Kapitel 1
Prolog

1 Elektronengehirn | 11 Monate | 1 Testflug

Cyborg, Android, Mensch-Maschine, bionischer Mensch oder offiziell: Hybrid.

Es gab viele Bezeichnungen für jemanden wie mich.

Bei manchen Mitmenschen mochte es Unbehagen auslösen, aber man sah es mir ja nicht an, dass ich ein Hybrid war. Angst vor mir brauchte man aber nicht zu haben. Von außen betrachtet war ich nicht von anderen Menschen zu unterscheiden. Ich hatte keine Kabel aus meinem Kopf oder Körper heraushängen, es blinkten keine bunten Lichter, meine Augen sahen normal aus, ich sprach nicht mit einer metallenen Stimme, ich bewegte mich vollkommen normal, ich atmete, aß, trank, schlief, wenn auch nicht so viel wie ein normaler Mensch.

Auch die seit Langem am Markt verfügbaren und als »humanoid« beworbenen Roboter hatten noch sehr viel Technisches an sich, ich dagegen war auf den ersten und auf den zweiten, dritten, hundertsten Blick nicht als Hybrid zu erkennen.

Weil ich wohl zu wertvoll für die Raumflotte gewesen war, wurde ich nach einem schweren Unfall wieder zusammengeflickt. Etwas mehr als elf Monate hatte ich nun in verschiedenen Krankenhäusern und Forschungsinstituten verbracht und es war endlich der Tag gekommen, an dem ich wieder zur Flotte zurückkehren konnte. Der so genannte »Zweite Interstellare Krieg« war zwar seit Längerem beendet, aber wir flogen noch vereinzelte Einsätze, um die Abrüstung der gegnerischen Flotten überwachen zu können. Ein halbes Jahr Training mit den Implantaten, im Flugsimulator und dann auch im Flugbetrieb war geplant, bevor ich endlich den regulären Flottendienst wieder aufnehmen konnte. Schon nach vier Monaten wurde ich auf meinen alten Stützpunkt versetzt und konnte zumindest wieder im Innendienst eingesetzt werden.

Auf dem Weg zum Büro meines Kommandeurs wurde ich von vielen begrüßt. Die anderen Piloten und auch einige Techniker des Bodenpersonals wahrten zumindest den Anschein und taten so, als ob sie mich vermisst hatten. Natürlich hatte niemand von ihnen mich im Krankenhaus besucht. Das konnte ich ihnen aber auch gar nicht verdenken, denn erstens sah ich mit den diversen Schläuchen und angeschlossenen Geräten nicht sehr ansprechend aus. Zweitens wurden sie durch meinen Anblick nur daran erinnert, dass es auch jeden von ihnen einmal treffen konnte. Raumpilot in einer Kampfeinheit war eben nun einmal ein recht gefährlicher Beruf, auch in den jetzigen, halbwegs stabilen Friedenszeiten. Und drittens hatte ich auch niemanden von ihnen im Krankenhaus besucht – es beruhte also auf Gegenseitigkeit.

Mein Kommandeur gab grünes Licht, und so bestand die Aussicht, nach nur ein paar Wochen Innendienst den ersten Testflug durchführen zu können, vorbehaltlich der Freigabe durch den leitenden Arzt der Medizinstation des Stützpunkts. Es war allerdings strengste Geheimhaltung verordnet worden.

Auch wenn ich äußerlich normal erschien, so war es immer noch sehr schwierig, mein Elektronengehirn unter Kontrolle zu halten. So bezeichnete ich die Ausgabeschnittstelle meines implantierten Hochleistungsrechners mit integrierter umfangreicher Wissensdatenbank. Mein Gehirn, mein Bewusstsein, mein Unterbewusstsein, meine Nervenbahnen, da heißt ich als Mensch musste erst in vielen Trainingsstunden lernen, mit der Technik umzugehen, die jetzt ein untrennbarer Teil von mir war. Der eigentlich vollkommen antiquierte Begriff »Elektronengehirn« bekam mit uns Hybriden – ich war der erste, aber es sollten noch weitere folgen – eine vollkommen neue Bedeutung.

Der korrekte Begriff ist »BCNI«, »Brain Computer Neuro Interface«.

Mein Elektronengehirn wusste vieles – eigentlich alles – besser und redete mir ständig dazwischen. Diese Art von Selbstgespräch war für mich noch immer sehr ungewohnt. Sehr schnell hatte ich auch bemerken müssen, dass ich mit meinem zweiten Ich nicht unbedingt immer einer Meinung war. »Elektronengehirn« klang zwar recht altbacken, aber meiner Meinung nach deutlich menschlicher als so eine kalte technische Abkürzung. Und ich war doch immer noch ein Mensch, zumindest etwas über zwei Drittel von mir.

Nach nur wenigen Tagen war es dann endlich soweit. Nachdem ich auf der Medizinstation noch einmal vollständig durchgecheckt worden war, wozu sogar ein Techniker eigens von der Erde eingeflogen worden war, gab es die Freigabe, den Flugbetrieb wieder aufnehmen zu dürfen. Voller Vorfreude betrat ich das Flugdeck des Stützpunkts und ging mit langsamen Schritten zu dem mir zugeordneten Raumschiff. Natürlich hatten sie mir nicht das neueste Modell anvertraut, falls ich wieder, wie beim letzten Mal, »alles kaputt machen sollte«, wie ein anderer Pilot feixte. Ich kletterte in das Schiff und setzte mich in den Pilotensitz. Endlich war ich nach langer Pause wieder in einem richtigen Cockpit und nicht mehr in einem Simulator. Der Testflug konnte beginnen.

Gleich beim ersten Testflug wurde mir offensichtlich schon so vertraut, dass ich vollkommen ohne Copilot auf die Reise geschickt wurde; nicht einmal einen der recht neuen Pilotenroboter hatte man mir zugeteilt. Mein Chef hatten mir erklärt, sofort die neuen Steuerungsfunktionen erproben zu wollen, die meinem Elektronengehirn direkten Zugriff auf einige Schiffssysteme gestatteten. Besonders bei schwierigen Manövern, bei welchen der Pilot schnellstmöglich reagieren musste, erhoffte sich die Raumflotte davon einige Vorteile. All’ dies hatte ich zwar im Flugsimulator intensiv geübt, aber der Simulator war noch nicht wirklich auf die Steuerung durch einen Hybriden eingerichtet, da ich ja bekanntlich der erste auf diese Weise umgebaute Mensch war. Der ausgewählte Kurs sollte mich vom Stützpunkt zum Asteroidengürtel hinter die Marsumlaufbahn führen, um dort dann mehrere Flugmanöver in dichten und weniger dichten Asteroidenfeldern zu absolvieren. Diese Übungen sollte dazu dienen, meine Reaktionen und die Reaktionen des Elektronengehirns im Zusammenspiel mit der Schiffssteuerung zu testen.

Etwa eine halbe Stunde nach Verlassen des Stützpunkts hatte ich aber erst einmal Pause, da vorgesehen war, dass nun der Autopilot zum Zuge kommen sollte. Am laut Flugplan vorgesehenen Zeitpunkt ließ ich die entsprechende Steuerungsfunktion des Schiffs durch das Elektronengehirn ausführen. Der Autopilot übernahm jetzt zusammen mit dem Elektronengehirn vollständig die Steuerung und ich konnte mich entspannt im Pilotensitz zurücklehnen.

Dann wurde mir plötzlich schwarz vor Augen. So etwas war eigentlich unmöglich. Ein Hybrid konnte doch gar nicht ohnmächtig werden, hatte man mir in einer Klinik erzählt… 

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