Kapitel 2
Auf der Reise

Auf der Fahrt sagte Antonia plötzlich: »Nun bin ich also richtig auf der Flucht – wie im Film.« 

Ich legte eine Hand auf ihren Oberschenkel.

»Du bist aber nicht alleine«, ergänzte ich.

Sie legte ihre Hand auf meine.

»Zum Thema ›alleine‹: Hast du eigentlich eine Frau oder Freundin?« 

»Je länger ich nachdenke, desto muss ich feststellen: Ich habe keine Ahnung, ob und in welcher Form ich jemals überhaupt mit einer Frau zusammen gewesen bin. Zumindest in meiner Wohnung habe ich keine Frauenkleidung und keine frauenspezifischen Körperpflegeartikel gesehen.« 

»Frauenspezifisch, das hört sich aber furchtbar technisch an«, stellte Antonia fest.

Wir lachten und ich freute mich, dass die trotz allem recht gelöst daherkam.

Die weitere Fahrt verlief außer einem längeren Gewitterschauer mit Starkregen ereignislos und wir kamen kurz nach Sonnenaufgang am Ziel an.

Jetzt im beginnenden Frühsommer außerhalb jeglicher Schulferien waren die Campingplätze noch nicht vollständig ausgebucht. Wir hatten uns schöne Plätze im Voralpenland in der Nähe mehrerer großer Seen und weit entfernt von großen Städten ausgesucht. Die Kombination aus Mobilfunkloch wegen eines benachbarten recht hohen Bergrückens und Standort schien vielversprechend. Der erste in Frage gekommene Platz wurde von einem Mann namens Harald Hofer betrieben, und das klang mir zu sehr nach Firma. Der zweite Platz schien dann auch meiner Mitfahrerin zu gefallen und lag außerdem direkt an einem See.

Antonia meinte, als sie die Umgebung in Augenschein nahm: »Schön hier! Und die schneebedeckten Berge im Hintergrund.« 

»Wenn wir schon irgendwie auf der Flucht sind«, sagte ich, »dann aber bitte schon mit Stil.« 

Wieder lachte sie. Ich war froh, sie wenigstens ein bisschen aufheitern zu können.

Schnell war das Wohnmobil auf dem uns zugewiesenen Stellplatz abgestellt und mit der Stromversorgung des Campingplatzes verbunden worden.

Anschließend machten wir uns auf einen kleinen Erkundungsspaziergang. Zum Platz gehörte ein eigenes Stück Strand und wir setzten uns dort auf eine Bank, schauten auf den See und beobachteten eine kleine Entengruppe. Nach und nach erwachte der Campingplatz zum Leben und die ganz hartgesottenen Schwimmer zogen bereits ihre ersten Bahnen im See.

Dies war eine willkommene Entspannung nach der ganzen Hektik, der Firma zu entkommen. Antonia kuschelte sich an mich. Obwohl sie gar nicht unattraktiv daherkam, die recht traurig aussehenden Augen einmal davon ausgenommen, verspürte ich nur wenig.

»Danke, dass du mir hilfst«, hauchte sie mir ins Ohr, gefolgt von einem überraschenden »küss’ mich!« 

Jeder normal tickende Mann hätte hier etwas verspüren müssen, ich jedoch nicht.

Hier war etwas ganz und gar nicht korrekt, und ich hatte die Befürchtung, dass das Ganze mit meiner Tätigkeit als »Geheimagent« oder Ähnlichen zu tun haben musste.

»Toni, ich habe ein Problem. Du bist wirklich eine hübsche Frau – und nimm das jetzt bitte nicht persönlich –, aber du löst in mir irgendwie nichts aus, nicht einmal das übliche komische Gefühl in Bauch, als du ›küss’ mich‹ gesagt hast. Ich habe auch keine Ahnung, ob auch Sex dann womöglich in mir etwas unerwartete Folgen haben könnte.« 

Ich hatte meine »Umprogrammierung« noch nicht einmal ansatzweise durchdrungen; Zärtlichkeiten oder gar Sex hatte ich bisher auch noch überhaupt nicht auf dem Radar.

»Alles klar, dann langsam.«, sagte sie. »Ich nehme dich auch so, wie du derzeit bist.« 

Sie gab mir dann einen leichten Kuss auf die Wange.

»Danke, ich weiß ja selber nicht, wer ich wirklich bin und was genau mit mir geschehen ist oder vielmehr: was die Firma mit mir gemacht hat.« 

So saßen wir auf der Bank, bis sich die durchwachte Nacht bemerkbar machte und wir beschlossen, zum Wohnmobil zurückzugehen und etwas Schlaf nachzuholen.

So schliefen wir, von einem kurzen »Boxenstopp« eines kleinen Abendessens abgesehen, fast bis zum nächsten Morgen durch. Ich fühlte mich aber irgendwie erholt und auch meine Kopfschmerzen ließen immer mehr nach.

Beim Frühstück fragte Antonia dann: »Hier sind wir wohl erst einmal sicher. Wie geht es jetzt weiter?« 

»Abgesehen davon, dass wir jederzeit für einen Alarmstart vorbereitet sein sollten…« 

»›Alarmstart‹ gefällt mir wirklich gut.« 

»Also abgesehen davon müssen wir natürlich all’ die vielen Unterlagen aus dem Notizbuch und von dir auswerten.« 

»Zunächst einmal würde ich aber den Campingplatz und die nähere Umgebung erkunden.« 

»Alles klar, fangen wir damit an.« 

Direkt am See gelegen befand sich ein dem Campingplatz zugehöriger Biergarten, der sogar recht gute Bewertungen auf den einschlägigen Internetportalen bekommen hatte. Der Campingplatz besaß außerdem eine Art kleinen Waschsalon mit Waschmaschinen und Wäschetrocknern, die vor allem ich ausgiebig nutzen wollte, da ich ja bei meinem überstürzten Aufbruch fast überhaupt keine Kleidung mitgenommen hatte und mir daher erste einmal wieder einen gewissen Grundbestand zulegen musste. An den Waschsalon angeschlossen gab es das Büro des Betreibers mit einem danebenliegenden kleinen Laden nebst Fahrradverleih. Ich wusste gar nicht, ob ich überhaupt Fahrrad fahren konnte, da man dies angeblich nie verlernt, aber ich war ja auch irgendwie ein gehirnmanipulierter Geheimagent. Im Laden konnte man für jeden Tag außer Sonn- und Feiertagen frische Brötchen bestellen, was wir gleich für die ganze Woche taten.

Vor dem Laden gab es einen dieser, wie Antonia mir erklärte, neumodischen »Lebensmittelautomaten«, in dem die örtlichen Landwirte rund um die Uhr Gemüse, Eier, Nudeln, Wurst und noch viel mehr anboten. Der Inhalt sah sehr vielversprechend aus und wir beschlossen, auf jeden Fall auf dieses Angebot zurückgreifen zu wollen. Flugs hatte ich mir noch eine kleine Broschüre mit den örtlichen Rad- und Wanderwegen sowie ein kleines Faltblatt mit dem Busfahrplan der am Campingplatz vorbeiführenden Linie eingesteckt. Mit dem Wohnmobil war man ja mobilitätsmäßig etwas eingeschränkt, ich wollte aber demnächst unbedingt in den nächsten Ort fahren, um mich mit Kleidung einzudecken.

Auch Antonia meinte, dass sie vor allem zunächst etwas Wanderausrüstung benötigte, vor allem Schuhe, um nicht gleich am ersten Tag mit großen Blasen an den Füßen erst einmal außer Gefecht gesetzt zu werden.

Das weitere taktische Vorgehen war anschließend schnell besprochen. Zunächst einmal wollten wir Antonias und meine Rechercheergebnisse elektronisch zusammenführen. Der Campingplatz lag zwar in einem Mobilfunkloch, aber es wurde wahrscheinlich gerade deswegen dort ein WLAN mit mehr als ausreichender Bandbreite angeboten.

Aus einer Plastiktüte nahm ich ein Mobiltelefon und eine SIM-Karte und steckte die Karte in das Telefon. Nach dem Einschalten meldete sich überraschend ein spanischer Mobilfunkprovider und alles schien normal zu funktionieren. Wo immer auch die spanische Karte herkam, hatte der Mann im Straßburger Laden mir doch zumindest ein funktionierendes Exemplar mitgegeben. Dann tauchte ich in die Tiefen des Internets ab und installierte einige halblegale Sicherheitskomponenten.

All’ das ging mir ganz leicht von der Hand. Ich war offenbar tatsächlich eine Art IT-Experte und konnte zumindest Französisch nicht nur fließend, sondern sogar verhandlungssicher sprechen, wie ich in dem Elektronikgeschäft in Straßburg erfahren musste. Auch konnte auch recht große Gefährte wie das Wohnmobil, ich hatte nicht das kleinste Modell gewählt, sicher durch die Gegend steuern. Dagegen hatte ich aber eine Art »Sex-Sperre« eingeimpft bekommen, was in mir eine leicht Panik aufsteigen ließ. Ich konnte zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt nicht überblicken, was noch alles so in mir schlummerte.

Ich überreichte Antonia das Telefon mit den Worten »das ist jetzt deines«.

»Kann man die ganzen Mobilgeräte nicht zurückverfolgen?«, wollte sie wissen.

»Nicht, wenn man einen IMEI-Spoofer und einen MAC-Spoofer einsetzt.« 

»Einen Spoo…was?« 

»Eine IMEI ist eine eindeutige Gerätenummer eines Mobilgeräts und eine MAC-Adresse wird an eine eindeutige Netzwerkschnittstelle vergeben, was auch für mobile Netze gilt. Weil damit eindeutig die Netzwerkkommunikation einem Gerät zugeordnet werden kann, habe ich diese Werte durch eine spezielle Software verändert. Dein Telefon spielt jetzt zum Beispiel einen Blackberry aus dem Jahr 2005.« 

Antonia wurde wieder einmal bleich.

»Ich habe das alles noch nie gemacht«, stellte sie fest. »Meinst du, die Firma hatte mich ständig auf dem Schirm?« 

»Leider muss man wohl davon ausgehen, dass sie auch Angehörige von Agenten überwachen. Oder kurz ausgedrückt: Ja!« 

»Jetzt weiß ich auch, warum du so scharf auf das Mobilfunkloch warst.« 

Es musste pures Glück gewesen sein, sie darauf hinzuweisen, ihr Telefon auszuschalten und in ihrer Wohnung zu belassen. Somit sind wir dann heil aus ihrer Wohnung herausgekommen, ohne dass die Firma uns gleich nachstellte.

»Wie machen wir jetzt weiter?«, fragte sie.

»Auf keinen Fall das Standardprozessverhalten, dass ein OA anzuwenden hat, wenn es um das Verstecken oder Fliehen geht.« 

»Dafür gibt es Standardprozesse?« 

»Soweit ich mich erinnern kann, habe ich die Firma als ziemlich bürokratisch empfunden. Da gab es überall etwas zu regeln.« 

Keinen Standardprozess gab es für den Kauf von Wanderkleidung, und so fuhren wir am übernächsten Tag mit dem Linienbus in den nächsten Ort, da ich dort im Internet ein kleines Einkaufszentrum, neudeutsch »Outlet-Center« genannt, mit unter anderem einem Wanderausrüstungsgeschäft entdeckt hatte.

Das Wanderausrüstungsgeschäft war größer als ich gedacht hatte. Jetzt am Anfang der Saison gab es viele Sonderangebote, denn üblicherweise mussten die Geschäfte noch den Bestand der Vorjahressaison abbauen. Auf diese Sonderangebote brauchte ich eigentlich keine Rücksicht nehmen, ich hatte ja genug Geld in der Hinterhand. Leider sagten mir die Farben der aktuellen Saison nicht wirklich zu, so dass ich doch auf den Vorjahresbestand zurückgreifen musste.

Vorher hatte ich mit Antonia noch einige Vorsichtsmaßnahmen vereinbart, da ich immer noch nicht genau wusste, welche von Antonias Aktivitäten was in mir auslösen konnte. Zumindest das Eintreten der »Sex-Sperre« mussten wir auf jeden Fall vermeiden, daher hatte ich beschlossen, Antonia nicht halb bekleidet in einer Umkleidekabine sehen zu wollen, sie musste daher alleine zurecht kommen. Mitten in einem Geschäft konnten wir so etwas gar nicht gebrauchen, womöglich würde vielleicht noch der Notarzt gerufen und wir bewegten uns wieder in den Aufmerksamsbereich der Firma.

Das Anprobieren verlief aber ohne Zwischenfälle und wir hatten bald einen ansehnlichen Kleidungsberg angehäuft.

Antonia bestand dann noch darauf, zusätzlich auch noch gefütterte Jacken zu kaufen.

»Du siehst hier doch auch immer die schneebedeckten Berge?«, meinte sie. »Bei mir im Flachland gibt es nur alle paar Jahre ’mal ordentlich Schnee. Ich war noch nie auf einem Berggipfel im Schnee.« 

»Also gut, dann auch noch dicke Jacken dazu.« 

Recht schnell hatten wir dann nach dem Bezahlen unsere ebenfalls neu beschafften Rucksäcke mit Wanderhosen, Wanderschuhen, Sonnenhüten undsoweiter gefüllt.

Im benachbarten »normalen« Kleidungsgeschäft stockten wir anschließend auch noch unseren Bestand an Unterwäsche und T-Shirts auf.

Mit vollen Rucksäcken und vielen Tragetaschen in den Händen betraten wir den Bus zurück zum Campingplatz.

»Da müsst ihr ja fast noch extra für’s Gepäck bezahlen«, witzelte der Busfahrer.

Antonia bestätigte: »Leider konnten wir bei den vielen Angeboten in Outlet nicht widerstehen.« 

Zurück auf dem Campingplatz belegten wir gleich einmal drei Viertel aller Waschmaschinen und Trockner, waren danach aber für die folgenden Tage gerüstet.

Den Rest der alten Kleidung stopften wir in einen Müllcontainer, ich war mir nicht sicher, ob die Firma nicht doch irgendwelche Wanzen hat einnähen lassen.

Antonia amüsierte sich darüber, dass ich offenbar kein Fahrrad fahren konnte. Dennoch hatte sie mit relativ ernstem Gesicht und einer gar nicht so unwahren Geschichte, dass ich von einer Leiter gefallen war, mir den Kopf dabei angeschlagen hatte und wir daher nicht wussten, ob mein Gleichgewicht dadurch beeinträchtigt war, von unseren Platznachbarn deren ältestes Fahrrad für eine kurze Testfahrt ausgeliehen.

Sie wollte uns die Peinlichkeit ersparen, dass ich gleich auf den ersten Metern nach der Ausleihe mit dem Fahrrad umfalle. Die Testfahrt verlief aber problemlos, ohne umgefallen oder in eine Hecke gefahren zu sein. Somit konnten wir tatsächlich einmal die Fahrradausleihe angehen.

Weiterhin vermied ich direkten Körperkontakt mit Antonia, aber ich nahm mir vor, die »Sex-Sperre« noch einmal unter kontrollierten Laborbedingungen, wie es so schön hieß, ausprobieren zu wollen. Um sie nicht zu beunruhigen, erzählte ich ihr aber nichts davon. Sie hatte sich wohl mit der Situation arrangiert, zwar mit einem Mann zusammen zu sein, aber tatsächlich nur zusammen zu sein und sonst nichts.

Das Wetter wurde in den nächsten Tagen immer besser und es entwickelte sich ein recht warmer, fast schon zu heißer Frühsommer. Ich hatte die richtige Gegend ausgesucht, denn um uns nicht ständig mit der Firma zu befassen, machten wir viele Ausflüge und nutzten ausgiebig die vom Campingplatz angebotenen Mietfahrräder. Antonia war noch nie in der Nähe der Alpen gewesen, hier gefiel es ihr wirklich.

Auch im Wohnmobil wurde es immer wärmer, da ich die eingebaute Klimaanlage nicht ständig laufen lassen wollte. Nicht vollkommen überraschend war dann, dass Antonia ab einer gewissen Temperatur nur noch in knappen Boxershorts und Bikinioberteil umher lief; sie hatte tatsächlich einen Bikini mitgenommen. Es beunruhigte mich sehr, dass ihr Anblick weiterhin nur wenig in mir auslöste, obwohl man nicht viel Fantasie brauchte, sich vorzustellen, wie es unter diesen Kleidungsstücken aussehen musste.

Daher ließ ich den Abgleich zwischen Antonias und meinen Daten erst einmal liegen und wandte mich einem anderen Thema zu. Aus dem Internet besorgte ich mir alle verfügbaren Informationen zu NLP, Gehirnwäsche, Hypnose, »Umdrehen« von Geheimagenten und verwandten Themen. Besonders lange blieb ich an der Beschreibung hängen, dass es Auslöser für einen Wechsel zwischen »Zuständen« gab, wie wahrscheinlich der Schlag auf den Kopf, als ich von der Leiter gefallen war. Je mehr Informationen ich mir aneignete, desto beunruhigender fand ich es, dass ich ja eigentlich gar nicht genau wusste, was genau diese Auslöser bei mir waren. In Antonias und meinen Unterlagen hatten wir bisher nichts dazu gefunden.

Antonia ging zur Küchenzeile und kam mit einem Pfannenwender und einem Kochlöffel in der Hand zurück.

»Ich kann dir ja testweise hiermit leicht auf den Kopf schlagen.« 

Ihren Vorschlag lehnte ich lachend ab.

Ich wurde sofort wieder ernst, reichte ihr den Elektroschocker und ein Bündel Kabelbinder.

Sie legte die Küchenutensilien auf den Tisch und nahm Waffe und Kabelbinder mit einem eher widerwilligen Gesichtsausdruck entgegen.

»Hör’ mir zu: wenn ich mich plötzlich verändere, komisch verhalte, anders verhalte, auf dich losgehen will, dann musst du mich sofort stoppen und ruhig stellen!« 

Sie schaute mich mit großen, immer feuchter werdenden Augen an, sagte aber nichts.

»Toni, versprochen?«, bohrte ich nach.

Immer noch schaute sie mich nur an.

»Es kann auch für dich gefährlich werden! Wer weiß, was für ein Monster ich bin. Versprochen?« 

»Also gut: versprochen!«, schluchzte sie. »Und du bist kein Monster!« 

Da war ich mir aber nicht so sicher, sagte es aber nicht laut. Wer weiß, vielleicht war ich neben meiner Spionagetätigkeit ein brutaler Auftragskiller. Oder eine Art James Bond, ein Spion mit der Lizenz zum Töten. Oder ich war der Mann für’s sehr Grobe, getarnt als Industriespion.

Ich sah Antonia zwar jetzt nicht in direkter Gefahr, aber wir mussten unbedingt herausfinden, wer und was ich war und zu was ich fähig sein konnte.

In den folgenden Tagen nahm das Zusammenführen der von Antonia und mir gesammelten Informationen Formen an. Im Internet hatte ich eine Art Designsoftware entdeckt, mit der man Informationen und deren Beziehungen untereinander grafisch darstellen konnte. Diese war im Prinzip das elektronische Pendant zu Antonias Pinwand mit den Wollfäden. Da diese Software nach gewissen Regeln und Schlagworten auch Verbindungen automatisch herstellen konnte, taten sich auf diese Weise uns noch unbekannte neue Zusammenhänge auf.

»Das ist total irre, ich hätte nie gedacht, dass ich ’mal soweit komme!«, rief Antonia.

Auch fanden wir vertraute Gesichter wieder.

Antonia zeigte auf ein Foto und stellte fest: »Das ist der Mann von der Blogger-Veranstaltung!« 

»Der, der die Sicherheitsleute hergerufen hatte?« 

»Genau der!« 

Nun hatten wir erst recht die Gewissheit, dass diese obskure Veranstaltung etwas mit der Firma zu tun haben musste.

»Ist das nach dem Motto ›Lade deine Feinde zu dir ein.‹?«, fragte Antonia. »Das könnte fast vom alten Konfuzius stammen.« 

»Deswegen gab es wohl auch die Freikarten.« 

Sie frage erstaunt: »Freikarten? Also ich musste bezahlen.« 

»Doch, es standen ein paar Leute irgendeines Internetdienstes vor dem Eingang und haben Freikarten verteilt. Aber so konnte die Firma auch gleich ein paar Feinde kaltstellen.« 

Recherchen auf ein paar Social-Media-Seiten zeigten, dass sich viele über die Veranstaltung beschwert hatten, vor allem die Vorträge waren als »sehr öde« und »ohne Nährwert« eingestuft worden. Generell bekam die Veranstaltung eine sehr schlechte Bewertung, es ging also nicht nur uns so. Auch der Eklat beim Vortrag von Nina Necker wurde sehr negativ bewertet. Es herrschte die Ansicht, dass es zwar eine Art von privater Veranstaltung war, dennoch aber Meinungsfreiheit herrschen sollte.

Endlich schien es eine Art Anhaltspunkt zu geben, wie wir weiter in der Recherche vorgehen konnten, um mehr über die Firma zu erfahren. Nur mit der Suche nach Antonias Bruder oder weiteren Informationen zu mir alleine kamen wir nämlich nicht wirklich voran. Leider zeigte sich die Firma aus gutem Grund sehr im Hintergrund, so dass sie in der Öffentlichkeit nicht wirklich präsent war. Auch war die Blogger-Veranstaltung von einem »Verein« verantwortet worden, für den wir aber keine Verbindung zur Firma herausfinden konnten.

Daher wollten wir uns auf die noch nicht überprüften SD-Karten konzentrieren, damit die Software, die grafische Zusammenhänge herstellen konnte, noch mehr »Futter« bekommen konnte.

Eines Abends geschah etwas Merkwürdiges, denn ich fand mich plötzlich auf dem Fußboden wieder und konnte mich nicht daran erinnern, wie ich dort hingekommen war.

Antonia stand über mich gebeugt und ich fragte: »Hast du mich etwa tasern müssen?« 

»Nein, du bist von selbst umgefallen.« 

»Ich kann mir schon vorstellen, wie das gelaufen ist. Die eine Seite des Gehirns meint: die Frau dir gegenüber ist äußerst attraktiv, die andere Seite meint aber dann: gehe in den Verteidigungsmodus und schalte ab.« 

Sollte das wirklich die Sex-Sperre gewesen sein, so fand ich mein Verhalten erschreckend und wir mussten vorsichtig sein. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, auf welche Art von Auslösern ich noch reagierte. Zumindest den Anblick leichtbekleideter Frauen am Seestrand schien ich einigermaßen zu verkraften. Ich gab Antonia eine weitere Verhaltensregel auf den Weg.

»Bitte umarme oder gar küsse mich nicht in der Öffentlichkeit, ich befürchte, dass ich dann wieder umfalle oder so«, bat ich sie.

Bei ihr hatte sich der Schrecken wieder gelegt und sie nickte zustimmend.

»Aber sonst spielen wir weiter das glückliche Paar, das mit dem Wohnmobil in den Urlaub gefahren ist.« 

Sie schaute mich an und meinte: »Nicht spielen, Ben. Ich muss das glückliche Paar nicht spielen. Ganz im Gegenteil. Glaub’ mir.« 

Auch wenn sie es etwas umständlich ausgedrückt hatte, so gab sie mir damit doch zu verstehen, dass sie mir durchaus zugeneigt war. Wahrscheinlich hatte sie die Formulierung so gewählt, um nicht wieder die Sex-Sperre auszulösen, denn ich verspürte keine Reaktion.

Einen gleichen Aussetzer wie nach nur ansatzweisem Sex hatte ich schon einen Tag später, nachdem ich eine nicht unerhebliche Menge Alkohol zu mir genommen hatte. Erneut versetzte ich Antonia in Angst und Schrecken. Sie befürchtete, dass es mich »umdrehte«, ich mich nicht an sie erinnern konnte und ich wieder der Agent wurde, der ich vor meinem Sturz von der Leiter gewesen war – oder Schlimmeres, wie dass ich sie gleich der Firma auslieferte. Was sich wohl noch alles in mir versteckte, von dem ich nichts wusste? Ich musste der Firma ja eingestehen, dass sie eine Art Vorsorge treffen musste, damit Agenten beim Sex oder unter Alkoholeinfluss nichts ausplaudern, aber musste man einen Agenten gleich komplett »abschalten«?

Somit war jeglicher Alkohol auch erst einmal bis auf weiteres gestrichen. Ich beschloss daher, die Prioritäten zu ändern, musste ich doch vor allem meine Sex-Sperre oder sonstige vorhandene Sperren zunächst einmal weiter erforschen.

»Sex und Alkohol sind also verboten, also alles, was irgendwie Spaß machen könnte«, wie Antonia sarkastisch bemerkte.

»Ein Agent soll sich halt auf seine Arbeit konzentrieren – und nur auf seine Arbeit.« 

Sie ergänzte: »Das könnte man doch eigentlich mit Vorschriften regeln. Wie du schon angedeutet hattest, gibt es bei der Firma eine ausreichende Anzahl davon.« 

»Wahrscheinlich reicht es aber nicht und die Firma muss auf ›Nummer Sicher‹ gehen.« 

Auf die Wandertouren nahmen wir sowieso nur Mineralwasser mit, insofern war mir es gleichgültig. In Biergärten bevorzugte ich außerdem immer ein großes Glas Spezi.

Rein zufällig hatten wir ein sehr schönes Wandergebiet mit vielen abwechslungsreichen Touren gewählt, und so konnten wir unsere neu beschaffte Ausrüstung gleich ausgiebig nutzen. Die Wanderungen verwendeten wir zum Besprechen unseres weiteren Vorgehens, wie ich von einem »umgedrehten« Spezialagenten wieder zu einem normalen Menschen werden konnte und wie wir Antonias Bruder wiederfinden wollten. Ein interessanter Nebeneffekt der Wanderungen war, dass sich bei mir eine hervorragende Kondition herauskristallisierte – wie es sich für einen Super-Spezialagenten wie mich wahrscheinlich auch gehörte.

Nun war laut der Anzeige am Sanitärgebäude das Wasser im See so warm geworden, dass Schwimmen im See möglich war, ohne sich gleich einen Hypothermie-Schock zu holen. Ich als »beinhart zäher Agent« (Antonia brach daraufhin in einen Lachkrampf aus) hatte mich bereit erklärt, den See zu testen. Die Wassertemperatur war gar nicht so unangenehm, nur ab und zu kam ich mit dem Beinen in etwas kühlere Zonen. Wie ich feststellen musste, war ich zu sehr ausdauerndem Kraulen fähig, eine überraschend aufgetauchte Superagenten-Fähigkeit?

Ich erzählte Antonia davon: »Nachher bin ich noch ein Triathlon-Meister – ausdauernd Fahrrad fahren kann ich ja offenbar auch – oder kann ein Raumschiff auseinander- und wieder zusammenbauen.« 

Sie lachte wieder, ich hatte sie lange nicht mehr so fröhlich erlebt.

An einem der nächsten Tage hatten wir uns dann etwas vorgenommen, was Antonia restlos begeisterte. Wir fuhren gleich mit der ersten Seilbahn des Tages auf einen Berg hinauf und machten dort eine kleine Schneewanderung, auch die obligatorische Schneeballschlacht durfte nicht fehlen. Ein paar hundert Höhenmeter tiefer badeten wir anschließend am Nachmittag im See. Genau für so eine Kombination hatte ich diese Gegend auch ausgewählt.

Aber auch unsere eigentlichen Aufgaben ließen wir nicht aus den Augen. Weiterhin waren wir dabei, die Unterlagen systematisch durchzuarbeiten, Antonia eine Hälfte, ich die andere. Ich stieß dann auf etwas, was die Firma einen »Zauberspruch« nannte. Hierbei handelte es sich um etwas, das bei Agenten Verhaltensweisen und auch Sperren einrichten und aufheben konnte, in der Wirkung in etwa eben wie ein Zauberspruch.

Nachdem Antonia auch bald den passenden Zauberspruch zum Setzen oder Aufheben der »Sex-Sperre« gefunden hatte, schlug sie vor, diesen einmal auszuprobieren.

»Können wir nicht erst mit dem für die Alkoholsperre anfangen, den habe ich nämlich auch gefunden?«, schlug ich vor.

»Aber da musst du dich dann erst einmal betrinken, das andere kann ich nämlich viel einfacher testen«, entgegnete sie und streckte ihren Oberkörper vor.

Prompt löste es in mir ein recht flaues Gefühl im Magen aus, und das hatte nichts mit Antonias kaum durch das Bikinioberteil verdeckten Oberkörper zu tun. Es war die Tatsache, dass der Agent für diese Prozedur an einen Stuhl gefesselt und auch noch geknebelt sein musste.

»Hoffentlich geht es gut«, meinte ich. »Den Karosseriedachschaden beult dann auch keine Fachwerkstatt wieder aus.« 

»Ich mag deine blumige Sprache.« 

»Ich auch. Wobei ich gar nicht wusste, dass ich zu so etwas fähig bin.« 

Mit einem zufällig in einem Staufach des Wohnmobils gefundenen Kletterseil fesselte sie mich an den Beifahrersitz und steckte mir ein – immerhin sauberes – Küchentuch in den Mund. Sie nahm mein Notebook und stellte es auf die Mittelkonsole, da sie auf jeden Fall die wortwörtliche Formulierung ablesen musste, um mich nicht in eine Echse oder einen Gartenzwerg oder anderes zu verwandeln.

»Es geht los«, sagte sie und nahm zur Sicherheit die Elektroschockwaffe in die Hand.

»Ich hoffe, ich habe danach nicht den Kopf wie ein Musterhaus.« 

»Wie ein Musterhaus?« 

»Von außen hübsch anzusehen, aber innen nichts angeschlossen und verkabelt.« 

»Du und deine Sprüche!« 

»Wir sehen uns dann auf der anderen Seite, Doctor Venkman.« 

»Du kannst hier noch so viele Filmzitate bringen, ich will das jetzt durchziehen!« 

»Ist ja gut.« 

Sie versuchte es noch mit »noch hast du die letzte Chance…« 

»Nein. Auf geht’s!«, unterbrach ich sie.

Antonia steckte mir den Knebel in den Mund und band ihn an meinen Ohren fest. Sie nahm das Notebook zu sich, um ihn wortwörtlich ablesen zu können, und begann mit dem Zauberspruch.

Die langsam gesprochenen Worte lösten erst einen mittelschweren Kopfschmerz (und ich war doch gerade erst die Kopfschmerzen des Leitersturzes los…), dann ein unkontrolliertes Zucken und anschließend einen Schreikrampf aus. Nicht ohne Grund bestanden die Anweisungen der Firma also auf Fesseln und Knebeln. Anschließend ging mir sozusagen »das Licht aus«.

Nach ein paar Minuten war alles vorüber, ich kam wieder zu mir und sank erschöpft zusammen.

Vorsichtig öffnete ich die Augen. Ich konnte eine etwas unscharfe Antonia erkennen, die mit einer auf mich gerichteten Waffe vor mir stand.

Ich schaute sie an und sie ließ die Waffe erst einmal langsam sinken. Sie nahm mir den Knebel aus meinen Mund und ich musste erst einmal tief durchatmen.

Sofort richtete sie die Waffe wieder auf mich.

»Ben, bist du es?« 

»Ja. Toni, ich glaube, ich bin noch der Alte und am Stück.« 

»Spürst du irgendetwas?« 

»Nur wieder abnehmendes Kopfweh und ein paar Stellen, an denen das Seil zu arg geschnürt hatte. Du kannst mich wieder losbinden. Nun ist es wohl an der Zeit, die Wirksamkeit des Zauberspruchs in der Praxis auszuprobieren.« 

»Tut mir leid wegen den Fesseln, aber ich wollte kein Risiko eingehen. Ich lasse den Taser daher auch griffbereit«, meinte sie.

»Ja, das würde ich an deiner Stelle auch tun.« 

»So funktionierten also die Zaubersprüche. Das ist mir unheimlich, sehr unheimlich.« 

»Wie du jetzt am lebenden Beispiel vorgeführt bekommt hast, ist die Firma wirklich nicht zu unterschätzen. Denn wer zu so etwas fähig ist…« 

»Ich weiß.« 

Nachdem sie mich losgebunden hatte, setzte ich mich auf die Küchensitzbank. Sie setzte sich auf meinen Schoß und schlang ihre Arme um meinen Hals.

»›Versuch macht kluch‹, wie es so schön heißt. Küss’ mich«, hauchte sie.

Sie beugte sich zu mir. Der lange Kuss hatte keine negativen Auswirkungen, ganz im Gegenteil.

»Ben, ich zünde ’mal die nächste Stufe!« 

Sie zog ihr Bikinioberteil aus.

Ich konnte weiterhin nicht Negatives spüren. Auch ich zündete daher die nächste Stufe und ich legte ebenfalls meine Arme um sie.

Sie stand auf und zog mich hoch. Zügig wechselten wir in den Schlafbereich.

»Nicht so laut«, schlug sie noch vor, »so ein Wohnmobil ist etwas hellhörig.« 

Vollkommen durchgeschwitzt musste sie danach feststellen: »Ich glaube, du warst sexuell schon ganz schön ausgehungert.« 

»So blöd es klingt, aber ich kann mich wirklich nicht mehr daran erinnern, überhaupt schon einmal Sex gehabt zu haben.« 

»So etwas würde einen Agenten auch nur von seiner Arbeit ablenken.« 

Wir beschlossen, den Schweiß erst einmal durch ein wenig Schwimmen im See abzuspülen. Zu meinem großen Bedauern musste Antonia sich dazu wieder ihren Bikini anziehen, da es an diesem See keinen FKK-Bereich gab.

Frisch gespült wandten wir uns danach wieder der Aufgabe zu, mehr über die Firma zu erfahren.

Beim weiteren Durchforsten der Unterlagen tat sich dann eine Möglichkeit auf, die Ortungschips von Agenten anzuzapfen.

»Wird das nicht protokolliert?«, fragte Antonia.

»Oh ganz bestimmt, aber ich lasse es so aussehen, als ob die Abfrage von einer Außenstelle der Firma kommt und ich nehme einen ›Heimlich-Benutzer‹.« 

»Einen was-Benutzer?« 

»So nennt laut Unterlagen die Firma bestimmte Arten von Systembenutzern, deren Aktivitäten nicht protokolliert werden. Das habe ich unter anderem erfunden, als ich ein paar Dokumente durchgegangen bin.« 

»Als ob es in der Firma nicht noch heimlicher ginge…« 

Ich musste wieder lachen.

Auf einer SD-Karte war sogar die passende Software enthalten. Nachdem ich auf meinem Notebook eine virtuelle Maschine eingerichtet und die Software dort installiert hatte, startete ich sie und gab ihr eine über mehrere ausländische Knoten verlaufende Internetverbindung.

Das Ergebnis war erstaunlich. Weltweit waren bunte Punkte zu sehen, die sich auch teilweise bewegten.

»Sind das alles Agenten?«, fragte Antonia.

Ich vergrößerte die Ansicht, so dass ganz Deutschland zu sehen war. Jedem Punkt war eine Art Sprechblase zugeordnet, die sich mit bewegte. Ich zeigte auf eine Sprechblase.

»Ja, hier siehst du die Identifizierungsnummern der Ortungschips und dort die dazugehörigen Agentennummern.« 

Ich vergrößerte weiter, so dass das weitere Umfeld des Sees zu sehen war, an dem wir uns gerade auf dem Campingplatz befanden.

»Das sind ja alles Tausender- und Dreitausender-Nummern!«, rief Antonia.

In den Aufzeichnungen im Notizbuch war auch die Systematik der Agentennummen enthalten. Tausendernummern waren Sonderagenten. Den Zweitausender-Nummernkreis besaßen in der Industriespionage – wohl eher Industriesabotage – eingesetzte OA. Dreitausender-Nummern waren Agentenüberwachern zugeordnet.

Ich bestätigte: »Ja, da haben sie alles an Sonderagenten und Überwachern geschickt, was Beine hat.« 

»Was haben sie geschickt? Etwa, um uns zu suchen? Und wo sind wir?« 

»Ja, sie sind uns auf der Spur. Wir sind hier.« 

Ich zeigte ihr auf die Stelle auf der Landkarte. Wieder einmal wurde Antonia bleich.

»Die haben uns ja fast eingekreist!« 

Tatsächlich durchsuchten viele Agenten systematisch den größten roten Funklochbereich. Leider befand sich der Campingplatz fast genau in der Mitte des roten Bereichs, und die OA kamen langsam, aber stetig immer näher. Nun spürte auch ich, dass ich bleich wurde. Die Finte mit dem Ortungschip, der nach Paris fuhr, hatten sie offensichtlich recht schnell entlarvt.

»Ich sehe es jetzt auch, wir sollten hier daher schnellstmöglich verschwinden«, musste ich feststellen. »Wie sie uns gefunden haben, ist jetzt erst einmal zweitrangig. Wie gut, dass wir auf den ›Alarmstart‹ vorbereitet sind.« 

»Also haben sie uns beobachtet, wie wir von der Bloggerveranstaltung abgehauen sind. Bestimmt ist es das Wohnmobil, das müssen wir schnellstens loswerden.« 

»War wohl ein großer Fehler gewesen, danach nicht gleich das Fahrzeug zu wechseln«, bestätigte ich ärgerlich.

»Oder sie hatten das Umfeld meiner Wohnung unter Beobachtung, und dann kam das Wohnmobil. Und das, obwohl du ja etwas abseits geparkt hattest.« 

»Oder meine Unterwäsche war verwanzt. Ich traue der Firma mittlerweile alles zu.« 

»Du hast doch alle alten Klamotten weggeworfen, oder?«, wollte sie wissen.

»Ja. in die Mülltonnen des Campingplatzes. Vor fünf Tagen war Abholung, sie sind wahrscheinlich schon mindestens im Lagerbunker einer Müllverbrennungsanlage gelandet.« 

Die Mietzeit des Wohnmobils näherte sich sowieso dem Ende, also packten wir zügig alles zusammen und wollten im Schutz der Dunkelheit den Platz verlassen. Für den weiteren Weg suchten wir uns die Stelle aus, an der die Agentendichte nicht so hoch war.

Daher sagte ich: »Alarmstart. Wir hauen jetzt ab. Hier ist noch eine Lücke in den OA, da fahren wir durch.« 

»Aber möglichst unauffällig.« 

»Nachts sind alle Wohnmobile dunkel.« 

»Du bist und bleibst ein Quatschkopf!« 

»Vielleicht haben sie die Lücke absichtlich gelassen.« 

»Das müssen wir riskieren.« 

Ich schrieb eine kurze Notiz, dass wir »aus familiären Gründen« frühzeitig aufbrechen mussten. »Aus familiären Gründen« hatte sogar einen wahren Kern, da wir ja immer noch auf der Suche nach Antonias Bruder waren. Antonia warf die Notiz dann in den Briefkasten des Campingplatzbüros, als wir daran vorbei kamen. Wir hatten zwar im Voraus bezahlt, aber die Kosten für Strom und Wasser waren in den Gebühren nicht mit enthalten, da diese nach Verbrauch abzurechnen waren. Ich hatte daher noch ein paar Geldscheine mit einer Büroklammer an der Notiz befestigt.

Auf der Fahrt hielt sie immer das Notebook im Blick.

»Wenn alles vorbei ist, müssen wir hier unbedingt wieder hin«, meinte sie dann.

Mir rutschte heraus: »Wenn alles vorbei ist…«, was mir einen Schlag auf den Oberarm einbrachte.

Sobald ausreichender Mobilempfang vorhanden war, konnten wir die Agenten auch wieder in Echtzeit beobachten.

In ausreichendem Abstand zu der größten Agentendichte machten wir auf einem abgelegenen Waldparkplatz halt und wir beschlossen, auf diesem anschließend auch zu übernachten.

»Das war knapp«, stöhnte Antonia. »Du als Superprogrammierer-Spezialagent musst aus diesem Ortungsgedöns unbedingt eine Art Frühwarnsystem basteln, falls uns andere OA wieder zu nahe kommen sollten.« 

Sie hatte immer noch großes Vertrauen in meine Agentenfähigkeiten. Ich fand es auch sehr ansprechend, wie sie mitdachte. Ein Frühwarnsystem war wirklich eine gute Idee.

Zunächst jedoch waren wir der Firma noch einmal entkommen und wir bereiteten das Wohnmobil für die Nacht vor.

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