder gar nicht existieren.

In der nächsten Zeit musste ich mich sehr dringend nach einer Möglichkeit zum Deaktivieren dieser Funktion umsehen, um diese nicht unabsichtlich auszulösen. Das Elektronengehirn konnte diese Aufgaben im Hintergrund übernehmen.

Ich war ja weiterhin ein Cyborg, Android, Mensch-Maschine, bionischer Mensch oder offiziell: Hybrid.

Es gab viele Bezeichnungen für jemanden wie mich.

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