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Bäumchen
und die Holzer PIC

Als ich aus dem Urlaub in meine Wohnung zurück kam, saß ein kleiner Baum auf dem großen Sofa im Wohnzimmer. Ein kleiner Baum? In meinem Wohnzimmer? Ich ließ erschreckt die Reisetasche fallen. Mir war nicht klar, wie der Baum überhaupt in meine Wohnung hinein gekommen war. Es war ein Baum, nicht Hund, Katze, Maus, sondern ein Baum!

Der Schreck wurde größer, als sich ein paar Blätter bewegten und der Baum auch noch mit einer piepsigen Stimme zu reden begann.

»Hallo Mensch, bitte nicht erschrecken, ich bin aus dem Baumland und brauche deine Hilfe!« 

»Aus dem Baumland? Und was ist das hier?«, fragte ich.

Der Baum antwortete: »Hier ist das Menschenland, hier sind die Menschen die Bestimmer. Im Baumland sind die Bäume die Bestimmer.« 

Ein sprechender Baum also, der aus einem Baumland kam – was auch immer das sein mochte – und auch noch meine Sprache beherrschte. Alles das war sehr merkwürdig. Aber es war wahr, denn der keine sprechende Baum saß ja auf meinem Sofa und redete mit mir.

»Sei froh, dass ich Menschisch beherrsche«, meinte der Baum.

»›Menschisch‹ ist keine Sprache, es gibt tausende von Sprachen im Menschenland, wie ihr das nennt.« 

Der Baum meinte nur »Oh!« 

»Ich muss dir helfen?«, fragte ich.

»Ja, nicht nur mir, sondern allen Bäumen im Baumland!« 

Der Baum war offenbar ein kleiner weiblicher Baum und war zusammen mit einem männlichen Baum zu den Menschen geschickt worden. Sie nannte mir ihren Namen, den ich mich aber weigerte, aussprechen zu wollen.

»Nenne mich nicht ›Bäumchen‹!«, beschwerte sie sich.

»Aber du bist doch eins! Ich heiße übrigens Florian. Bei deinem Baumnamen bekomme ich einen Knoten in der Zunge.« 

Ich musste mich wohl erst daran gewöhnen, dass sie immer alles wörtlich nahm, und konnte sie gerade noch davon abhalten, mir ein paar Zweige in den Mund zu stecken. So wie es aussah, wollte sie mir tatsächlich einen Knoten in die Zunge machen.

Wie sich herausstellte, waren die Bäume von fliegenden Kettensägen, sogenannten Holzern, bedroht, und ich Mensch und noch ein anderer Mensch sollten den Bäumen helfen. Der andere Baum hatte den anderen Menschen aber noch nicht gefunden.

Wie sich außerdem herausstellte, befand sich Bäumchen seit ein paar Tagen in meiner Wohnung, war aber zu schwach, um wieder herauszugehen.

»Ich muss dringend etwas essen. Wir Bäume können nur durch unsere Wurzeln essen. Ich brauche etwas, in das ich meine Wurzeln hineinlegen kann.« 

Ich ging in die Küche, holte meine größte Schüssel aus dem Schrank und füllte sie mit Leitungswasser.

Bäumchen stand vorsichtig vom Sofa auf und bewegte sich in die Küche. Noch nie hatte ich einen Baum laufen gesehen. Es sah schon lustig aus, wenn die Wurzeln viele kleine Tippelschritte machten.

Sie nahm auf einem Stuhl am Esstisch Platz und ich stellte die Schüssel auf den Boden vor den Stuhl. Bäumchen legte ihre Wurzeln hinein.

»Hast du noch mehr Licht? Meine Blätter brauchen etwas mehr Licht.« 

Das kleine Bäumchen war aber ganz schön anspruchsvoll. Wenn ich schon den ganzen Tag in einem Büro mit grellem Neonlicht arbeiten musste, hatte ich es zu Hause eben gerne etwas angenehmer beleuchtet und besaß nicht wirklich etwas, was Sonnenlicht nahe kam. Ich hatte aber für ganz trübe Wintertage noch eine sogenannte »Tageslichtlampe« im Schrank, die ich nun holte und vor Bäumchen aufbaute. Ob und wie das dem Tageslicht im Baumland entsprach, wusste ich natürlich nicht, aber eine andere richtig helle Lampe besaß ich nicht.

Dennoch sagte sie »Oh, das ist aber ein schönes Licht!« und richtete alle ihre Blätter auf die Lampe. Was tat ich nicht alles für einen kleinen sprechenden Baum… 

»Das ist ja nur normales Wasser«, protestierte sie nach aber einiger Zeit, »hast du kein richtiges Essen für mich?« 

Woher sollte ich hier jetzt auch »richtiges Essen« für einen kleinen sprechenden Baum her bekommen? Ich erinnerte mich daran, dass ich vielleicht noch eine Flasche Blumendünger im Abstellraum haben könnte. Ganz hinten im Regal fand ich die Flasche dann und schaute sie an. Hmmm, Mindesthaltbarkeitsdatum vor drei Monaten abgelaufen… Ein sprechendes Bäumchen sollte das wohl vertragen können. Außerdem hieß es ja auch Mindesthaltbarkeit und nicht am folgenden Tag sofort wegwerfen.

Die Anleitung auf der Flasche sagte etwas von Eine Verschlusskappe auf soundsoviel Liter Wasser und ich fing erst einmal mit einer halben Kappe Blumendünger an, den ich in die Schüssel schüttete.

Sofort färbten sich Bäumchens Blätter etwas mehr ins Dunkelgrüne und ich meinte, auf einem Ast plötzlich eine kleine gelbe Blütenknospe zu entdecken. Es war ja auch Blumen- und kein Baumdünger.

»Was ist das?«, fragte sie erstaunt. »So leckeres Essen hatte ich ja schon lange nicht mehr!« 

Ich zeigte ihr die Flasche.

»Ihr Menschen stellt so leckeres Essen für Pflanzen her?« 

»Ja. Schmeckt’s?« 

Sie gab etwas von sich, was wie »baumisches Jauchzen« klang. Vor den vielen Regalmetern mit Düngern im Gartenmarkt würde sie wahrscheinlich in Ohnmacht fallen… 

Ich merkte mir für das nächste Mal, dass eine halbe Kappe Dünger auf ein paar Liter Wasser wohl erst einmal ausreichte.

Zügig sank der Wasserstand in der Schüssel und Bäumchens Blätter hatten wieder ein sattes Dunkelgrün erreicht. Schon bald spross ihr eine zweite kleine Blüte aus einem Ast und sie hatte einen nächsten Wunsch.

»Ich brauche Pollen oder wie ihr das nennt, sonst verwelken mir die Blüten und ich kann dort nie wieder Blüten bekommen.« 

Erst Dünger, jetzt Pollen. Wo aber sollte ich jetzt Blütenpollen her bekommen? Das Frühjahr war lange vorbei. Dann fiel es mir ein: Honig! Honig besteht doch eigentlich aus Blütenpollen, die von den Bienen dann verarbeitet werden. Nun war ich mir aber wirklich nicht sicher, ob Blütenpollen aus dem Menschenland überhaupt zu einer Blüte aus dem Baumland passten. Es kam auf einen Versuch an. Ich holte aus der Küche ein Glas Honig und einen Löffel und nahm es mit ins Wohnzimmer.

»Bäumchen, hier ist das Nächste, was an Blütenpollen herankommt.« 

Ich öffnete den Deckel und nahm mit dem Löffel etwas Honig heraus. Aber wie sollte ich ihr den Honig geben? Den Löffel ablecken konnte sie ja nicht. Halt! Bäume essen doch mit den Wurzeln.

»Nimm bitte ’mal eine Wurzel aus der Schüssel!«, sagte ich daher zu ihr.

Sie streckte mir eine mitteldicke Wurzel entgegen und ich strich mit dem Löffel etwas Honig darauf.

Ich konnte zusehen, wie der Honig schnell in die Wurzel eingesogen wurde. Plötzlich wurden beide Blüten fast doppelt so groß und gingen auf.

»Und was war jetzt das gelbe Zeug?« wollte sie wissen. »Ihr Menschen habt ja tolle Sachen für Bäume auf Lager!« 

Gut, dass wir noch nicht über Sachen wie Lagerfeuer oder Biber geredet hatten. Die waren wohl eher nicht so toll für Bäume. Lavaströme hatten auch so ihre Nachteile für Bäume.

Ich antwortete: »Honig. Das sind Blütenpollen, die von kleinen Fluginsekten gesammelt und verarbeitet werden. Zum Schluss kommt dann der Honig heraus.« 

»Ihr Menschen besitzt kleine Insekten, die für euch arbeiten?«, fragte sie.

»Nicht nur Insekten, auch andere, größere Tiere.« 

Ich erzählte ihr von Bienen, Hunden und Pferden, die alle in den Diensten von Menschen standen. Darauf folgte die unvermeidliche Frage, wie es mit Bäumen aussah. Sie hatten zwar mich gefunden, warum auch immer, aber irgendwie sich nicht richtig vorbereitet, was das Menschenland betraf.

Ich klopfte mit der Hand auf den Tisch und sagte: »Bäume wachsen für uns und wir machen unter anderem Möbel daraus, so wie diesen Tisch hier.« 

Dinge wie Holzscheite für einen Kamin verschwieg ich aber lieber.

Schon nach etwa einer halben Stunde waren die Blüten verwelkt und fielen ab.

»Waren das etwa die falschen Pollen?«, fragte ich erschreckt.

Sie legte einen Ast um mich – das hatte sie bisher noch nicht getan – und meinte: »Nein, alles gut! Danke für die Pollen.« 

Einen grünen Daumen hatte ich nicht wirklich, aber dafür war mit das Aufpäppeln des kleinen Baums ganz gut gelungen.

Ich hatte noch ein paar Tage frei und der andere Baum war noch nicht aufgetaucht, so dass ich mich mehr oder weniger gut mit meinem kleinen Baum in meiner Wohnung eingerichtet hatte.

Da ich am nächsten Tag überhaupt keine Lust hatte, mir etwas Ordentliches zum Mittagessen zu kochen, holte ich eine Tüte Tomatensuppe aus dem Schrank und bereitete sie zu. Ich hatte aber nicht damit gerechnet, dass mein Bäumchen mich dabei genauestens beobachtete.

»Was machst du da?«, fragte sie, als ich das Wasser erhitzt hatte und nun das Suppenpulver einrührte.

Für jemanden, der als einzige Nahrung nur Wasser mit Blumendünger aus einer Schüssel zu sich nahm – Baum halt –, war dies sicher sehr ungewöhnlich.

»Einiges Essen müssen wir Menschen erhitzen, damit wir es essen können.« 

»Aha!« 

Die Suppe aß ich dann zusammen mit einem Brötchen, was sie wieder eine Frage stellen ließ.

»Das da hast du aber nicht erhitzt!« 

Ich hielt das angebissene Brötchen hoch und antwortete: »Nein, bei einigem Essen ist das nicht notwendig.« 

»Aha!« 

Zum Nachtisch holte ich mir dann ein Eis aus dem Gefrierschrank.

»Aber dieses Essen hat ja eine Temperatur unterhalb des Gefrierpunktes!« 

»Manchmal mögen wir Menschen das auch.« 

Ihr »Aha« war dann schon leiser.

Am nächsten Tag – ihr »Partnerbaum« war immer noch nicht aufgetaucht – gab es dann das gleiche Spiel mit heißem Kaffee zum Frühstück, Mineralwasser bei Zimmertemperatur und einer eiskalten Cola aus dem Kühlschrank. Vollkommen fassungslos war sie, als ich mir zum Mittagessen eine Tiefkühlpizza in den Backofen schob, um dann abends die zwei übriggebliebenen Stücke kalt zu verzehren.

»Ich dachte, ich hätte es jetzt verstanden…« 

»Bäumchen, Menschen sind nun ’mal kompliziert!« 

Nach drei Tagen, in denen ich weiter versuchte, Bäumchen das Leben in einer Menschenwohnung zu erklären, trafen endlich der andere Baum und eine Frau ein. Die Frau stellte sich als Anna vor und der Name des anderen Baums war wie immer sehr kompliziert.

»Ich nenne meinen Baum daher ›Bäumchen‹«, erläuterte ich.

Anna schaute mich schräg an und fragte: »Bäumchen?« 

»Wie nennst du denn deinem Baum? Deren richtige Namen sind etwas schwer auszusprechen.« 

»Meinen Baum?« 

»Klar. Seid ihr euch noch nicht nähergekommen?« 

Dann erklärten uns die Bäume auch endlich, warum sie ins Menschenland gekommen waren und uns um Hilfe ersucht hatten. Das Baumland wurde nämlich von den Holzern, fliegenden Kettensägen, bedroht und die Bäume wussten nicht mehr, wie sie sich wehren konnten. Daher kamen sie auf die Idee, uns Menschen um Hilfe zu bitten.

Anna beugte sich zu mir und fragte leise: »Fliegende Kettensägen? Kannst du mich kneifen, damit ich aus diesem Traum aufwachen kann?« 

Es war aber alles echt. Die Bäume waren echt, das Baumland erst recht, die Holzer wohl auch. So hatte ich mir die restlichen Tage meines Urlaubs allerdings nicht vorgestellt.

Um nicht allzu viel Aufsehen zu erregen, hatten wir beschlossen, in ein paar Tagen nachts bei Neumond in das Baumland aufzubrechen.

So hatte ich jetzt plötzlich noch jemanden und auch noch zwei Bäume bei mir in der Wohnung. Und ich hatte mich so auf ein paar ruhige Tage gefreut, bevor es wieder zur Arbeit ging.

Anna und ihr Baum schauten sich in der Wohnung um. Annas Baum zeigte auf eine Fotografie an der Wand, die meine Eltern und mich vor einem geschmückten Weihnachtsbaum zeigte.

Er fragte: »Was ist das?« 

»Baumfest«, log ich. »Bäume spenden uns Sauerstoff, Holz und Schatten. Einmal im Jahr um den dunkelsten Tag des Jahres herum feiern wir sie.« 

Anna zischte: »Florian!« 

»Lass’ sie doch in dem Glauben«, flüsterte ich ihr ins Ohr.

Bäumchen hatte wohl dem anderen Baum vom Honig erzählt, und so musste ich ihm ebenfalls einen kleinen Löffel Honig auf eine Wurzel schmieren. Der Honig hatte zwar nicht die Wirkung wie bei ihr, da er ein männlicher Baum war, aber er fand den Honig trotzdem »sehr lecker«.

Als am Abend die Bäume »schlafen« gegangen waren, fragte Anna mich: »Wieso haben sie ausgerechnet mich ausgesucht?« 

»Bei dir ist’s klar, du bist die Kriegerin. Ich dagegen entwickle nur Computerprogramme. Bei einem meiner Spiele für Kinder waren auch Baumschulen dabei. Ich weiß zwar nicht, wie sie davon wissen können, aber vielleicht kennen mich die Bäume von diesem Computerspiel.« 

»Nur zwei Menschen sollen das ganze, wie nennen die Bäume es, Baumland retten? Das klappt nie!« 

»Auch wenn es nicht klappt, sind wir immerhin einmal dort gewesen.« 

Dann war es endlich soweit. Anna war mit einem großen Geländewagen angereist, in dem die zwei Menschen und auch die zwei Bäume gut Platz fanden. Als wir aus dem Haus gingen, lief uns die Nachbarskatze über den Weg.

Bäumchen rief: »Halt! Das ist ein böses Raubtier, das gerne unsere Rinde verkratzt. Und Anna-Mensch streichelt es auch noch?« 

Ich musste kichern, denn so bekam der Begriff »Kratzbaum« eine völlig neue Bedeutung.

»Alles in Ordnung, Menschen mögen Katzen, wie wir diese Tiere bezeichnen. Und Katzen mögen uns – mehr oder weniger.« 

»Oh, ich sehe es: Das Tier verkratzt wirklich nicht die Rinde von Anna-Mensch!« 

Wir nahmen in Annas Auto Platz und machten uns auf die lange Reise, die irgendwann in einem sehr dichten und einem sehr dunklen Wald führte. Nach einiger Zeit endete der Waldweg vor einer Felswand und die Bäume meinten, dass es von hier aus nur zu Fuß weiterginge.

Weil uns die Bäume schon angekündigt hatten, dass wir längere Zeit zu Fuß unterwegs sein würden, hatte ich mir nur meinen großen Wanderrucksack gepackt. Anna hatte neben einem olivgrünen Militärrucksack noch einen Bogen und eine Tasche mit Pfeilen mitgenommen.

In der Felswand gab es einen kleinen Spalt, durch den die Bäume uns nun hindurchführten. Das war es also, das Baumland, was aber wie ein normaler Wald aussah – genauso wie der Wald auf der anderen Seite der Felsen. Ich hatte erwartet, hier überall umher laufende Bäume zu sehen, aber Bäumchen hatte gleich eine Erklärung parat.

»Das sind Steh-Bäume, wir sind aber alles Geh-Bäume.« 

Das war eindeutig.

»Können alle diese Bäume aber reden, so wie ihr?«, fragte ich.

Sie antwortete: »Das da drüben ist ein Nadelbaum – und mit Nadelbäumen reden wir nicht.« 

»Und das kleine Gewächs hier?«, wollte Anna wissen.

»Das ist ein Busch. Büsche sind alle doof!« 

Die Geh-Bäume hielten sich im Baumland wohl für etwas Besseres… 

Anna sagte nichts und schaute nur verständnislos drein.

Nach ein paar Stunden Fußmarsch – gut, dass ich ab und zu im Gebirge wanderte – kamen wir im »Baumdorf« an, dort »wohnten« die Bäume, wie Bäumchen erklärte.

Der Anblick ließ mich einen Moment innehalten. Es gab einen kleinen Bach. Bäume gingen dorthin und hielten ihre Wurzeln zum Trinken hinein. Kleinere Bäume spielten miteinander. Es gab hohe und niedrige Bäume, mit dünnem und mit dicken Stamm, mit und ohne Blüten oder mit vielen oder wenigen Ästen. Das Baumdorf war von sehr großen Bäumen mit recht dicken Ästen umgeben, die Bäumchen als Kampfbäume beschrieb, die das Dorf beschützen.

»Unglaublich«, platzte es aus Anna hinaus. Es war mittlerweile ihr Lieblingswort geworden.

Sah so die Vergangenheit aus, als die Bäume die ganze Erde beherrschten?

»Wir müssen euch etwas zeigen«, sagte Annas Baum.

Die Bäume führten uns zu der Stelle, an welcher der Bach durch die Kampfbäume floss – und dann sah ich es. Auf dem Boden lag ein Holzer, der wohl abgestürzt und daher wahrscheinlich defekt war. Wie zur Bestätigung trat Annas Baum mit einer Wurzel dagegen.

»Der rührt sich nicht mehr«, meinte er.

Holzer waren wirklich Kettensägen, wie man sich auch im Menschenland fand. Nur wie sie fliegen konnten, war mir immer noch nicht ganz klar, aber ich würde ja bald fliegende Exemplare zu sehen bekommen.

Von den anderen Holzern war aber bislang nichts zu sehen und zu hören.

Bäumchen erklärte: »Die Holzer haben sich nach dem letzten Angriff zurückgezogen, wollen aber wiederkommen. Deswegen haben wir euch Menschen geholt.« 

Nachdem wir einen kleinen Rundgang durch das Baumdorf gemacht hatten, führte Bäumchen uns zu einem kleinen Hügel in der Nähe und machte vor einem Höhleneingang Halt. Mir war nämlich immer noch nicht ganz klar, wo Anna und ich eigentlich übernachten sollten. Auf einer Wiese zwischen den Bäumen ungeschützt vor Regen die Zeit zu verbringen hatte ich nämlich nicht wirklich vor. Aber auch hier hatten die Bäume an alles gedacht.

In der kleinen Höhle war für Anna und mich nämlich ein Unterschlupf eingerichtet worden.

»Ist die Temperatur in eurem Unterschlupf so in Ordnung?«, fragte Bäumchen.

Mit war es vielleicht etwas zu kühl, so dass ich mir etwas mit langen Ärmeln anziehen musste, aber Anna hatte als Soldatin keine Probleme damit. Wie immer in der ersten Nacht in einer fremden Umgebung konnte ich aber schlecht schlafen.

An nächsten Morgen musste ich mich erst einmal sortieren: Bäumchen, Baumland, Holzer, Baumdorf – ja, genau.

Ich trat aus der Höhle und schaute mich um. Immer noch waren aber keine Holzer zu sehen, aber ab und zu hörte ich eine Art Sirren. Die Bäume hatten uns erzählt, dass dieses Geräusch von Holzern stammte. Auch hatten sie uns vor Spähern der Holzer gewarnt, die sich dem Dorf nähern konnten. Das Sirren wurde aber bald wieder schwächer, denn offenbar war der Holzer wieder zurückgeflogen.

Vor der Höhle erwartete Bäumchen uns schon. Vollkommen unerwartet fiel einer ihrer Ableger ab, den ich gerade noch auffangen konnte. Auch der zweite Ableger hing schon ganz schief, so dass Bäumchen ihn lieber gleich abpflückte.

»Schnell, wir müssen zur, wie würdet ihr Menschen das nennen, Kinderbaumschule und sie einpflanzen!«, rief sie.

Anna schaute mich schräg an, beugte sich zu mir und flüsterte »Kinderbaumschule?« 

Bäumchen ließ nicht locker. »Florian-Mensch, du hast mir die Pollen gegeben, also musst du auch mitkommen!« 

»Du hast ihr die Kinder – ääh – Ableger gemacht?«, fragte Anna leise.

»Nicht ich, das war der Honig, den ich ihr gegeben hatte!« 

»Unglaublich«, murmelte sie und ging voraus.

Vor der Kinderbaumschule mussten wir erst einen Kontrollposten der Kampfbäume passieren, weil die Kinder gegen die Holzer besonders geschützt wurde.

Wir wurden bereits erwartet und Bäumchens Ableger wurden von einem alten knorrigen Baum in Empfang genommen, der diese mitnahm. Wir konnten sehen, wie die Ableger vom alten Baum in ein paar Metern Entfernung eingepflanzt wurden.

Bäumchen nahm dann Abschied von den Ablegern, indem sie sie mit einem dünnen Zweig vorsichtig streichelte, und wir gingen ins Dorf zurück.

Später nahm Anna mich zur Seite und fragte: »Du hast ihr echt Ableger gemacht?« 

»Das – war – der – Honig!«, sagte ich bockig.

»Und jetzt bist du ihr ›Gefährte‹, oder was? ›Bis an’s Lebensende‹, oder was?« 

»Was sollte ich denn tun?«, entgegnete ich. »Sie wollte doch nur Pollen haben! Konnte ich ahnen, was der Honig bei ihr auslöste? Ich bin ja kein Experte für sprechende Bäumchen! Außerdem ist dein Baum wohl ihr Gefährte, falls Bäumchen überhaupt Gefährten haben.« 

Ich wusste gar nicht, warum Anna sich hier so aufregte, sie war schließlich nicht meine Mutter. Oder war sie etwa eifersüchtig auf Bäumchen?

»Unglaublich«, murmelte sie erneut und ging mir für den Rest des Tages aus dem Weg.

Da wir nicht wussten, wann, wo und wie die Holzer angreifen wollten, hatten wir Zeit und Bäumchen brachte mir ein paar Worte Baumisch bei, damit ich mich mit den anderen Bäumen besser verständigen konnte. Wir wurden aber bald unterbrochen, weil wieder das Sirren eines Holzer-Spähers zu hören war.

Ich ahnte, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis die Holzer versuchten, wieder das Dorf anzugreifen. Es musste also etwas passieren. Als ich auf dem Weg zur Höhle über einen Stein stolperte, begann sich in meinem Kopf langsam ein Vorschlag für eine bessere Verteidigung der Bäume gegen die Holzer zu entwickeln.

Widerwillig fand sich Anna dann am nächsten Tag bereit, meinem Vorschlag umzusetzen, nämlich Steinschleudern gegen die Holzer zu bauen. Ich hatte bemerkt, dass für die Verteidigung des Dorfs nur die »Kampfbäume« und sonst niemand eingeteilt war. Das lag wohl auch daran, dass die anderen Bäume einfach zu schwach waren.

Zwischen zwei Kampfbäumen wurde mit elastischen Weidenruten die Schleuder aufgehängt. Die erstens Tests, noch mit Anna und mir, gingen sehr erfolgreich über die Bühne. Bald konnten die Kampfbäume auch alleine Steine aufheben und weg schleudern. Mit der Zeit wurde auch die Zielgenauigkeit besser. Alle fragten sich, wieso die Bäume nicht schon früher auf diese Idee gekommen waren. Schon bald trafen die Kampfbäume auch von mir und Anna hoch geworfene Äste, so dass wir alle eine wohlverdiente Pause machen konnten.

Zum Essen für uns Menschen gab es an einem kleinen Lagerfeuer gegrilltes Fleisch. Mir war es zwar etwas zu viel Fleisch, aber es ging wohl bei den Bäumen nicht anders.

»Wir können den anderen Bäumen doch schlecht sagen, dass wir auch Pflanzen essen!«, meinte Anna leise.

Ich erwiderte: »Doch, aber immerhin keine Bäume, sondern Salat und Gemüse. Salate sind bestimmt noch doofer als Büsche. Und erst das Gemüse, was unter der Erde wächst…« 

Anna fing prustend an zu lachen. Ich fand es schön, dass sie endlich nicht mehr so bockig daherkam.

Plötzlich brach eine große Unruhe aus, denn das Sirren kam von allen Seiten. Somit war klar: Die Holzer griffen an!

Dann kamen sie noch näher, und ich konnte zum ersten Mal einen fliegenden Holzer sehen. Fliegende Kettensägen waren schon ein für mich sehr merkwürdiger Anblick. Die Steinschleudern funktionierten aber gut und die Kampfbäume konnten viele Holzer matt setzen.

Zeitweise sah es so aus, als ob sich die Holzer zurückzogen, und auch das Sirren war leiser geworden. Plötzlich schwebten auch nur noch zwei Holzer über dem Dorf. Einer wurde von einem Stein aus einer Steinschleuder getroffen und der andere durch einen von Annas Pfeilen. Nun war es auffällig ruhig und ich wollte gerade Anna gratulieren, da kehrten die Holzer zurück. Sie hatten sich wohl außerhalb des Baumdorfs gesammelt, um nun noch einmal anzugreifen

Schon ging der Angriff los.

Ich war auf einen hohen Baum geklettert und versuchte, den Überblick zu behalten. Die Holzer kamen aber dank der besser werdenden Zielgenauigkeit der Kampfbäume immer schlechter voran. Bäumchen war aber irgendwie verschwunden, Anna plötzlich auch.

Zusammen mit Annas Baum machte ich mich daher auf die Suche nach Bäumchen, Anna selbst war aber noch nicht aufgetaucht. Noch immer flogen die Holzer einzelne Angriffe. Einer kam uns besonders nahe und ich befürchtete das Schlimmste.

Der Holzer wurde aber mit dem kräftigen Schlag von einem Ast eines Nadelbaums aus der Luft geschlagen und zerschellte an einem kleinen Felsen.

»Danke!«, rief ich auf Baumisch dem Nadelbaum zu – in der Hoffnung, dass dieser es verstand. Vielleicht war es auch nur Laubbaumisch und er verstand es gar nicht. Und bekanntermaßen redeten Laubbäume ja nicht mit Nadelbäumen.

Kurze Zeit später fanden wir Bäumchen dann an einem Hügel auf einer recht schrägen Wiese, neben sich einen Holzer. Hatte sie etwa versucht, alleine einen Holzer niederzuringen? Das hätte sie lieber den Kampfbäumen überlassen sollen. Der Holzer hatte offenbar eine kleine Schneise in Bäumchens Zweige gesägt, aber sie meinte mit schwacher Stimme »das wächst wieder nach«.

Der Holzer steckte kopfüber in der Erde fest und versuchte sich mit knarrender Säge wieder selbst zu befreien. Gerade als er es geschafft hatte, wurde er von etwas getroffen und kullerte den Abhang herunter. Ich drehte mich um. Anna schob ihre Sonnenbrille ins Haar hoch. Sie holte einen neuen Pfeil aus dem Köcher und spannte ihn in den Bogen ein.

»Ihr dachtet wohl, ich lasse euch hier alleine?!?«, rief sie und verschwand gleich wieder mit einem Kampfbaum im Getümmel.

Zusammen mit Annas Baum schaffte ich Bäumchen wieder zurück in das Dorf, wo sie von ein paar alten Bäumen versorgt wurde. Als ich sah, dass sie sich in guten Händen befand, ging ich mit Annas Baum wieder zurück zu den Steinschleudern, um ein paar gerissene Weidenruten zu reparieren.

Dabei war ich so in die Arbeit vertieft, dass ich nicht mehr wirklich auf die Holzer achtete. Auch Annas Baum war nicht mehr direkt neben mir, sondern sammelte etwas abseits noch mehr Steine für die Kampfbäume.

Wieder hörte ich das sirrende Geräusch, dieses Mal direkt hinter mir. Aber irgendetwas klang dabei anders und hörte sich wie Schläge an.

Blitzschnell drehte ich mich um.

Anna saß rittlings auf dem Holzer und schlug mit einer Holzkeule die Kettensäge krumm. Sie hatte den Holzer so verbogen, dass er in eine scharfe Linkskurve abbog und mit einem anderen Holzer zusammen stieß. Anna sprang ab, bevor die beiden Holzer abstürzten und sich dann nicht mehr rührten.

Ich fragte, weil Anna gar nicht mehr so bockig aussah: »Das gefällt dir, was?« 

»Jaah!«, antwortete sie.

Anna wollte gerade wieder aufbrechen, um weitere Holzer mit Pfeil und Bogen abzuschießen, da zogen sich die Holzer überraschend zurück, hoffentlich für immer.

»Haben wir etwa gewonnen?», fragte ich.

Anna antwortete: »Ich weiß nicht genau, aber die Bäume machen jetzt so komische Töne, die sich fast wie Jubel anhören.« 

Nun war kein Sirren der Holzer mehr zu hören, nur der »Jubel« der Bäume.

Bald kam Annas Baum zu uns und bestätigte, dass die Bäume gewonnen hatten. Die Holzer hatten also aufgegeben.

Ich war erstaunt. »So schnell ging das?«, fragte ich.

»Vielleicht brauchte es einfach ’mal zwei Menschen, um gegen die Holzer richtig zu gewinnen.«, meinte Anna.

Dann hatte es sich ja richtig gelohnt, dass die Bäume uns zur Verstärkung geholt hatten.

Prompt wurden Anna und ich zu »Ehrenbäumen« ernannt. Bäumchen, die etwas gerupft aussah, humpelte zu uns und bedankte sich bei uns persönlich.

Wir sollten aber nicht sofort wieder ins Menschenland zurückkehren, sondern im Baumdorf warten, ob die Holzer vielleicht noch einmal angreifen.

Gleich am nächsten Tag war das Baumdorf wieder in heller Aufregung.

Wieder war das Sirren zu hören, dieses Mal klang es aber viel leiser. Ich kletterte erneut auf einen Baum und konnte bald einen einzigen Holzer ausmachen, der sich dem Dorf näherte. Der Holzer kam mit einer in die Kettensäge geklemmten weißen Fahne zu den Bäumen geflogen und er war gekommen, um ein Friedensangebot zu machen.

Dabei erzählte der Holzer, von Bäumchen übersetzt, warum sie unbedingt Bäume absägen wollten. Große Eidechsen, die am fernen Ende des Baumland wohnten, hatten die Holzer gebaut, um die Bäume zu fällen und für sich Zahnstocher herzustellen.

»Zahnstocher? Aus Holz?«, fragte Anna erstaunt.

Ich entgegnete: »Es gibt doch bestimmt wiederverwertbare und länger haltbare Kunstoffzahnstocher?« 

Und so kam es dann, dass Anna und ich wieder in das Menschenland zurückkehrten und mit einer Firma, die Kunststoffe verarbeitet, Kontakt aufnahmen. Bald konnte auch diese Firma den Eidechsen ihre Zahnstocher liefern. Im Gegenzug ließen die Holzer die Bäume im Baumland in Ruhe. Damit den Holzern aber nicht langweilig wurde, wurden diese jetzt im Menschenland eingesetzt, was die Waldarbeit viel einfacher machte. Manchmal, wenn ich im Wald spazieren ging, konnte ich sogar ab und zu das Sirren eines Holzers hören.

So kam es dazu, dass ein Handelsabkommen zwischen dem Menschenland und dem Baumland über Zahnstocher geschlossen wurde. In späteren Jahren war dann eine sehr beliebte Quizfrage im Fernsehen:

Worüber wurde das erste Handelsabkommen
zwischen dem Menschenland und dem Baumland geschlossen?

A: Äxte
B: Baumdünger
C: Zahnstocher