Kapitel 4
Katamaran

1 Schaufelrad | 2 Rümpfe | 2 Rekorde

Auf der Fahrt kamen Marÿke und ich uns immer näher, schon alleine aufgrund der Enge, die auf dem kleinen Kaperschiff herrschte. Zu meinem größten Bedauern konnte ich das Elektronengehirn aber noch nicht dazu veranlassen, die Deaktivierung meines Sexualtriebs wieder aufzuheben, da weiterhin Kampfhandlungen zu befürchten waren.

Tatsächlich kam nach nicht allzu langer Zeit ein weiteres Schiff in Sicht. Dank meines sehr hochauflösenden Zooms der Sehimplantate identifizierte ich das Schiff erneut als spanischen Kauffahrer. Ich äußerte meine Bedenken, dass es schon wieder ein alleine fahrendes Schiff war. Eigentlich sollten sie laut den Aufzeichnungen in der Wissensdatenbank im Konvoi durch Kriegsschiffe geschützt fahren; es kam mir daher vor, als ob uns eine Falle gestellt werden sollte. Nachdem aber beim letzten Schiff keine ausreichende Beute gemacht werden konnte, wurde einstimmig beschlossen, das Schiff zu kapern.

Die Mannschaft des Kauffahrers leistete zwar Widerstand, aber dennoch konnte das Schiff in kurzer Zeit eingenommen werden. Ich war aber weiterhin misstrauisch; das Ganze lief mir aber immer noch zu reibungslos ab. Irgend etwas ging hier aber nicht mit rechten Dingen zu… 

Trotz allem war die Beute durchaus brauchbar; es gab unter anderem wieder als willkommene Ergänzung ein paar Fässer Schießpulver und diverse Kisten Munition. Am besten waren aber aus meiner Sicht vier recht kleine Kanonen nebst passender Munition. Diese waren zwar kleiner als die üblichen Kanonen eines großen Kriegsschiffs, aber wir konnten sie gut vor allem für kleinere Schiffe als passende Bewaffnung für Bug und Heck gebrauchen. Das Umladen der Ladung des Kauffahrers, besonders der Kanonen, wurde dank meiner Krankonstruktion wiederum erneut deutlich erleichtert.

Als ob ich es nicht schon geahnt hatte, meldete der Ausguck plötzlich drei spanische Kriegsschiffe. War es also doch eine Falle? Hektisch wurde so viel wie möglich der Ladung umgeladen. Jetzt war ich froh, dass ich nicht unsere eigene Rah als Kran verwendet hatte, sondern die größte Rah des anderen Schiffs, so konnten wir schneller wieder wegkommen.

Die Schiffe näherten sich mit hoher Geschwindigkeit aus Lee, so dass wir nur nach Luv ausweichen konnten. Wir mussten also fast gegen den Wind fahren.

Die Spanier fuhren außerdem so in Formation, dass uns kein anderer Kurs mehr übrig blieb. Wir mussten alles aus dem Schiff herausholen, um den Spaniern entwischen zu können, War das jetzt eine bewusst gestellte Falle oder nur Zufall? Gegen eine Falle sprach, dass wir aber meiner Ansicht nach viel zu viel – wertvolle – Ladung umladen konnten. Schnell wurden alle Enterleinen gekappt, nachdem der letzte Mann wieder an Bord war. Die Enterhaken blieben an Bord des anderen Schiffs, der Schmied musste uns dann eben neue anfertigen.

Sehr hoch am Wind fahrend versuchten wir, den Spaniern zu entkommen. Zum Glück waren sie noch nicht in Schussreichweite gewesen. Durch die Ladung erhöhte sich unser Tiefgang und weil der Wind auch noch auffrischte, bekam das Schiff eine immer stärkere Schräglage.

Auf meinen Vorschlag hin ließ der Kapitän versuchsweise alle Mann nach Luv gehen lassen. Diese Maßnahme brachte aber keine wesentliche Verringerung der Krängung. Je aufrechter aber ein Segelschiff fuhr, desto schneller war es, wie ich aus der Wissensdatenbank erfahren hatte. Ich überlegte, wie man den Trimm noch weiter beeinflussen könnte. Mein Blick fiel auf die vier erbeuteten Kanonen, die sich an Deck befanden. Man konnte sie als weiteres Trimmgewicht nach Luv bringen. Das Elektronengehirn schlug eine interessante Konstruktion vor, nämlich dass die Kanonen durch zwei Leinen hin und her auf dem Deck bewegbar sein sollten. Wenn ein Fahrtrichtungswechsel auf die andere Windseite bevorstehen sollte, konnten die Kanonen dann problemlos auf die neue Luvseite gebracht werden. Als alle Kanonen nach Luv gebracht worden waren, verminderte sich die Krängung merklich und das Schiff wurde tatsächlich noch ein wenig schneller.

Der Abstand zu den uns verfolgenden Spaniern vergößerte sich nur leicht, aber dafür stetig. Durch den Einsatz der Kanonen als Trimmgewicht konnte die Geschwindigkeit soweit erhöht werden, dass wir ganz knapp außerhalb der Schussreichweite blieben. So hoch am Wind kam erschwerend ein extrem starker Drang nach Lee hinzu, so dass wir eher schräg als geradeaus fuhren.

Das Schiff hatte zwar etwas Tiefgang (und jetzt noch ein wenig mehr), aber keinen Kiel oder Ähnliches. Ich nahm mir vor, entweder das Schiff umzubauen oder ein komplett neues Schiff zu konstruieren, um so der starken Abdrift begegnen zu können. Dieses sollte damit eine deutlich höhere Geschwindigkeit haben können und vor allem deutlich bessere Am-Wind-Eigenschaften aufweisen. Das schnellere Schiff zu haben, konnte unter Umständen entscheidend sein, wie an der jetzigen Situation zu sehen war. Ich wollte mir daher in Ruhe etwas überlegen. Marÿke war doch die Gattin eines niederländischen Schiffsbauers, wie sie mir erzählt hatte. Wir konnten bei der Konstruktion zusammenarbeiten, falls sie vielleicht ein paar Schiffbaukenntnisse von ihrem Gatten aufgeschnappt hatte. Es würde mir schon gefallen; die Frau war ja nicht unattraktiv. Zunächst aber war es entscheidend, den Spaniern entkommen zu können.

Der zwangsweise gewählte Kurs führte uns erst einmal von unserem Stützpunkt weg, was ja nicht die schlechteste Option war. Das Schiff wurde stark beansprucht, hoffentlich hielt das Material so lange durch, bis wir die Spanier außer Sichtweite hatten und wir endlich auf einen anderen Kurs gehen konnten. Jetzt mussten Carmens und meine Verbesserungen zeigen, ob sie auch unter Extrembedingungen durchhalten konnten. Ich machte noch ein paar Feineinstellungen am Segeltrimm, die der Kapitän mir zugestanden hatte, und wir wurden noch etwas schneller. Mit mehr Ladung wäre es fast unmöglich gewesen, den Verfolgern zu entkommen. Wir hätten zwar die Kanonen über Bord werfen können, aber das hätte auch Zeit gekostet. Außerdem wollte ich die Kanonen gerne behalten.

Es war zwar unschön, die zwei Niederländerinnen und auch Carmen gleich wieder so einer Gefahr auszusetzen, aber ich hatte an Bord nun einmal leider nicht das Sagen. Zumindest hatten wir noch etwas Ladung erbeuten können, besonders die Kanonen und auch wieder eine größere Menge Schießpulver waren doch keine so schlechte Ausbeute.

Wir bewahrten die Ruhe und so fielen die Spanier immer weiter zurück. Nach quälend langen Stunden bei höchster Anspannung der Mannschaft und höchster Beanspruchung des Materials – alle Teile des Schiffs knackten und knarrten – war der letzte der drei Spanier hinter dem Horizont verschwunden. Alle atmeten auf, wir waren gerade noch einmal davongekommen. Es war zwar noch nicht vorbei, da wir noch etwas Abstand gewinnen wollten, aber die Erleichterung war deutlich zu spüren. Vor allem brauchte das Schiff eine dringend notwendige Ruhepause; das Material war, trotz aller Verbesserungen, nicht mehr das Beste.

Auf recht großen Umwegen, die mehrere Tage in Anspruch nahmen, kehrten wir ins Dorf zurück. Auf der Fahrt wurden zum Glück keine Spanier mehr gesichtet. Ich hatte mir vorgenommen, in einer ruhigen Minute mit dem Kapitän zu reden, um ein schnelleres Schiff bauen zu dürfen. Dafür konnte man doch bestens die Reste des am Kai liegenden spanischen Schiffs verwenden. Das Schiffswrack musste sowieso irgendwann entsorgt werden, um am Kai wieder Platz schaffen zu können.

Das Treideln war wieder sehr, um es eher technisch ausdrücken zu wollen, »ressourcenbeanspruchend«, auch weil der Fluss dieses Mal eine etwas stärkere Strömung aufwies. Ich musste zusätzlich zur Schiffsneukonstruktion über alternative Antriebe zu Segeln und Treideln nachdenken. Das Elektronengehirn lieferte mir verschiedene Muster von Schiffsschrauben. Ich wollte die Konstruktion einer Schiffsschraube aber gleich wieder verwerfen, da ich mir nicht sicher war, ob der Schmied so etwas überhaupt in der notwendigen Genauigkeit herstellen konnte. Und dann war da noch die Korrosion. Mein Stöbern in der Wissensdatenbank zu historischen Schiffsantrieben brachte dann aber eine nicht uninteressante Alternative hervor, nämlich das Schaufelrad! Ein Schaufelrad war schon einmal keine schlechte Idee und passte auch hervorragend in diese Zeitepoche, was mir das Elektronengehirn umgehend bestätigte, da diese Schiffe mit durch Menschenkraft angetriebenen Schaufelrädern bereits ab dem zwölften Jahrhundert in China im Einsatz waren.

Das ging schon einmal in die richtige Richtung, und ich war bei meinem Vorhaben, die Piratenflotte wirksam zu modernisieren, schon einen Schritt weiter. Ich beschloss darüber hinaus, mich bei der Modernisierung der Flotte an die Vorgabe zu halten, nur im sechzehnten Jahrhundert bekannte Elemente aus dem Schiffbau und aus der sonstigen Technik zu verwenden. Mein Wissen über diese Dinge konnte ich halbwegs unproblematisch mit meiner Identität als Forschungsreisender erklären, da ich ja schon die ganze Welt bereist hatte. Ich musste die Ausgestaltung meiner Legende zukünftig aber deutlich besser im Voraus planen, um nicht wieder in Fallen zu geraten, aus denen ich mich mit Spontanaktionen befreien musste. Langsam wurde mir das ständige Ausredenerfinden nämlich zu anstrengend; wie gut, dass ich ein Elektronengehirn besaß, dass diese Aufgaben im Hintergrund übernehmen konnte.

Bei der Aufteilung der Beute wollte ich nichts zugeteilt haben, dafür aber die, zumindest auf den ersten Blick nicht mehr verwertbaren, Reste des spanischen Schiffs zur freien Verfügung. Außerdem hatte ich ja schon meine Belohnung in Form von Marÿke, wenn, und hier war ich mir noch nicht sicher, wenn sie denn tatsächlich mit mir zusammen leben wollte. Besonders auf die geladenen Tropenharthölzer hatte ich ein Auge geworfen. Keiner hatte wirklich Verwendung dafür, da sie viel zu hart waren. Hier konnte ich allerdings meine neu gewonnene Körperkraft wieder einmal zum gewinnbringenden Einsatz bringen.

Ich lud die Holzladung aus und legte sie hinter meiner Hütte ab. Mit einer Säge schnitt ich kleine Stücke aus den verschiedenen Stämmen heraus und ließ mein Elektronengehirn die Holzsorten analysieren. Das dunkelste Holz war tatsächlich Mahagoni, wie ich vermutet hatte. Daneben gab es aber auch mir bis jetzt vollkommen unbekannte Sorten mit sehr exotischen und wohlklingenden Namen, wie Massaranduba, Garapa und Ipé. Darunter befanden sich einige, hoffentlich auch salzwasserbeständige, Harthölzer, die man sehr gut für technische Konstruktionen würde verwenden können.

Marÿke und ich kamen uns noch näher; die beiden Mädchen waren ja sowieso nahezu unzertrennlich. Beatrix vervollständigte bei Carmen ihre Spanischkenntnisse, und so wurde die Verständigung zwischen den beiden Mädchen immer besser. Da zur Zeit keine Kaperfahrt anstand und das Dorf auch nicht einer unmittelbaren Gefahr ausgesetzt war, konnte ich endlich einmal gefahrlos die Deaktivierung meines Sexualtriebs aufheben.

Eines Abends war diese Aktion dann von Erfolg gekrönt. Mit den Worten »Das ist für dich, du großer starker Mann aus der Zukunft!« streifte sie ihr Kleid über die Schultern und ließ es zu Boden fallen. Ich hatte sie ja bisher noch nie unbekleidet gesehen und war mehr als positiv überrascht. Sie hatte tatsächlich eine noch aufregendere Figur, als ich erwartet hatte. So kam eins zum anderen und wir erlebten eine sehr ungestüme Nacht miteinander.

Ich hatte zwar die Deaktivierung meines Sexualtriebs aufgehoben, aber zur Überwachung meine Audio-Sensoren nicht abgeschaltet. Daher bekam ich trotzdem mit, wie Carmen in ihrer unerschrockenen Frechheit leise zu Beatrix sagte: »Endlich passiert einmal etwas zwischen den beiden.« Ich nahm mir vor, mit ihr noch einmal darüber reden zu wollen.

Ich genoss den sexuellen Kontakt zu Marÿke sehr. Bislang hatte noch keine richtig feste Beziehung gehabt; bedingt durch die häufigen Standortwechsel während meiner Militärdienstzeit und vor allem durch den Krieg gab es bisher eher nur »One Night Stands«. Jetzt aber hatte ich sogar im Prinzip nicht nur eine Partnerin, sondern gleich eine ganze Familie. Hoffentlich hielt dieser Zustand noch lange an.

Die folgenden Tage richteten wir unser neues Heim ein. Marÿke war ausgesprochen glücklich darüber, dass ihre Tochter so aufblühte. Ich erläuterte ihr, dass gleichgeschlechtliche Liebe keine Sünde, Krankheit oder Ähnliches war, sondern einfach eine entsprechende Veranlagung. Sie hatte tatsächlich ihre Tochter noch nie so glücklich erlebt, seit die Fesseln der von Gesellschaft und Klerus auferlegten Sexualmoral gesprengt worden waren.

In den vielen durchwachten Nächten, die ich mit der Planung des neuen Kaperschiffs beschäftigt war, hatte ich einerseits viel über Schiffbau im Allgemeinen gelernt und andererseits waren die Planungen für ein, nennen wir es, »Jagd- und Kaperfahrzeug« im Speziellen so weit fortgeschritten, dass ich mit dem Bau beginnen konnte. Der Kapitän brachte nahezu in letzter Sekunde eine neue Vorgabe ins Spiel, nämlich dass das neue Schiff eine identische Mannschaftsstärke und eine mindestens identische Zuladung wie ein konventionelles Kaperschiff haben sollte. Als Schiffstyp kam wegen der Flachwassereignung, einer möglichst hohen Endgeschwindigkeit und einer möglichst wenig ausgeprägten Krängungsneigung eigentlich nur ein Mehrrumpfboot, ein Katamaran, in Frage. Vor allem wenn man schnell durch flache Gewässer fliehen konnte, beispielsweise durch Lagunen, hatte man schon einen gewissen Vorteil gegenüber den vergleichsweise schwerfälligen Kriegsschiffen und den noch schwerfälligeren Kauffahrerschiffen. Dass die Geschwindigkeit unter Umständen entscheidend sein konnte, hatte ich auf der Flucht vor den plötzlich auftauchenden spanischen Kriegsschiffen gelernt. Die Größe des Schiffs gab die Vorgabe des Kapitäns vor. Die Planung der Rumpflängen und -breiten war recht schnell abgeschlossen, so dass ich mit dem Bau beginnen konnte.

Unter Beisein des sehr skeptischen Kapitäns führte ich die Kiellegung der zwei Rümpfe durch. Die Reste des spanischen Schiffs wurden so nach und nach einer neuen, besseren, Verwendung zugeführt. Ich hatte mit dem Kapitän vereinbart, dass ich nur in meiner Freizeit an dem Schiff bauen durfte und sonst für Kaperfahrten oder zur Verteidigung des Dorfes unverzüglich zur Verfügung stehen musste, was ich selbstverständlich widerspruchslos akzeptierte.

Marÿke wich nicht mehr von meiner Seite, wenn ich am Katamaran baute. Sie hatte tatsächlich von ihrem verstorbenen Gatten einiges Wissen in Bezug auf Schiffbau aufgeschnappt und war mir eine große Hilfe. Knifflige Konstruktionsarbeiten machten ihr sichtlich Spaß, und viele Stunden verbrachten wir über Konstruktionszeichnungen, die wir auf Papier anfertigten, welches wir von einem Kauffahrer in größeren Mengen erbeuten konnten. Die körperliche Arbeit machte sie zunehmend kräftiger und sie war sich auch durchaus nicht zu schade, schwere Holzteile zu tragen.

Indem ich darauf wettete, dass das neue Schiff auf jeden Fall schneller als ein konventionelles Kaperschiff sein würde, konnte ich dem Kapitän die vier erbeuteten kleinen Kanonen abluchsen, musste diese aber wieder zurückgeben, wenn ich die Wette verlieren würde. Ich plante diese Kanonen somit gleich bei meiner Schiffskonstruktion mit ein. Der Bug- und Heckbereich sollte jeweils hochgezogen sein und die Kanonen dort »versteckt« und mit Mündungsklappen, oder wie das hieß, versehen werden. Das Elektronengehirn lieferte mir prompt den korrekten Fachbegriff.

Die Kanonen sollten auf jeden Fall sogenannte »Stückpforten« bekommen, um gegen Wassereintritt gewappnet zu sein, wenn beispielsweise der Bug bei einer Welle ins Wasser eintauchte. Eigentlich war ich ja gegen jegliche Löcher im Rumpf, ich hatte noch die Wassereintritte in meinem gesunkenen Raumschiff vor Augen. Aber um den Schwerpunkt des Schiffs durch die Kanonen nicht allzu hoch werden zu lassen, mussten diese möglichst tief angebracht werden; an der Stelle kam meiner schöne Planung aber dummerweise dem Wasser in die Quere.

In der Hurrikansaison blieben wir von großen Stürmen verschont, nur ab und zu erreichten uns Ausläufer mit viel Regen, aber nicht so starkem Wind. So konnten wir weiter am Katamaran bauen, von gelegentlichen Kaperfahrten abgesehen, um uns den Lebensunterhalt verdienen zu können. In den ruhigen Momenten außerhalb einer Kaperfahrt überlegte ich, wie das Schaufelrad angetrieben werden sollte. Das Elektronengehirn lieferte mir eines Tages einen sehr schönen Lösungsvorschlag, nämlich einen Tretantrieb.

Sofort begann ich mit der Detailplanung. Ein Schaufelrad mit Tretantrieb war eine der Zeitepoche wunderbar angemessene Konstruktion. Eigentlich wollte ich aber kein Loch in den Rumpf bohren und daher den Antrieb mittels einer Zahnrad- und Wellenkonstruktion über die Oberkante der Bordwand führen. Ein Kegelradgetriebe passte eigentlich laut Wissensdatenbank am Besten, aber das Elektronengehirn war anderer Ansicht.

Kegelzahnräder waren in dieser Zeitepoche nicht mit den erforderlichen Maßtoleranzen herstellbar, obwohl die jetzt vorhandenen Harthölzer durchaus dafür geeignet wären.

Dies leuchtete mir ein, die Konstruktion sollte doch auch unter den harten Bedingungen einer Kaperfahrt problemlos funktionieren. Aber wie konnte man die Kraft wie dann vom Tretantrieb »um mehrere Ecken« auf das Schaufelrad bringen? Das Elektronengehirn präsentierte mir eine vielversprechende Alternative: ein Kronenradgetriebe. Die Harthölzer waren seiner Ansicht nach auch gut für Zahnräder geeignet. Nur stelle sich auch hier wieder die Frage nach dem historischen Bezug. Das Elektronengehirn beruhigte mich sofort, indem es feststellte, dass Kronenradgetriebe auch im sechzehnten Jahrhundert schon bei Wind- und Wassermühlen im Einsatz waren.

Ohne dass ich es verhindern konnte, stieg in mir ein Bild von Marÿke in zeitgenössischer niederländischer Tracht inmitten von niederländischen Windmühlen auf, was aber schnell wieder verschwand, als ich mich wieder dem Projekt widmete.

Da ich das Getriebe so konstruierte, dass das große Kronenrad nach oben aus den kleineren Zahnrädern herausgenommen werden konnte, war es möglich, das gesamte Schaufelrad aus dem Wasser zu ziehen, um keinen unnötigen Wasserwiderstand zu bieten.

Ich hatte, auch wegen des Regen- und Sonnenschutzes, größtenteils unter einer großen Segeltuchplane gearbeitet, die Carmen mir aus vielen kleinen Segelresten zusammengenäht hatte, und so wurde das Antriebsprojekt mehr oder weniger geheim durchgeführt. Nach vielen Wochen, gelegentlich durch kurze Kaperfahrten unterbrochen, war es dann endlich soweit, der Antrieb war fertig! Ob und wie er funktionierte, musste eine Testfahrt zeigen.

Ich schaute die fertige Konstruktion noch einmal im Ganzen an und war mehr als zufrieden. Es war eine meiner Ansicht nach eine geniale feinmechanische Meisterleistung, ganz aus Holz, wie sie Leonardo da Vinci nicht besser hätte konstruieren können. Wir befanden und doch am Ende des sechzehnten Jahrhunderts und Leonardo da Vinci starb im Jahr 1519, also konnten derartige Konstruktionen durchaus glaubhaft vorhanden sein.

Nachdem ich mittlerweile vorsichtig geworden war, was das öffentliche Zurschaustellen meiner Kenntnisse und Fähigkeiten betraf, konnte ich jetzt meiner Legende hinzufügen, dass ich als Zimmermann und Forscher sein technisches Werk genauestens studiert hatte. Zwar bezweifelte ich, dass jemand hier vor Ort jemals etwas von Leonardo da Vinci gehört haben konnte, aber ich musste weiterhin für alle Eventualitäten gerüstet sein.

Der Katamaran wurde zu Wasser gelassen und ich stellte mit großer Erleichterung fest, dass er zum Einen nicht gleich auf Grund ging und zum Anderen nicht zu tief und vor allem gleichmäßig im Wasser lag. Meine Berechnungen waren korrekt und auch wenn das Schiff noch ohne Takelage irgendwie noch nicht so richtig »schiffmäßig« aussah, so war der gelungene Stapellauf doch ein großer Schritt in die richtige Richtung gewesen.

Die vereinbarte Schaufelrad-Testfahrt des Katamarans wurde vom Kapitän gleich in eine Wettfahrt umgewandelt. Ich hatte aber durchaus Vertrauen in meine Konstruktion und war somit recht zuversichtlich. Die Wettkampfstrecke wurde flussaufwärts vom Kontrollposten bis zum Dorf festgelegt – natürlich gegen die Strömung. Parallel zum per Schaufelrad angetriebenen Katamaran sollte ein konventionelles Kaperschiff auf die übliche Art und Weise getreidelt werden. Der Kapitän hatte die stärksten Männer ausgesucht, die auch sonst für das Treideln eingeteilt wurden; mir blieb sozusagen nur die »zweite Garde«. Immerhin war ich ja auch noch dabei und konnte so meine durch die Implantate zusätzlich gewonnene Körperkraft einsetzen. Darüber hinaus hatte ich in das Getriebe eine kleine Übersetzung integriert, somit hoffte ich, dass man auch eine geringere Kraft besser in Vortrieb umsetzen konnte.

Am folgenden Tag wurde dann die Wettfahrt durchgeführt. Als erschwerender Faktor kam hinzu, dass ausgerechnet an dem Tag nach mehreren starken Nachmittagsgewittern am Vortag die Strömung des Flusses wieder einmal stärker als gewöhnlich war. Wir legten vom Kai ab und bis zum Kontrollposten ließen wir uns treiben. Dann drehte ich den Katamaran wieder in Flussaufwärtsrichtung, wir ankerten und warteten auf das Startzeichen. Der Kapitän gab mit einem Büchsenschuss das Startzeichen und am Ufer liefen Melder zum Dorf, um den Start mitzuteilen. Ich ließ den Anker lichten und kräftig in die Pedale treten. Beatrix übernahm das Steuer; meine »Tret-Mannschaft«, zu der auf eigenen Wunsch auch Marÿke und Carmen gehörten, und die generische Treidelmannschaft gaben alles.

Im Dorf kamen wir mit deutlichem Vorsprung vor dem getreidelten Schiff an. Ich sah, wie wieder einige Münzen von unglücklichen Wettverlierern zu glücklichen Gewinnern wechselten. Noch nie hatte ein Schiff so schnell diese Strecke zurückgelegt. Sogar der alles immer eher skeptisch sehende Kapitän war beeindruckt. Ich musste dies gleich etwas relativieren, da das Schiff noch mit Masten, Segeln und Ladung – und dann auch den Kanonen – etwas schwerer werden würde. Aber für einen ersten Test, und dann auch noch bei dieser Strömung, war es schon sehr zufriedenstellend gelaufen.

Ein geringer Tiefgang bedeutete natürlich auch einen geringeren Wasserwiderstand; insofern waren das noch nicht die Bedingungen, die tatsächlich auf dem offenen Meer vorherrschten. Vor allem war hier kein Wind quer zur Fahrtrichtung, so dass es noch keine oder nur eine geringe Abdrift gab. Ich hatte mich ja schon über die starke Abdrift eines konventionellen Kaperschiffs geärgert und dass wir nur sehr knapp den Spaniern entkommen waren. Um trotzdem auch in seichten Gewässern fahren zu können, wollte ich den Tiefgang möglichst gering halten und daher hatte ich bewusst ein Zweirumpfboot konstruiert. Jetzt musste es nur noch einen beweglichen Kiel oder wie das hieß bekommen, um der Abdrift entgegen wirken zu können. Das Elektronengehirn meinte, es müsste »Schwert« heißen.

Als ich mir die Konstuktionsdetails eines Schwertes in der Wissensdatenbank angesehen hatte, kamen mir wieder Zweifel an der Ausführung. Für ein klassisches Schwert eines Einrumpfboots musste ich eigentlich wieder ein mehr oder weniger großes Loch in den Rumpf machen, in meinem Fall bräuchte ich dann derer zwei, was ich aber unbedingt vermeiden wollte. Gab es da nicht noch Alternativen?

Es empfehlen sich beispielsweise seitlich am Rumpf, und nicht unter dem Rumpf, angebrachte Schwerter, so genannte »Seitenschwerter«.

Der Einsatz von Seitenschwertern war außerdem schon seit dem achten Jahrhundert bei chinesischen Dschunken überliefert, so dass ich dann eben Seitenschwerter konstruierte, da auch diese sich einigermaßen in diese Zeitepoche einfügten. Hierbei stolperte ich in der Wissensdatenbank über weitere historische Aufzeichnungen, die besagten, dass Seitenschwerter erst Anfang des siebzehnten Jahrhunderts in den Niederlanden… 

Meine Gedanken wandten sich sofort vom Schiffbau ab und die Realität der Zeitreise holte mich wieder ein. Ich hatte Marÿke gerettet, sie hatte gewisse Schiffbaukenntnisse, denen sie nun die Seitenschwerter hinzufügte, und wir standen kurz vor dem Jahreswechsel von 1581 nach 1582. Wenn sie nun in die Niederlande zurückkehren sollte, dann würde sie unter Umständen dieses Wissen dort einbringen. Waren solche »Henne-Ei«-Bezüge überhaupt zulässig, ohne dass das Raum-Zeit-Kontinuum nachhaltig gestört wurde und alles in einem Paradoxon endete? Das in der Wissensdatenbank vorhandene Theoriewerk zu Zeitreisen lieferte hierzu leider keine befriedigende Auskunft, da sich verschiedene Wissenschaftler in diesem Punkt widersprachen – und ein Paradoxon hatte logischerweise noch niemand ausprobieren können. Ich bewegte mich hier auf jeden Fall auf sehr dünnem Eis und musste schauen, dass ich es mit den Eingriffen in die Zeitabläufe nicht zu weit trieb. Schlussendlich war es besser, dass Marÿke möglichst nicht in die Niederlande zurückkehrte oder, als bestmögliche Alternative, dass sie in mein Jahrhundert mitkommen sollte, falls sich die Gelegenheit dazu bot. Falls sich überhaupt die Gelegenheit dazu bot und nicht ein Raum-Zeit-Paradoxon alles verschlang… 

Auch um mich ablenken zu können, stürzte ich mich wieder umso intensiver auf die Schiffskonstruktion. Marÿke und ich einigten uns auf ein so genanntes »Klappschwert«, das bei Grundberührung hochklappen sollte, um so Schäden vermeiden zu können. Der Schmied konnte eine passende Eisen- oder Kupferummantelung für die untere Seite herstellen, die als Gewicht und als Schutz vor Grundberührungen dienen sollte.

Nun fehlte noch der »Windantrieb«. Ich wollte auf jeden Fall aufgrund der besseren Segeleigenschaften weg von Rahen mit Rahsegeln, sondern der Katamaran sollte die Art von Segeln bekommen, die sozusagen längs und nicht quer am Mast befestigt waren. Das Elektronengehirn konnte auch hier mit Fachbegriffen weiterhelfen.

Diese heißen »Schratsegel« oder »Lateinersegel«. Wegen der zusätzlichen Versteifung an der Oberseite durch eine so genannte »Spiere« werden Lateinersegel empfohlen.

Ich schaute mir in der Wissensdatenbank die Bauweise von Lateinersegeln an und war sofort davon überzeugt, diese zu verwenden. Weil dann aber keine Rah mehr als Kran umgerüstet werden konnte, was sich beim Entladen von größeren Beutestücken bereits als sehr hilfreich erwiesen hatte, wollte ich die Spiere des größten Segels so konstruieren, dass man sie problemlos und ohne große Umrüstungsarbeiten auch als Kran verwenden konnte. Wie ich mir in meiner ersten Nachtwache auf dem Piratenschiff schon überlegt hatte, wurden außerdem alle wichtigen Leinen, die der Segeltrimmeinstellung dienten, in den hinteren Bereich des Schiffes geführt (der bei modernen Schiffen laut Elektronengehirn tatsächlich auch »Cockpit« genannt wurde), um es unter Umständen auch mit nur einer oder zwei Personen vollständig bedienen zu können.

Die zwei Niederländerinnen nähten unter Anleitung von Carmen die passenden Segel aus Segeltuchresten des spanisches Schiffs zusammen, da ich ja nur »Reste« verwenden durfte. Dennoch hatte ich weiterhin großes Vertrauen in Carmens Näh- und Improvisationskünste, aus nahezu Nichts etwas Brauchbares zu gestalten. Während meine drei Damen sich mit der Herstellung der Segel beschäftigten, konnte ich den Aufbau der Takelage vollenden. Mit zwei Masten und dem dazugehörigen laufenden und stehenden Gut sah der Katamaran schon deutlich »segelschiffiger« aus. Die Segel waren dann innerhalb einer Woche fertig und so konnten wir uns auf die lange ersehnte erste Testfahrt unter Segeln begeben.

Wir legten vom Kai ab und ließen uns von der Strömung bis zum Kontrollposten treiben. Um vor dem Posten anhalten zu können, benutzten wir den Schaufelradantrieb als Bremse. Ich hatte dies noch nie so richtig probiert, aber wir kamen punktgenau vor der Sperre zum Stehen. Die am Posten stationierten Piraten waren über dieses Manöver recht erstaunt, da schon mehrere Schiffe nicht mehr rechtzeitig bremsen konnten und die Sperre gerammt hatten. Nachdem wir die Sperre passiert hatten, machten wir erneut in der Flussmündung Halt. Es wurden die Segel gesetzt und das Schaufelrad aus dem Wasser gezogen. In der Flachwasserzone an der Flussmündung, ohne Wellen und bei lebhaftem Wind war sofort eine starke Beschleunigung zu spüren. Auch die Abdrift hielt sich dank der Schwerter in sehr engen Grenzen. Ich war begeistert, da die Fahrteigenschaften im Flachwasser meine Erwartungen bei Weitem übertrafen. Das jeweilige Luvschwert wurde zur Verminderung des Wasserwiderstands aus dem Wasser gezogen, diese zusätzlichen Handgriffe bei einer Wende waren aber noch ungewohnt und mussten sich erst einspielen. Die Manövrierfähigkeit des Katamarans war natürlich im Vergleich zu einem Einrumpfboot weniger gut. Vor allem hatte er einen größeren Wendekreis, was aber durch das höhere Beschleunigungsvermögen wieder ausgeglichen wurde. Diese Schnellfahrten machen mir sogar richtig Spaß, was mir meine drei Damen bestätigten; sie hatten mich schon lange nicht mehr so gelöst erlebt.

Mit einem Raumschiff waren natürlich ganz andere Geschwindigkeiten möglich, aber hier auf dem Segelschiff spürte man diese auch wirklich, da es keine Trägheitsdämpfer oder Ähnliches gab. Zum Schluss wurde ich sogar noch etwas mutiger und ließ den Katamaran mit recht hoher Geschwindigkeit über einige sehr flache Stellen fahren, so dass die Schwerter Grundberührung bekamen und wie geplant hochklappten, ohne beschädigt zu werden oder gar abzubrechen.

Nach diesem Erfolg verließen wir noch kurz vom Flachwasser der Flussmündung und fuhren auf das offene Meer hinaus. Das Schiff machte im Vergleich mit einem Einrumpfboot in der Dünung erwartungsgemäß deutlich weniger Rollbewegungen. Dies kam auf jeden Fall Marÿke sehr entgegen, die einen leichten Hang zur Seekrankheit hatte (»das ist mir furchtbar peinlich, ausgerechnet als Gattin eines Schiffbauers«). Die Fahrteigenschaften bei Seegang waren sicherlich nicht die Schlechtesten. Das war allerdings nur die erste Testfahrt noch ohne Ausrüstung und Ladung, aber die Ergebnisse waren mehr als vielversprechend gewesen. Etwa eine Stunde lang fuhren wir verschiedene Manöver, dann kehrten wir um und bewegten uns wieder in die Flussmündung hinein. Nach Passieren der Sperre kam dann wieder das Schaufelrad zum Einsatz und wir legten am Kai an. Ein wichtiger Meilenstein bei der Modernisierung der Kaperflotte war geschafft.

Für die erneute Wettfahrt, dieses Mal unter Segeln, wurde entsprechendes Gewicht in Form von Steinen und Felsbrocken anstatt Kanonen, Munition, Schießpulver, Trinkwasser und Nahrungsmitteln geladen. Dies war vom Kapitän angeordnet worden, um den Katamaran unter Echtbedingungen, dass hieß in voller Kampfbeladung gegen ein ebenfalls voll ausgerüstetes konventionelles Kaperschiff antreten zu lassen. Die Wettfahrtstrecke wurde ebenfalls vom Kapitän festgelegt und führte einmal um eine ein paar Seemeilen vor der Flussmündung liegende kleine Insel herum und wieder zur Flussmündung zurück. Wieder konnte ich beobachten, wie Wetten abgeschlossen wurden. Nachdem der Katamaran die erste Wettfahrt gewonnen hatte, sahen unsere Wettquoten aber dieses Mal deutlich besser aus, soweit ich es mitbekommen hatte.

Wie nicht anders zu erwarten, gewann wiederum der Katamaran, wobei uns der nicht allzu starke Seegang dabei geholfen hatte. Daraufhin wurde der einstimmige Beschluss gefasst, die nächste Kaperfahrt zusätzlich mit dem Katamaran durchzuführen. Ganz vertrauten Kapitän und Maat mir und meiner Schiffskonstruktion nämlich noch nicht, so dass wir mit zwei Schiffen diese Fahrt durchführen sollten.

So wurde der Ballast wieder ausgeladen und das Schiff mit allem Notwendigen für eine Kaperfahrt bestückt. Auch die vier erbeuteten kleinen Kanonen konnten jetzt endgültig an die vorgesehenen Plätze an Bug und Heck eingebaut werden. Nach drei weiteren Testfahrten, auf denen ich noch die Feinjustierung des Riggs und noch kleinere Umverteilungen des Ballasts vornahm, war es dann endlich soweit: Ich konnte die Einsatzbereitschaft des Katamarans an den Kapitän melden.

Frohen Mutes brachen wir nach ein paar Tage auf die Kaperfahrt auf. Die eher positive Stimmung rührte auch daher, dass wir mit zwei Schiffen deutlich mehr erreichen konnten, als mit einem alleine. Als wir mit den Schiffen einen Kauffahrer in die Zange nahmen, geschah dann das vollkommen Unerwartete.

Der Kapitän wurde getötet, als im Kampf unser anderes Kaperschiff versenkt wurde, da es einen eher zufälligen Kanonentreffer direkt unter der Wasserlinie bekommen hatte. Ich hatte tatsächlich das Wort »unser« verwendet; ich fühlte mich wirklich schon als vollwertiger Pirat. Wir konnten noch einige Besatzungsmitglieder des anderen Kaperschiffs retten, mussten dann aber den Angriff abbrechen, um aus der Schussweite des Kauffahrers zu kommen. Nun kamen auch die Heckkanonen des Katamarans zum Einsatz und lieferten uns durch einen schönen Treffer direkt in den Bug des uns verfolgenden Schiffs den entscheidenden Vorteil.

Als ob ich es nicht schon geahnt hatte, wurde ich spontan – einstimmig – als Nachfolger des Kapitäns gewählt. Sogar der Maat hatte für mich gestimmt, obwohl er eigentlich der legitime Nachfolger gewesen wäre. Mir war das Ganze aber eher peinlich und stand einmal wieder meinem Vorsatz, nicht allzu stark in das Geschehen eingreifen zu wollen, unvereinbar entgegen. Ich hatte zwar ein wenig Führungserfahrung in der Raumflotte erworben – als Lieutenant war man ja sozusagen »mittlere Managementebene« –, aber die ganze Situation hier hatte wieder einmal ganz andere Dimensionen, da ich plötzlich nicht nur für eine Schiffsbesatzung, sondern für ein ganzes Dorf mit einigen Familien verantwortlich war. Das Elektronengehirn musste daher im Hintergrund diverse Regelwerke zu Personalführung und Ähnlichem durchforsten.

Jetzt war nur noch der Katamaran als einziges Kaperschiff übrig. Dieser musste dann auf der weiteren Fahrt zeigen, was in ihm steckte und konnte seine Geschwindigkeit und vor allem sein Beschleunigungsvermögen voll ausspielen. Schlussendlich hatten wir doch noch die Gelegenheit bekommen, gute Beute zu machen, auch um die Familien der getöteten Piraten versorgen zu können, was ja jetzt die Aufgabe des Kapitäns war.

Nun war ich nicht mehr nur ein einfacher Pirat im sechzehnten Jahrhundert, sondern war sogar zum waschechten Piraten-Kapitän gewählt worden. In was war ich da bloß hineingeraten… 

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